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  • Wegen Corona ist es auf St. Pauli still geworden. Seit mittlerweile einem Jahr sind die Bars und Clubs geschlossen. 
  • Foto: picture alliance/dpa

Corona in Hamburg: Ein Jahr Stille auf St. Pauli – und kein Ausweg in Sicht

St. Pauli –

Schotten dicht auf Hamburgs Amüsiermeile. Seit einem Jahr sind viele Betriebe komplett geschlossen. Das Virus hat das Nachtleben der Reeperbahn beinahe lahm gelegt. Ein Ausweg ist auch ein Jahr später kaum in Sicht. 

Die Wirte vom Hans-Albers-Platz sind stinksauer. „Für uns ist das Berufsverbot“, sagt Odin. Seine „99 Cent Bar“ ist seit Monaten wegen Corona dicht, genau wie all die anderen rund um den Platz im Herzen von St. Pauli, auf dem sonst das pralle Leben tobt. „Und die Kosten für Miete und alles laufen weiter“, sagt Oli vom „Albers Eck“. Micky, die Wirtin der „Nachtschicht St. Pauli“, spricht es aus: „Man hat uns allein gelassen.“

Wegen Corona: Seit einem Jahr Stille auf St. Pauli 

Am 15. März 2020 – da war der erste Hamburger Corona-Fall gerade mal zwei Wochen her – beschloss der Senat, dass Bars, Clubs, Kneipen und Bordelle schließen müssen. Der erste Lockdown. „Polizeibeamte kamen zu uns in den Laden und sagten, dass wir um Mitternacht dichtmachen müssen“, erinnert sich Oli. Eine nie da gewesene Situation. Sogar der berühmte, eigentlich rund um die Uhr geöffnete Elbschlosskeller musste eigens ein Schloss kaufen, um schließen zu können. Und auch sonst war plötzlich absolute Stille auf der Amüsiermeile. „Nachtleben ist natürlich in so einer Pandemie eher schwierig“, sagt Quartiersmanagerin Julia Staron. „Deswegen gehören die meisten Betriebe auf St. Pauli zu denen, die als erste zugemacht wurden, und wahrscheinlich zu den letzten, die wieder aufmachen.“

Jan Delay: „Das geht mir wirklich an die Substanz“

Der Verlust des Nachtlebens auf „der geilen Meile“ geht nicht nur den Betreibern nahe. Auch Musik-Größen wie Jan Delay hoffen auf bessere Zeiten. Der Hamburger Hip-Hopper („Auf St. Pauli brennt noch Licht“) findet klare Worte für den Lockdown im ganzen Land: „Das ist scheiße, doof und traurig. Ich sehne mich fast nach nichts so sehr wie endlich mal wieder in den Club zu gehen“, sagt er. Die Auftritte fehlten ihm zwar auch, aber noch viel mehr würde er das Auflegen in den Clubs vermissen. „Nicht auflegen zu können, das geht mir wirklich an die Substanz.“

Video: Proteste gegen Prostitutions-Verbot im ersten Lockdown

Den Clubs geht in der Corona-Auszeit langsam die Puste aus, heißt es beim Hamburger Clubkombinat, das etwa 110 Musikspielstätten, rund 50 Veranstalter und ein halbes Dutzend Festivals der Hansestadt vertritt. Kai Schulz vom Vorstand sieht, dass die Kraftreserven vieler bedenklich schwinden. „Die Kulturbehörde unterstützt uns Clubs in diesen schwierigen Zeiten und doch kann auch sie nicht alles retten – ein Jahr Zwangspause führt für die Menschen, die sich in diesem System seit Jahren bewegen, nun zwangsläufig auch zur neuen Orientierung für ihre berufliche Perspektive“, so der Betreiber der „Hebebühne“.

Hamburg: „Brauchen verlässliche Aussagen“

Ein Stufenplan der Politik allein reiche nicht. „Wir brauchen konkrete und verlässliche Aussagen.“ Und finanzielle Unterstützung. Denn: „Es wird sehr wahrscheinlich einige Zeit dauern, bis wir wieder an die Ausgangslage vor der Schließung anknüpfen werden.“ Doch das lohne sich: „Clubs sind Kultur – sie gehören zu der Identität der Stadt und sind für unser kulturelles und speziell das Nachtleben in Hamburg und besonders auf dem Kiez prägend.“

Das nehmen auch die Wirte vom Hans-Albers-Platz für sich in Anspruch. Schließlich seien sie auch ein Touristenmagnet. Zwar würden die Gäste der Stadt sich tagsüber auch Museen und Ausstellungen anschauen. „Vielleicht auch mal ein Musical, aber die Nacht verbringen sie hier bei uns“, sagt Micky.

Herbertstraße

Auch in der legendären Herbertstraße arbeitet seit einem Jahr niemand mehr. Viele Existenzen stehen dadurch auf dem Spiel.

Foto:

picture alliance/dpa

Prägend für St. Pauli ist die Vielfalt, weiß „Kiez-Bürgermeister“ Falko Droßmann. Er sei ständig mit „Clubbetreibern, Barbesitzern, Barpersonal und meinen Prostituierten im Gespräch“, sagt der Chef des Bezirksamts Mitte. „Natürlich warten alle und scharren mit den Hufen, dass es wieder losgeht.“ Aber alle seien sich auch bewusst, dass sich Szenen wie vor dem zweiten Lockdown, als jeder versucht habe, auch noch das Letztmögliche aus den Regeln „herauszulutschen“, nicht wiederholen dürfen.

Damals hatten Polizei und Gesundheitsamt die von abstandslos trunken Feiernden völlig überfüllte Große Freiheit gleich mehrfach absperren müssen. Das werde es auch angesichts der Infektionszahlen so schnell nicht wieder geben. „Wir werden erst dann wieder tanzen, wenn wir uns erlauben können, zu tanzen.“

Das Herz von St. Pauli werde aber schon wieder so schlagen wie vor Corona, ist Droßmann sicher, wenn auch vielleicht mit anderen Betreibern. „Der Kiez ist ja deshalb so besonders, weil er Nischen bietet. Ich habe die Pornokinos, die Prostitution, ich habe die kleinen Bars und die schicken Superclubs. Das ist es ja, was den Kiez ausmacht.“

Gastronom auf St. Pauli: „Es ist schwierig für die Frauen“

Das Rotlicht dürfte auf der sündigsten Meile der Welt so ziemlich als letztes wieder angehen. „Es ist schwierig für die Frauen“, sagt Gastronom Andy vom Sexy Aufstand Reeperbahn, der die Damen aus der Herbertstraße vertritt, die dort sonst leicht bekleidet in Schaufenstern auf Kunden warten. „Ich befürchte, dass viele in die Illegalität abgetaucht sind.“ Ein Hygienekonzept hatten auch sie bereits vorgelegt und ab September wieder Freier empfangen, als es kurz danach in den zweiten Lockdown ging.

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Die DJs Raven und Mac Chaotix halten trotz Sturmböen und Regens im Pavillon der Kiez-Mahnwache auf dem Spielbudenplatz die Stellung. „Die Lichter gehen aus“ steht hinter ihnen auf einem Bauzaun. Sie konnten schon seit einem Jahr nicht mehr auflegen. Von sofortiger Öffnung halten sie allerdings nichts – eher von Zero Covid. „Die sollten lieber einmal einen konsequenten Lockdown für vier Wochen machen, damit wir damit durch sind“, sagt Raven.

Hamburg: Das „echte Partymachen“ erst wieder 2022

Mitgründerin der Mahnwache ist Burlesque-Star Eve Champagne, die auch schon lange nicht mehr auftreten darf, den nun ausbleibenden Touristenströmen auf ihrem Kiez aber auch Positives abgewinnen kann. „Was richtig schön ist, ist unser St.-Pauli-Nachtmarkt. Das ist Kommunikation und Nachbarschaft pur. Da kaufen die Leute jetzt richtig ein, weil die Restaurants zu haben und man ja mehr zu Hause kocht.“ Quartiersmanagerin Julia Staron geht davon aus, dass die Pandemie noch für viele weitere Monate den Kiez bestimmen und einschränken wird. „Das echte Partymachen dürfen wir wahrscheinlich erst in 2022 wieder erwarten. Das ist die Realität.“

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Auch das Pleiten-Ausmaß sei noch gar nicht abzusehen. „Die echten Herausforderungen beginnen erst, wenn die Pandemie vorbei ist. Dann wird sich zeigen, wie es weitergeht und wer wieder auf die Beine kommt. Aber wie ich die Unternehmerschaft auf St. Pauli kenne, sind die alle ganz schön findig.“ 

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