• Corona-Leugner auf Hamburgs Straßen: Nichts ist radikaler als komplette Ignoranz.
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Corona-Demo in Hamburg: Radikale Ignoranten im Schafspelz

Kommentar –

So frech sommerlich-sportlich kam noch keine Guerilla daher. Auf dem Video, das die samstägliche Veranstaltung von „Querdenken40“ in der City dokumentiert, sind Menschen zu sehen, die aussehen wie der Tim aus der IT oder die Britta aus der Buchhaltung. Auf der Bühne gibt sich derweil das Who is Who der professionellen Corona-Leugner-Szene das Mikro in die Hand. Bodo Schiffmann und Anselm Lenz sind auch da.

Die Botschaft vieler Redner passt nicht ganz zum sommerlichen Festival-Flair. Sie lautet: Der Staat ist der Feind. Über vier Stunden ist das zu hören.

Die Lügen. Die Bedrohung. Die Unterdrückung. Die Korrupten. Die Strippenzieher. Die Versager. Die Nixblicker. Die Schwachen. Die Mitläufer.

Gemeint sind damit auch wir, also die Leute von der MOPO. Aber auch Sie, die Leser dieses Textes, wenn Sie zum Beispiel den Mund-Nasen-Schutz für eine insgesamt gute Möglichkeit halten, das Risiko zu senken, andere zu infizieren.

Irritierend, oder? Es wird noch irritierender.

Corona-Demo: Redner lässt sich über MOPO-Bericht aus

Irgendwann, so nach etwa dreieinhalb Stunden Video-Laufzeit, betritt ein „Patrick aus Mannheim“ die Bühne und spricht über die MOPO. Oder genauer: über einen MOPO-Bericht über die Anmelderin der Veranstaltung.

Darin habe „die junge Dame“ von der MOPO in „der letzten Zeile“ geschrieben, „dass sie (gemeint ist die Anmelderin) es befürworten würde, wenn Bombenanschläge gemacht werden“.

So einen Artikel der MOPO gibt es nicht. Es gibt allerdings einen Bericht, in dem darauf hingewiesen wird, dass die Initiatorin von „Querdenken 40“ öffentlich inszeniert, wie sie sich den geltenden Abstands-Regeln widersetzt. Und dass sie bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien hilft und auch mal ein Video des als extrem rechts geltenden Magazins „Compact“ verbreitet.

Und es steht drin, dass die Handwerkskammer, Selina Fullerts Arbeitgeber, über Twitter von der Organisation „Antira Info Hamburg“ darüber informiert wurde, dass Fullert Gründerin der Gruppierung „Querdenken 40“ sei und das „Abfeuern von Bombendrohungen an Gesundheitsämter toleriere“.

Hintergrund ist ein Beitrag auf der Facebook-Seite der „Querdenken“-Gruppe, in dem ein Artikel der „Welt“ über „Bombendrohungen gegen Gesundheitsämter in mehreren Bundesländern“ erfreut kommentiert wird: „Während einige meditieren und nette Liedchen singen, gibt es (…) Aktivisten, die etwas konkretes tun.“

Die MOPO hatte mehrfach versucht, mit Selina Fullert über diese Punkte ins Gespräch zu kommen. Am Ende sagte sie kurzfristig ab und meldete sich dann nicht mehr zurück.

„Patrick aus Mannheim“ setzt sich auf der Bühne übrigens nicht etwa mit der Frage auseinander, ob es diesen Kommentar gab. Oder wie es zu bewerten sei, wenn es ihn geben würde. Er redet im Stile eines Motivationstrainers auf sein Publikum ein, er lamentiert immer und immer wieder darüber, dass die MOPO-Autorin des Artikels jung sei und noch in der Ausbildung.

„…dann wird es eng für die junge Dame!“

Und dann folgt dies: „Die Dame, die Journalistin, vielleicht ist sie ja auch heute unter uns, wenn ja, guck dich mal bitte um und schau, über wen du was genau schreibst… Mit 18 Jahren! Wenn dieser Artikel in 15 Jahren, wenn wir alle auf der richtigen Seite stehen, nämlich auf unserer, auf der Seite der Wahrheit und des Friedens… dann wird es eng für die junge Dame!“

Es ist die Art von Drohung, wie sie üblich ist, bei denen, die Grenzüberschreitungen etablieren wollen. Journalisten kennen solche Formulierungen aus E-Mails, die nach kritischen Berichten über Pegida und Co. kommen: Wenn wir das Sagen haben, ziehen wir dich zur Rechenschaft.

Eine Frau im Sommerkleid wiegt sich vor der Bühne im Takt der Beats. Der Song heißt „Fakenewsmedia“. Die Menschen sitzen da, als würden sie einem Johannes-Oerding-Konzert lauschen.
In Wahrheit sind wir Zeuge eines Aufstands der Biedermänner. All das irreführende, staatsfeindliche und grenzüberschreitende Gefasel auf der Bühne nehmen die, die ja stets betonen, wie friedliebend und Grundgesetz-treu sie sind, stoisch bis zustimmend zur Kenntnis.

Corona-Demo in Hamburg: Falsche Statistiken, krude Thesen, wiederholte Fragen

Sie sind, so sieht es aus, verloren für den demokratischen Diskurs. Sie demontieren schulterzuckend alle, die in diesem Land Teil der demokratisch getragenen Institutionen sind: Politiker, RKI, öffentlich-rechtlicher Rundfunk, etablierte Medien, Unis, Polizei.

Sie nennen offizielle Statistiken falsch. Sie bauen sich eine Welt aus kruden Thesen und fortlaufend wiederholten Fragen. 5G, Bill Gates. „Wie kann es sein, dass …?“ „Warum sind dann die Zahlen da bereits …?“ Es ist eine ständig rotierende Salatschleuder voller verfremdeter Zusammenhänge, gezielt platzierter Zerrbilder.

Die Aussagen zu dem MOPO-Bericht sind eine Farce. Die Wortwahl ist entlarvend, weil sie die Mittel aufzeigt, mit denen die Drahtzieher der Corona-Leugner-Mobilisierung bereit sind zu arbeiten. Sie attackieren die Institutionen des Landes mit einem Dauerfeuer aus Nonsens.

Sie skandieren die Mantren der Reichsbürger und Esoteriker. Dieser sommerlich daherkommende Aufmarsch ist so wenig zugänglich für Argumente wie eine Sekte. Die Macher auf und hinter der Bühne platzieren ihre destruktiven Trigger-Themen. Die Normalo-Front im Publikum trägt alles locker mit.

Corona-Demos: Weiter genau hinschauen

Es gibt guten Grund, dort genau hinzuschauen, wo nach US-Vorbild der Gesellschaft die Rationalität entzogen werden soll. Es ist wichtig aufzuzeigen, dass es ein äußerst toxisches Umfeld gibt, in dem sich Leute wie selbstverständlich bewegen, die noch vor Kurzem in der Mitte der Gesellschaft gestanden zu haben schienen.

Das Team der MOPO wird das weiterhin tun. Wer versucht, einzelne Mitarbeiter mit an den Haaren herbeigezogenen Pseudo-Argumenten zu diskreditieren und einzuschüchtern, wird dabei zum zusätzlichen Ansporn.

Zwei Dinge bleiben zu hoffen:

1. Dass das Potenzial für paranoiden Fantasy-Eskapismus bei uns geringer ist als in den USA.

2. Dass sich niemand von der oberflächlich bieder-freundlichen Anmutung des Aufzugs täuschen lässt: Nichts ist radikaler als komplette Ignoranz.

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