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  • Foto: Marius Roeer

Clubs, Theater & Co.: Hamburgs Kultursenator über den Wiederbeginn nach Corona

Dass er mal DER Kultursenator sein würde, der seine Unterschrift auf ein Papier setzt, das alle Theater, Konzerthäuser und Clubs schließt – das hätte sich Carsten Brosda (SPD) so auch nicht träumen lassen. Und doch musste der 45-Jährige genau das tun, heute vor sechs Monaten. Seitdem ist er damit beschäftigt, dafür zu sorgen, dass alle Kulturschaffenden möglichst gut durch die Situation kommen. Im Interview spricht er darüber, wie gut das klappt, über Kritik an den Maßnahmen – und über sein Songzeilen-Twittern, mit dem er unverhofft zu einer Art Social-Media-Phänomen wurde.

MOPO: Sie haben von April bis August täglich Zitate aus Liedern getwittert. War Ihnen langweilig?

Carsten Brosda: Ich weiß gar nicht, warum ich das angefangen habe. Ich höre abends viel Musik, wenn ich zu Hause bin. Irgendwann dachte ich: Warum twitterst du nicht einfach Songzitate – so ganz ohne Erklärung? Ab und zu hatte es auch mal einen Anlass  – wie bei „Almost Cut My Hair“ von Crosby, Stills, Nash & Young, als die Friseursalons zu waren. Oft ging es aber auch nur um die Erinnerung daran, welche Kraft in dem steckt, was wir live gerade nicht erleben konnten.

Wie waren die Reaktionen darauf?

Online gab es ein paar Menschen, die mit anderen Zitaten geantwortet haben, was durchaus lustig war, weil man sehen konnte, was für einen – bisweilen herausfordernden – Musikgeschmack andere haben. Mich haben aber deutlich mehr Menschen im echten Leben darauf angesprochen, als dass es Likes auf Twitter erzeugt hätte. Das sagt vielleicht auch was ganz Schönes über unsere Gesellschaft aus. Und es hat mir gezeigt, was für Kristalle teilweise in diesen Songs stecken, wenn man ein bisschen genauer zuhört und die Texte nicht so vorbeirauschen lässt.

Mir ist in der Zeit auch immer ein Lied eingefallen, wenn ich Ihren Namen gehört oder gelesen habe: „Ein Loch ist im Eimer“ –  weil ein Problem das nächste abzulösen schien. 

Das ist als Kultursenator aber unabhängig von Corona so. Man kann in diesem Job nie sagen: Heute ist alles gut. Wann immer man das denkt, kann man sich sicher sein, dass am Nachmittag der Anruf kommt, der das ganze Ding über den Haufen wirft. In der Kultur ist immer alles auf Kante genäht. Insofern passiert auch immer irgendwas.

Aber die Situation jetzt war ja doch besonders.

Ja, weil es kaum etwas anderes gab. Man war die ganze Zeit damit beschäftigt, so gut wie möglich zu helfen. Und da war ehrlicherweise nicht nur ein Loch, zwischenzeitlich fehlte ja schlicht der Boden des Eimers. 

Carsten Brosda und Nadine Rinke

Carsten Brosda im Gespräch mit MOPO-Redakteurin Nadine Rinke. 

Foto:

Marius Roeer

Sie haben trotzdem relativ früh gesagt, dass Kultur möglich sein muss. Warum? 

Was wäre denn gewesen, wenn ich gesagt hätte: Wir machen jetzt alles zu und warten ab, bis wir einen Impfstoff haben? Das wäre keine Alternative. Es wurde ja sehr schnell offensichtlich, was fehlt. Außerdem hatte ich auch die Sorge davor, was passiert, wenn wir in eine Art zu langen Winterschlaf gehen. Verlieren wir dann vielleicht auch gesellschaftlich das Bewusstsein für die Relevanz kultureller Orte?  

Daran gibt’s auch Kritik. Eins der Argumente ist, dass das eine falsche Normalität vorgaukelt.

Ich glaube nicht, dass es sich für irgendjemand schon wieder ganz normal anfühlt. Wer jetzt in ein Theater geht, wird feststellen: Das sieht nicht so aus und das fühlt sich nicht so an wie vorher. Aber ich möchte keinen kulturellen Moment missen, der jetzt wieder möglich ist. Das, was fehlt, zeigt auch, worum wir uns kümmern müssen. Natürlich ist das besonders für private Anbieter ökonomisch schwer zu realisieren und oft eine echte wirtschaftliche Zumutung. Darum müssen wir helfen. 

Kompliziert, oder? 

Wir entwickeln Lösungen, wie wir auch denjenigen helfen können, die an der Kante zwischen Wirtschaftsbetrieb und Kulturbetrieb arbeiten – das ist ja gerade im Bereich der Musik bei vielen der Fall. Wir müssen gemeinsam sehen, dass wir durch diese Zeit der gesundheitlich notwendigen Beschränkungen kommen, ohne dass dabei ökonomisch jemand über die Wupper geht. Auch wenn es schwierig ist.

Und es wird schwierig bleiben, bis sich die medizinische Lage ändert. 

Aber das ist ja noch mehr ein Grund dafür, jetzt nicht Selbstmord aus Angst vor dem Tod zu begehen. Ich glaube, es ist wichtig zu sagen: Die Orte sind da und die braucht es auch heute und in Zukunft!

Sie besuchen derzeit viele Theaterpremieren. Haben Sie schon Schönes erlebt?

Überall! Man sieht förmlich, wie Menschen wieder aufblühen, die ja davon leben, in der Öffentlichkeit zu arbeiten und nicht nur in einen Bildschirm hinein zu sprechen oder vor Autos zu singen. Dieses Sich-aufeinander-einlassen und in eine andere Welt eintauchen, das ist echt was Grandioses. Nach all den Corona-Monaten ist das ein wichtiges Signal: Sowas wie diese permanente Fokussierung im März/April auf das Thema Corona – jeden Abend ein „Brennpunkt“ und dann noch eine Sondersendung und noch eine Diskussionsrunde – das macht irgendwann auch neurotisch.

Sie müssen gerade jede Situation immer neu bewerten. Wie plant man da?

Sehr, sehr schwer, wenn ich ehrlich bin. Denn Planungssicherheit ist ja tatsächlich der Wunsch von ganz vielen, die sagen: Ich verstehe, dass jetzt nichts geht, aber sag mir doch, ab wann ich zum Beispiel wieder mehr Zuschauer rein lassen darf, damit ich disponieren kann. Da muss ich fairerweise sagen: Das weiß keiner. Da müssen wir uns gemeinsam herantasten.

Wir hoffen jetzt alle, dass das Infektionsgeschehen sich stabilisiert  und wir irgendwann noch mehr möglich machen können. Dass wir beispielsweise präziser zwischen den Genres unterscheiden können: Wenn Menschen im Kino nebeneinandersitzen und auf eine Leinwand gucken, können wir das anders bewerten und damit auch mehr möglich machen, als wenn im Zuschauerraum alle laut mitsingen? Vielleicht kann man da dann auch statt 1,50 Meter Abstand auf einen Meter ohne Maske gehen. Da sind wir gerade dran. Aber der zu Tode zitierte Satz „Wir fahren auf Sicht“ gilt leider nach wie vor. 

Gibt es irgendwas, das Sie in den vergangenen Monaten positiv überrascht hat? 

Eine ganze Menge, aber nicht nur positiv. Besonders erstaunt war ich, als im März viele quasi eine Ausgangssperre gefordert haben. Das fand ich schwer verstörend. Aber ich habe auch die Hoffnung, dass wir jetzt ein paar grundsätzliche Themen angehen, die unabhängig von Corona existierten: Wir sind verletzlich, haben uns das aber nicht eingestanden. Wir brauchen einander, haben aber oft so getan, als wäre automatisch an alle gedacht, wenn jeder nur an sich denkt.

Und es muss auch die Frage gestellt werden, wie wir künftig über Grenzen hinweg zusammenarbeiten. Das kann man global diskutieren, aber auch sehr regional zwischen Geesthacht und Bergedorf. Ich hoffe, dass wir gesellschaftlich nicht den Impuls verlieren und zurückfallen in eine Mischung aus Genöle, Verschwörungstheorien und Apathie. Wenn das so wäre, dann hätten wir es wirklich verdaddelt.

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