Verfolgter Journalist in Hamburg: „Unsere Demokratie ist in akuter Gefahr“
Für den türkischen Präsidenten Erdogan ist er ein Terrorist: Der Journalist Can Dündar steht auf der Fahndungsliste der autokratischen Regierung in seiner Heimat, er überlebte einen Mordanschlag, entkam nur knapp einer langjährigen Gefängnisstrafe und lebt seit sieben Jahren in Deutschland. Diese Woche ist der 62-Jährige in Hamburg, um bei der „Woche der Pressefreiheit“ über die Bedeutung freier Medien für die Demokratie zu sprechen. Die MOPO traf ihn zum Interview.
- Deutsch (Deutschland)
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Für den türkischen Präsidenten Erdogan ist er ein Terrorist: Der Journalist Can Dündar steht auf der Fahndungsliste der autokratischen Regierung in seiner Heimat, er überlebte einen Mordanschlag, entkam nur knapp einer langjährigen Gefängnisstrafe und lebt seit sieben Jahren in Deutschland. Diese Woche ist der 62-Jährige in Hamburg, um bei der „Woche der Pressefreiheit“ über die Bedeutung freier Medien für die Demokratie zu sprechen. Die MOPO traf ihn zum Interview.
MOPO: Für Präsident Erdogan sind Sie ein Terrorist, der „einen hohen Preis zahlen wird“. Die deutsch-türkische Bevölkerung hat bei der letzten Wahl mehrheitlich für Erdogan gestimmt. Wie sicher fühlen Sie sich in Deutschland?
Can Dündar: Ich habe mich schon in der Türkei nicht sicher gefühlt. Und ich bin es hier auch nicht. Es hat sich leider nicht viel geändert. Erdogans langer Arm verfolgt mich überall hin.
In der Türkei haben Sie einen Mordanschlag überlebt. Hat es hier auch schon Bedrohungen gegeben?
Ja. Sehr viele. Angefangen mit Erdogan selbst, der mich bei seinem Besuch in Deutschland als „Terrorist“ bezeichnete. Das hatte eine große Wirkung auf die deutsch-türkische Bevölkerung. Ich werde beschimpft – auf der Straße, im Taxi, in den sozialen Medien, wo es Hass-Kampagnen gegen mich gibt.
Sie müssen von Bodyguards bewacht werden. Was bedeutet das für Ihr Alltagsleben?
Es ist nicht leicht. Man muss jeden Schritt im Voraus planen und kann nicht spontan mal einen Freund besuchen oder einen Ausflug machen. Es gibt Gegenden, die für mich als gefährlich gelten. Darauf muss ich achten. Das ist der Preis, den ich zahlen muss.
Glauben Sie, die Sicherheitsmaßnahmen werden Sie den Rest Ihres Lebens begleiten?
Ich hoffe nicht. Aber tatsächlich ist Deutschland für mich vielleicht der gefährlichste Ort auf der Welt. Denn hier gibt es die größte Community von Erdogan-Unterstützern. Ich lebe in der gleichen Stadt wie diese Ultra-Nationalisten oder Ultra-Islamisten. Sie sind meine Nachbarn. In der Türkei gewann Erdogan 50 Prozent der Stimmen, in Deutschland 65 Prozent! Das sollte Deutschland zu denken geben.
Wie meinen Sie das?
Ich bezeichne dieses Wahlverhalten als Diaspora-Psychologie. Das gibt es auch bei der russischen Community in Deutschland. Die hier lebenden Türken konsumieren nur die türkischen Medien, die alle gleichgeschaltet sind. Sie sind Erdogans Propaganda-Maschinerie komplett ausgeliefert, und das ist pures Gift. Leider gibt es keine unabhängigen Nachrichtenkanäle in türkischer Sprache in Deutschland. Dabei wäre das so wichtig!
Wie funktioniert diese Propaganda psychologisch?
Die Medien stellen Erdogan als den größten Helden der Welt da. Als einen Mann, der für wirtschaftlichen Aufschwung in der Türkei sorgt, für moderne Flughäfen, gute Straßen, schicke Hotels. Damit wird den Menschen eine Identität geliefert, die ihnen in Deutschland nicht gegeben wird. Hier werden sie allein gelassen und sind oftmals Diskriminierung ausgesetzt.
Als ehemaliger Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet stehen Sie für unabhängigen, kritischen Journalismus. Wie schaffen Sie es jetzt, Ihre Botschaften zu transportieren?
Das ist sehr schwierig. Erdogans Propaganda bewirkt eine starke Polarisierung. Menschen, die davon beeinflusst sind, ignorieren alle Nachrichten, die nicht zu diesem Weltbild passen. Über unsere Kanäle erreichen wir nur noch die Menschen, die so denken wie wir. So entstehen Blasen.
Ist das nicht überall ein Problem? Ist die Pressefreiheit durch die sozialen Medien nicht überall in Gefahr, auch in Deutschland?
Ja, das ist auch hier ein riesengroßes Problem. Die Zeitungen, die für eine neutrale und unabhängige Berichterstattung stehen, verlieren ihre Leser. Viele Menschen vertrauen der Presse nicht mehr und wenden sich Kanälen zu, die nichts mit Journalismus zu tun haben, sondern von Personen gefüttert werden, die bestimmte Weltbilder vermitteln wollen. Sie stellen nur einseitige Informationen zur Verfügung, die in Wirklichkeit Ausschnitte darstellen oder manipuliert sind.
Worin besteht die Gefahr?
Wir verlieren unsere Demokratie. Sie wird jeden Tag schwächer und schwächer. Das dürfen wir nicht akzeptieren, als wäre es normal. Bei der „Woche der Pressefreiheit“ haben wir über die Grenzlinie zwischen Aktivismus und Journalismus gesprochen. Wir Journalisten müssen die Demokratie verteidigen und um sie kämpfen. In gewisser Weise werden wir damit zu Aktivisten.
Sie meinen, der Beruf des Journalisten verändert sich?
Ja. Wir haben jetzt eine Mission. Wir müssen klar Position beziehen. Gegebenenfalls müssen dafür auch journalistische Standards aufgegeben werden. Wenn die Demokratie in Gefahr gerät, gibt es keine Neutralität mehr. Beispiel Ukraine-Berichterstattung: Ich bin dagegen, dass wir sowohl die russischen als auch die ukrainischen Positionen abbilden. Es geht hier um unsere Freiheit. Es gibt keinen anderen Weg. Sonst enden wir in einer Autokratie.
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Sie haben das am eigenen Leib erlebt und sind geflohen. Was bedeutet es für Sie, im Exil zu leben?
Es ist eine Erfahrung. Gerade wenn man schon ein gewisses Alter erreicht hat. Auf der einen Seite ist es tragisch – man lässt alles hinter sich. Sein Land, sein Zuhause, seine Familie, seine Freunde, seine Bibliothek. Man startet ganz von vorne. Von Null. Ein neues Land, eine neue Sprache und Umgebung. Aber ich sehe es auch als eine Chance, eine Herausforderung, bei der man viel lernen kann. Man kann sein Leben noch mal anders angehen, sich neu beweisen in einem anderen Umfeld. Ich habe gute Kontakte aufgebaut zu deutschen Medien. Das ist ein großes Glück für mich.