Wie eine Richtlinie Tempo 30 in Hamburg blockiert
In Paris, London und Brüssel gilt es schon und auch viele Gemeinden in Deutschland machen sich dafür stark: Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in den Städten verspricht nicht nur mehr Sicherheit, sondern auch bessere Luft und weniger Lärm. In Hamburg hat diese Idee allerdings bisher noch keine politische Mehrheit gefunden. Dazu kommt: Sogar die reguläre Ausweisung von Tempo 30-Strecken hat sich hier in der Vergangenheit als sehr kompliziert und mühsam gestaltet – mitunter mussten dafür erst tödliche Unfälle passieren. Warum ist das so und was hat sich seitdem verändert?
In Paris, London und Brüssel gilt es schon und auch viele Gemeinden in Deutschland machen sich dafür stark: Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in den Städten verspricht nicht nur mehr Sicherheit, sondern auch bessere Luft und weniger Lärm. In Hamburg hat diese Idee allerdings bisher noch keine politische Mehrheit gefunden. Dazu kommt: Sogar die reguläre Ausweisung von Tempo-30-Strecken hat sich hier in der Vergangenheit als sehr kompliziert und mühsam gestaltet – mitunter mussten dafür erst tödliche Unfälle passieren. Das ist zum Glück heute nicht mehr so, trotzdem macht eine ganz bestimmte Richtlinie oft einen Strich durch die 30er-Rechnung.
Wer in den Sitzungsunterlagen der Bezirke wühlt, findet einen Haufen Anträge, die alle sinngemäß lauten: Das Tempo in Straße XY ist zu hoch, deshalb soll die Geschwindigkeit auf 30 km/h gedrosselt werden, um die Sicherheit von Anwohnern oder von Kita- und Schulkindern zu erhöhen.
Wo kann Tempo 30 in Hamburg angeordnet werden?
In der ersten Runde müssen die Abgeordneten der jeweiligen Bezirksversammlung über diesen Antrag abstimmen. Bevor Tempo 30 dann aber gilt, muss das zuständige Polizeikommissariat diesen Beschluss noch prüfen.
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Grundlage für deren Entscheidung ist wiederum ein neunseitiges Dokument mit dem sperrigen Namen „Hamburger Richtlinien zur Anordnung von Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen“ (HRVV). Dieses wurde im Jahr 2018 nach Änderung der Straßenverkehrsordnung (StVO) von der Innenbehörde verfasst.
Die HRVV legen detailliert fest, wann Tempo 30 gelten darf – und wann nicht. Denn noch immer braucht es gute Gründe, um die Geschwindigkeit in einer Hauptverkehrsstraße herabzusetzen. Das liegt daran, dass die StVO, auf die auch die HRVV fußen, eben aus einer Zeit stammt, in der das Auto auf dem Vormarsch war. Deshalb genießt der Verkehrsfluss immer noch hohe Priorität.
Tempo 30: Ist eine Straße ein Unfallschwerpunkt?
„Früher war es sogar immer nötig zu prüfen, ob die potentielle Tempo 30-Strecke ein Unfallschwerpunkt ist“, erklärt die Eimsbütteler Grünen-Fraktionschefin Kathrin Warnecke. „Um zu einem Unfallschwerpunkt zu werden, musste aber eben auch ein schlimmer Unfall passieren. Dabei wäre es doch wichtig, genau das mithilfe von zum Beispiel Tempo 30 zu vermeiden.“ Als besonders schlimm hat sie noch den Unfall im Jahr 2015 an der Bundesstraße in Höhe der Kaifu-Lodge in Erinnerung: Eine Joggerin war an der Fußgängerampel von einem Autofahrer überfahren worden und verstorben. Die Ampel hatte für den Autofahrer Rot gezeigt. „Dann ging das plötzlich mit dem Tempo 30.“
Inzwischen habe sich das aber deutlich verändert, betont sie. Nicht nur die StVO gibt den Kommunen inzwischen mehr Freiheit für Tempo 30, auch die HRVV haben sich gelockert: Eine soziale Einrichtung, etwa Kita, Schule, Altenheim oder Krankenhaus, kann das Tempolimit begründen. In der alten Version der HRVV stand dem dann oftmals noch der Busverkehr im Weg, der nicht ausgebremst werden dürfe. In der neuesten Fassung ist das kein Hinderungsgrund mehr – solange es nicht mehr als eine Fahrspur gibt.
Martinistraße: Erst kein Tempo 30 – und jetzt doch
Ein Beispiel dafür ist die Martinistraße in Eppendorf: Dort befinden sich nicht nur zwei Kitas, sondern auch Seniorenwohnen und das UKE. 2018 lehnte die Polizei dort noch Tempo 30 mit Verweis auf den Busverkehr ab. Im Januar 2023 versuchte es der Bezirk Hamburg-Nord erneut und siehe da: Aufgrund der einspurigen Fahrbahn stimmte die Polizei dem Antrag dieses Mal zu.
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Das heißt allerdings nicht, dass plötzlich überall Tempo 30 ausgeschildert werden kann. Bei mehrspurigen Straßen befürchtet die Innenbehörde weiterhin „eine Verkehrsverlagerung auf Wohnnebenstraßen“, heißt es auf MOPO-Nachfrage. Sprecher Tim Spießberger betont, dass eine soziale Einrichtung kein Automatismus für Tempo 30 bedeute. Das seien immer Einzelfallprüfungen.
Warum wird bei einigen Kitas kein Tempo 30 angeordnet?
Bei der Elbkinder-Kita am Südring lehnte die Polizei die Geschwindigkeitsbegrenzung zum Beispiel ab. „Die Bring- und Abholsituation wird fast ausschließlich nicht über die (…) Anschrift Südring 40 abgewickelt, sondern (…) über den verkehrssicheren Hintereingang im Wiesenstieg“, heißt es in der Begründung. Und auch die Kita im Weg beim Jäger in Groß Borstel hat Pech gehabt. Sie hat laut der Polizei keinen direkten Zugang zu der genannten Straße.
Es ist und bleibt ein bürokratischer Hickhack. Den Hamburger Bezirken reicht es inzwischen: Die Grünen in Eimsbüttel wollen alle bezirklichen Straßen auf Tempo 30 prüfen lassen, die Altonaer Linken schlagen das Limit sogar flächendeckend als Modellversuch vor.
Hamburg hat sich der Tempo-30-Initiative nicht angeschlossen
Darauf zielt auch die Tempo-30-Initiative „Lebenswerte Stadt“ ab, der bereits 560 Städte, Kreise und Gemeinden beigetreten sind – Hamburg ist bis heute kein Teil davon. Das lehnte die Bürgerschaft im Sommer 2022 ab. Natürlich sei in Hamburg mehr Raum für Tempo 30, sagte SPD-Verkehrsexperte Ole Thorben Buschhüter damals. Allerdings solle die Regelgeschwindigkeit pauschal von 50 auf 30 km/h reduziert werden. „Und das ist ein Punkt, an dem sich die Geister scheiden.“
Genau das fordert allerdings wiederum der Hamburger Klimabeirat, ein unabhängiges Gremium von 15 Wissenschaftlern, vom Senat. „Das bedeutet weniger Lärm, weniger Schadstoffe, weniger Treibhausgasemissionen und mehr Verkehrssicherheit“, fasste der stellvertretende Vorsitzende Jörg Knieling die Vorteile zusammen. Insgesamt gilt auf 59 Prozent des Hamburger Straßennetzes Tempo 30, davon liegen allerdings nur zwei Prozent auf den Hauptverkehrsstraßen.