Bridge & Tunnel: Hamburger Modelabel setzt auf Qualität statt Quantität
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Umweltzerstörung, Ausbeutung, Klimawandel – so wie jetzt können wir nicht weitermachen. Die MOPO stellt gemeinsam mit „Viva con Agua“-Geschäftsführerin Carolin Stüdemann in der Serie „Auf ein Wasser mit …“ Unternehmerinnen und Vordenker vor, die eine bessere Welt schaffen. Heute: Constanze Klotz. Sie hat mit Hanna Charlotte Erhorn das Modelabel Bridge & Tunnel gegründet und gibt nicht nur Jeansresten eine zweite Chance, sondern auch ihren Mitarbeiter*innen.
Carolin Stüdemann: Wie viele Kleidungsstücke hast Du in deinem Schrank und wie viele davon sind aus gebrauchten Materialien?
Constanze Klotz: Ich gehöre leider nicht zu den Menschen, die in Sachen Kleidung minimalistisch unterwegs sind. Ich besitze tatsächlich relativ viele Klamotten, mittlerweile aber fast nur von fairen Marken oder Kleidungsstücke, die ich schon richtig lange besitze, pflege und regelmäßig trage – so wie es Mode eigentlich verdient hat. Aus gebrauchten Materialien habe ich auch einige Teile, etliche Secondhand-Stücke und natürlich unsere eigenen Designs!
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Ganz schön viel.
Ja und nein. Wir machen uns jeden Tag für Qualität vor Quantität stark: weniger kaufen, dafür in besserer Qualität. Zusätzlich geht es aber auch um Slow statt Fast Fashion, dass wir also nicht nur grundsätzlich weniger kaufen, sondern Kleidungsstücke auch möglichst lange tragen sollten. Slow Fashion ist eine Lebenseinstellung, die über Trends hinausgeht und in der uns Teile – wie gute Freunde – lange wertschätzend begleiten.
Ist Bridge & Tunnel aus der Motivation heraus entstanden, mit Geflüchteten und auf dem ersten Arbeitsmarkt benachteiligten Menschen zu arbeiten oder weil Ihr Mode machen wolltet?
Das ging Hand in Hand. Meine Mitgründerin Lotte und ich lieben beide Design und Mode und haben seit 2013 einen Co-Working Space für Designer*innen in Wilhelmsburg geleitet. Als wir hörten, dass sich ein deutsch-türkischer Nähclub einmal wöchentlich in einer Moschee um die Ecke zum Nähen trifft, haben wir sie kurzerhand eingeladen, ihren Nähtreff in unserer voll ausgestatteten Werkstatt zu machen – und hatten dann ein echtes Erweckungserlebnis. Die Frauen konnten alle wahnsinnig gut nähen, hatten aber alle Zeit, mittwochs vormittags an einem Nähtreff teilzunehmen. Uns war schnell klar, dass sie keiner geregelten Arbeit nachgehen. Das hat uns angesichts ihres wahnsinnigen handwerklichen Talents sehr betroffen gemacht. Wir haben uns dann entschieden, ein Label zu gründen, das gesellschaftlich benachteiligte Menschen mit genau diesem Talent in Arbeit bringt. Mittlerweile gehören zu unserem Produktionsteam sieben Näher*innen aus sechs Ländern, darunter Mitarbeiter*innen mit Fluchtgeschichte, einer Lebensgeschichte, die von Langzeitarbeitslosigkeit geprägt ist oder physischen Handicaps wie Gehörlosigkeit. Wir haben den Claim „We design society“ entwickelt. Der drückt perfekt aus, wie wir Design verstehen: als Möglichkeit, unsere Gesellschaft zu gestalten, im doppelten Sinne.
Es gibt Studien, die Vorteile von diversen Teams ermitteln. Welche Vorteile siehst du?
Wieviel Zeit hast du? Es ist ein absoluter Reichtum in einem diversen Team zu arbeiten. Die Vielzahl an Perspektiven, Haltungen, Kenntnissen und Geschichten befruchten unsere Arbeit und das gegenseitige Verständnis jeden einzelnen Tag.
Wenn Ihr den deutschen Arbeitsmarkt nachhaltig verändern könntet – was wäre deine Vision dafür?
Talents over diploma! Den Menschen, nicht die Zeugnisse sehen.
Meinst du, dass Upcycling sich in der Modebranche durchsetzen kann?
Nein, das denke ich nicht. Upcycling ist wahnsinnig aufwendig und kostenintensiv. Versteh mich nicht falsch, wir lieben Upcycling und finden es absolut wichtig, bestehende textile Ressourcen durch Upcycling zu verlängern. Aber nicht jedes Textil ist dazu geeignet. Für die Mode- und Textilbranche ist Upcycling nur ein Ansatz einer nachhaltigen Strategie. Es braucht parallel aber unbedingt weniger Masse und kreislauffähige Konzepte, bei denen Textilien auseinandergenommen und zu neuen Fasern verarbeitet werden. Das geht aber nur, wenn die Anfangsqualität deutlich besser ist als das aktuell der Fall ist.
Für die Herstellung einer Jeans werden rund 8000 bis 10 000 Liter Wasser verbraucht. Upcycling von Jeans spart also auch Wasser ein. Ist das für euch ein Thema?
Definitiv. Jeans sind, was das betrifft, echt fiese Zeitgenossen. Sie entstehen aus Baumwolle, einer Pflanze, die wahnsinnig viel Wasser verbraucht und die in konventioneller Herstellung oft mit sehr vielen Pestiziden behandelt wird, was wiederum wahnsinnige Schäden für die Böden nach sich zieht. Außerdem werden viele Jeans mehrfach gewaschen, bevor sie überhaupt getragen werden, um einen bestimmten Look zu erzeugen. Die Bilanz einer Jeans ist vor allem deshalb so fatal, weil sie oft nur eine Saison getragen wird. Das wird den Ressourcen, die dafür verbraucht wurden, der menschlichen Arbeitskraft, die in die Produktion geflossen ist, und dem ökologischen Fußabdruck, den die Hose erzeugt hat, bevor sie überhaupt in unseren Stores hängt, einfach nicht gerecht.
Wie können Hamburger*innen Euch unterstützen?
Wir freuen uns natürlich, wenn Ihr unsere Designs kauft oder an unser Non-Profit-Unternehmen spendet. Wir freuen uns aber genauso, wenn Ihr Euch über Fair Fashion schlau macht. Es lohnt sich!