Brauchen wir ein Verbrennerverbot in der Innenstadt, Herr Kerstan?
Habecks Öko-Heizung sorgt bundesweit für Empörung, in Hamburg gibt es Kritik am schleppenden Ausbau der Fernwärme und nun verzögert sich auch noch das Aus für die Kohle-Dreckschleuder Wedel. Dazu noch die jüngste Klatsche des Hamburger Klimabeirats, der die Klima-Ziele 2030 extrem gefährdet sieht – für die Grünen hagelt es von allen Seiten Tadel. Wie sehr hat die Debatte ihnen geschadet? Brauchen wir fürs Klima noch radikalere Maßnahmen? Und wie weit reicht sein Verständnis für die Aktivisten der „Letzten Generation” wirklich? Die MOPO hat mit Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) gesprochen.
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Habecks Öko-Heizung sorgt bundesweit für Empörung, in Hamburg gibt es Kritik am schleppenden Ausbau der Fernwärme und nun verzögert sich auch noch das Aus für die Kohle-Dreckschleuder Wedel. Dazu noch die jüngste Klatsche des Hamburger Klimabeirats, der die Klima-Ziele 2030 extrem gefährdet sieht – für die Grünen hagelt es von allen Seiten Tadel. Wie sehr hat die Debatte ihnen geschadet? Brauchen wir fürs Klima noch radikalere Maßnahmen? Und wie weit reicht sein Verständnis für die Aktivisten der „Letzten Generation” wirklich? Die MOPO hat mit Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) gesprochen.
MOPO: Herr Kerstan, ich lebe in einer Wohnung, oberes Stockwerk, mit Gastherme – wie Hunderttausende Hamburger auch. Eine Wärmepumpe kann ich mir da nicht einbauen, Fernwärme gibt es bei uns nicht. Wie heize ich in Zukunft?
Jens Kerstan: Drei Dinge sind wichtig: 1. Es gibt deutlich mehr Alternativen als nur die Wärmepumpe. 2. Es gibt kein Gasheizungsverbot, sondern nur die Pflicht, 65 Prozent der Energie aus Erneuerbaren herzustellen. Unter Umständen können Sie Ihre Therme also weiter nutzen. Auch Pelletspeicher sind möglich, ebenso wie eine Zentralheizung, wenn Vermieter oder Eigentümergemeinschaft mitspielen. 3. Wir bauen Fernwärme massiv aus.
Ich hänge also von ziemlich vielen unsicheren Variablen oder teuren Umbauten ab.
Unser Ziel ist, für jedes Haus in der Stadt eine Lösung anzubieten. Daran arbeiten wir jetzt.
Sie bieten die Lösung an?
Wir liefern sie nicht, aber wir wollen für jeden Ort zeigen, was möglich ist. Im Herbst werden wir zum Beispiel sagen können, welche Gebiete künftig sehr zügig oder perspektivisch mit Fernwärme versorgt werden sollen. Darauf kann man sich dann als Bewohner einstellen.
Wie viele Haushalte wird das betreffen?
Wir bauen massiv aus, suchen mit Hochdruck nach Standorten auch für kleinere Anlagen, um das Netz zügig zu erweitern. In Einzel- und Reihenhäusern wird sicher die Wärmepumpe die günstigere Lösung sein, aber in stark verdichteten Gebieten ist Fernwärme die beste Lösung. Wie genau das Ergebnis sein wird, können wir noch nicht sagen, das hängt auch an der neuen Bundesgesetzgebung, wie schnell wir sein müssen. Bei unserem eigenen Gesetz hätten wir noch drei Jahre Zeit gehabt, um mit der Wohnungswirtschaft nach Lösungen zu suchen.
Das heißt, Habeck setzt Sie jetzt auch unter Druck?
Naja, wir Grüne in Hamburg hätten das auch gerne schneller gemacht. Aber im Kern ist unser eigenes Heizungsgesetz fast identisch mit Habecks Vorschlag, nur mit längeren Fristen. Die Paragrafen in unserem Gesetz, die sich auf Heizungstausch beziehen, werden wir jetzt gar nicht mehr in die Bürgerschaft bringen, da die Bundesregelungen eh Vorrang haben.
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Das Hamburger Gesetz zum Heizungstausch hat kaum für Diskussionen gesorgt, Habeck ist sein Entwurf um die Ohren geflogen. Was hat er falsch gemacht?
Nicht viel, aber er hat das Problem, die FDP als Partner zu haben, die Sand ins Getriebe streut, wo sie nur kann. Das ist auch nicht überraschend: Habeck macht das, was wir auch machen – nämlich fossile Brennstoffe durch Erneuerbare zu ersetzen. Da gibt es viele, die viel zu verlieren haben, in der fossilen Industrie, aber auch in Teilen der Wohnungswirtschaft, wo mancherorts nicht eingesehen wird zu investieren, um Mieterinnen und Mietern günstige Energiepreise zu ermöglichen.
Habeck sagt selbst, er will das Gesetz jetzt ändern und „besser machen“.
Habeck muss Kurs halten, aber natürlich kann man Gutes noch weiter verbessern. Die seit Wochen anhaltende Diskussion hat ja geradezu „trumpsche“ Züge angenommen und sich völlig von Fakten entfernt, vor allem in Bezug auf Wärmepumpen. In fast allen Fällen bietet die Wärmepumpe Vorteile. Auch in völlig unsanierten Häusern, und zwar ohne neue Heizkörper, Dämmung von Wänden und Dach usw. Und: Niemand wird ab 1. Januar 2024 eine funktionsfähige Heizung ausbauen müssen, auch werden kaputte Heizungen repariert werden können.
Das Problem ist doch, dass Strom fast vier Mal so teuer ist wie Gas.
Deshalb bauen wir die Erneuerbaren jetzt massiv aus, die senken im Moment die Preise. Und auch da hat Robert Habeck jetzt alle Bremsen gelöst.
Bislang haben die Erneuerbaren aber dazu geführt, dass wir in Deutschland mit die höchsten Strompreise der Welt für Privatleute haben.
Ja, das liegt am absurden Marktdesign. Die staatliche Regulierung hat Erneuerbare über Abgaben künstlich teurer gemacht und Fossile billiger. Auch das versucht Habeck jetzt auf EU-Ebene zu ändern.
Sie bauen derzeit Ihr Haus um – wie heizen Sie in Zukunft?
Ich baue eine Wärmepumpe ein, die mit Solarstrom vom Dach läuft und habe einen Batteriespeicher im Keller. Dazu habe ich bereits Solarthermie für warmes Wasser. Und dann behalte ich meinen Gaskessel.
Der Umweltsenator heizt weiter mit Gas?
Die Therme ist relativ neu, es wäre unsinnig, sie jetzt rauszureißen, weil dann die Wärmepumpe deutlich größer dimensioniert sein müsste. Künftig springt die Gasheizung dann aber nur an sehr kalten Tagen an. Das ist im Sinne von Habecks Gesetz, das Gasheizungen ja mitnichten verbietet, und eine vernünftige Lösung für die nächsten Jahre.
Hamburg heizt derzeit noch zu 80 Prozent mit fossilen Brennstoffen. Die Abschaltung der Kohle-Dreckschleuder in Wedel wurde wieder verschoben. Ihre Ziele, bis 2030 den CO2-Ausstoß um 70 Prozent zu verringern, werden Sie kaum einhalten können.
Wir haben uns gesetzlich verpflichtet, die Hamburger Fernwärme frei von Kohle zu machen, und das schaffen wir auch. Wedel hat sich verzögert, das ist bedauerlich, aber Ende 2025 wird dort der Betrieb stoppen, dann wird das Kraftwerk nur noch bereitstehen, falls die neuen Anlagen im Testbetrieb ausfallen sollten.
Aber dort wird ein Großteil der Wärme dann mit Gas produziert, während genau das den Normalbürgern verboten wird.
Nein, denn gut 60 Prozent wird aus Erneuerbaren kommen, nur die Minderheit aus Gas.
Erneuerbare heißt Industrieabwärme und Müllverbrennung?
Ja, die Wärme kommt dann unter anderem aus dem Stahl- und dem Aluwerk, aber auch aus einer Wärmepumpe im Klärwerk, die übrigens die modernste ihrer Art in Europa sein wird.
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Was ist mit Tiefstack, wo Hamburgs Osten versorgt wird?
An dem Konzept arbeiten wir mit Hochdruck. Ziel: 100 Prozent Erneuerbare bis 2030. Dann wird Hamburg komplett aus der Kohle ausgestiegen sein. Intern wünsche ich mir schon 2028, das können wir nur nicht versprechen.
Kommt da auch eine gigantische Wärmepumpe hin?
Ja, eine Flusswärmepumpe soll die Energie der Bille nutzen. Auch das ist völliges Neuland und gibt es so nicht in Kontinentaleuropa in der Größe. Da bewegt sich jetzt enorm viel. Auch bei der Geothermie, wo heißes Wasser aus tiefen Gesteinsschichten kommt und künftig nicht nur in Wilhelmsburg genutzt werden soll.
Dennoch konstatierte der Klimabeirat gerade: Es passiert zu wenig zu langsam, die Ziele für 2030 sind kaum erreichbar.
Es braucht ein neues Klimaschutzgesetz, an dem arbeiten wir derzeit. Unter anderem wollen wir die Solardachpflicht auf 2024 vorziehen und mit einer Pflicht zur Dachbegrünung verbinden. Zur Wahrheit gehört aber auch: Selbst Minus 70 Prozent bis 2030 bringen uns nicht auf den 1,5-Grad-Pfad. Unser Problem: Etwa die Hälfte der Emissionen können wir in Hamburg begrenzen, die andere Hälfte liegt an Bundesvorgaben.
Das Hauptproblem ist der Verkehr, wo die Emissionen kaum sinken. Braucht es radikale Maßnahmen wie ein Verbrennerverbot in der Innenstadt?
Das ist in dieser Legislaturperiode kein Thema.
Weil die SPD nicht mitspielt?
Wenn es denn für nötig gehalten wird, wäre das etwas für zukünftige Koalitionsverhandlungen.
Wie sehr hat die Heizungsdebatte den Grünen geschadet?
Sehr. Wir Grüne sind auf Bundes- und Landesebene dabei, die Dinge wirklich grundlegend zu verändern, nicht nur hier und da ein bisschen Klimaschutz und fertig. Da ist es nicht verwunderlich, dass es heftigen Widerstand gibt. Fast alle politischen Kräfte haben sich gegen uns gestellt. Die Menschen merken jetzt: Energiewende erfordert Veränderungen, sie kostet Geld und Anstrengungen, liebgewonnene Verhaltensweisen müssen umgestellt werden. Wenn man das konsequent angeht wie Robert Habeck, kriegt man viel Feuer. Und das sieht man dann eben auch in den Umfragen. Aber ich bin sicher: Wenn wir konsequent bleiben und Ergebnisse sichtbar werden, die ja auch die Lebensqualität in vielen Bereichen steigern werden, was Luftverschmutzung, Verkehrsbelastung usw. angeht, dann werden wir die Wähler auch überzeugen.
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Was ist mit den Straßenblockierern der „Letzten Generation“, die wurden auch von Grünen stark kritisiert. Haben Sie Verständnis für die Aktivisten?
Ja, sehr großes sogar. Als ich jung war, habe ich auch oft auf der anderen Seite gestanden, in Brokdorf, im Wendland, in Wackersdorf. Für uns war damals die Hoffnung, dass die Grünen die Dinge in Verbindung mit der Bewegung ändern werden. Aber es geht zu langsam voran. Und deshalb hat die junge Generation jedes Recht zu protestieren.
Auch wenn sie ständig die B5 von Bergedorf in die City, ihren Arbeitsweg, blockieren würden? Oder den Flughafen?
Ich finde nicht jeden Protest zielführend. Mich besorgt, dass stärker auf Konfrontation und Polarisierung gesetzt wird. Da sind Aktionen dabei, die dem Klimaschutz nicht förderlich sind, weil sie Widerstand in der Bevölkerung auslösen und die Akzeptanz von Klimaschutz unterhöhlen.
Die „Letzte Generation“ kritisiert auch die Grünen massiv, Teile der Umweltbewegung entfernen sich von der Partei.
Es ist wohlfeil, die Grünen für angeblich zu wenig Klimaschutz zu kritisieren, wenn wir wie beim Heizungsgesetz alleine im Feuer der Kritik stehen. Unsere Gegner nutzen das, um uns Grüne zu diskreditieren – und dann die Klimapolitik zurückzudrehen. Wenn wir da nicht stärker aus der Bewegung unterstützt werden, geraten wir wirklich zwischen Hammer und Amboss und drohen zerrieben zu werden.