Bombenhagel auf Mariupol: Flucht in letzter Minute nach Hamburg
Die Einwohner von Mariupol sind Schüsse gewöhnt. Die ukrainische Hafenstadt liegt an der Grenze zu den Seperatisten-Gebieten Donezk und Luhansk. Doch etwas ist anders in der Nacht zum vergangenen Donnerstag: Tetyana, die Mutter des Hamburger Fotografen Denys Karlinskyy (46), weiß sofort: Das sind nicht die üblichen Schusswechsel. Russlands Präsident Putin beginnt den Krieg gegen die Ukraine.
Ein kleiner Koffer, die wichtigsten Dokumente. Das ist alles, was Tetyana und Viktor Karlinskyy (69) aus ihrem alten Leben mitnehmen können. Das Paar lebte bis zu der russischen Invasion vergangenen Donnerstag in einem Haus am Rande der Hafenstadt Mariupol. Nur 1,5 Kilometer entfernt ein ukrainischer Stützpunkt, 30 Kilometer weiter die Grenze zu den seit Jahren umkämpften Separatisten-Gebieten.
Hamburg: Fotograf bangt um seine Eltern in der Ukraine
Tetyana ist gelernte Ingenieurin, Viktor Musiker. Seit Freitag sind sie Flüchtlinge. Um 15 Uhr steigt das Paar in einen der letzten Evakuierungszüge.
Mariupol steht mittlerweile unter russischem Dauerbeschuss. Die Stromversorgung ist unterbrochen, Infrastruktur, Häuser und Schulen sind zerstört, sagt Bürgermeister Wadym Boitschenko am Dienstag. Es gebe viele Verletzte. Die russischen Truppen rücken derzeit von zwei Seiten an der Küste am Asowschen Meer vor: von der annektierten Halbinsel Krim sowie von der russischen Grenze. Russische Separatisten planen die Einkesselung der strategisch günstig gelegenen Stadt mit einer halben Million Einwohner.
- Deutsch (Deutschland)
MOPO+ Abo
für 1,00 €Jetzt sichern!Die ersten 4 Wochen für nur 1 € testen!Unbeschränkter ZugangWeniger Werbung
Danach nur 7,90 € alle 4 Wochen
Wenn Sie E-Paper Kunde sind, betrifft diese Änderung Sie nicht.
Die Einwohner von Mariupol sind Schüsse gewöhnt. Die ukrainische Hafenstadt liegt an der Grenze zu den Seperatisten-Gebieten Donezk und Luhansk. Doch etwas ist anders in der Nacht zum vergangenen Donnerstag: Tetyana, die Mutter des Hamburger Fotografen Denys Karlinskyy (46), weiß sofort: Das sind nicht die üblichen Schusswechsel. Russlands Präsident Putin beginnt den Krieg gegen die Ukraine.
Ein kleiner Koffer, die wichtigsten Dokumente. Das ist alles, was Tetyana und Viktor Karlinskyy (69) aus ihrem alten Leben mitnehmen können. Das Paar lebte bis zu der russischen Invasion vergangenen Donnerstag in einem Haus am Rande der Hafenstadt Mariupol. Nur 1,5 Kilometer entfernt ein ukrainischer Stützpunkt, 30 Kilometer weiter die Grenze zu den seit Jahren umkämpften Separatisten-Gebieten.
Hamburg: Fotograf bangt um seine Eltern in der Ukraine
Tetyana ist gelernte Ingenieurin, Viktor Musiker. Seit Freitag sind sie Flüchtlinge. Um 15 Uhr steigt das Paar in einen der letzten Evakuierungszüge.
Mariupol steht mittlerweile unter russischem Dauerbeschuss. Die Stromversorgung ist unterbrochen, Infrastruktur, Häuser und Schulen sind zerstört, sagt Bürgermeister Wadym Boitschenko am Dienstag. Es gebe viele Verletzte. Die russischen Truppen rücken derzeit von zwei Seiten an der Küste am Asowschen Meer vor: von der annektierten Halbinsel Krim sowie von der russischen Grenze. Russische Separatisten planen die Einkesselung der strategisch günstig gelegenen Stadt mit einer halben Million Einwohner.
Tetyana und Viktor wollen zunächst nach Polen fliehen. Dort wohnt einer ihrer Söhne. Der andere, Denys, lebt in Hamburg. Denys ist aufgewühlt: „Ich bin wütend, weil ich nichts machen kann.“ Er hat Angst um seine Eltern. Fühlt sich hilflos. Immer wieder ruft er sie an, will wissen, ob der Zug vorankommt, ob es ihnen gut geht. „Die Gleise laufen parallel zu den umkämpften Gebieten“, berichtet er.
Im Zugabteil sitzen seine Mama und sein Papa zunächst alleine in einem Vierer-Abteil. Der Zug hält in Wolnowacha, einer Stadt 50 Kilometer von Mariupol entfernt. Die Nervosität steigt. Jede Unterbrechung, jeder Stopp erhöht die Gefahr nicht sicher anzukommen. An diesem Freitag, in diesem Moment, geht alles gut. Doch nur ein paar Tage später, am Dienstag, ist Wolnowacha durch die Russen bereits völlig zerstört, berichtet der ukrainische Gouverneur der Region Donezk, Pawlo Kirilenko.
Lemberg: Tausende Ukrainer versuchen einen Zug nach Polen zu bekommen
Am Samstag kommen Tetyana und Viktor gegen 18 Uhr endlich in Lemberg an. Es ist ihre letzte Station in ihrem Heimatland. Der Bahnsteig ist unter dem wogenden Meer sich drängender Menschen nicht zu sehen. Die Stadt mit 700.000 Einwohnern im Westen der Ukraine ist rund 70 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt – und derzeit Dreh- und Angelpunkt bei der Flucht gen Westen.
Das Paar bleibt trotz der Menschenmassen auf dem Bahnsteig. Zu groß ist die Angst, nicht mehr in den Folgezug nach Przemysl (Polen) zu kommen. Ein Freund von Denys bringt Tetyana Medikamente vorbei. Sie hat Probleme mit dem Blutdruck, die Tabletten in der Eile jedoch zu Hause vergessen.
Um 2 Uhr nachts ist es so weit: Der Zug fährt in den Bahnhof ein. Fast verlieren sich Tetyana und Viktor im Gedränge. Doch sie schaffen es in den Zug – im Gegensatz zu vielen anderen, die auf dem Bahnsteig zurück bleiben. Eine Chance zum Sitzen gibt es nicht. Körper an Körper stehen die Karlinskyys mit ihren Landsleuten im Waggon. Am Sonntagmittag der erste Lichtblick: Helfer bringen den Flüchtlingen Tee und etwas Süßes. Nachmittags gibt es erstmals Essen – und Powerbanks, damit alle ihre Handys aufladen können.
Warschau: Denys Eltern gelingt die Flucht aus der umkämpften Ukraine
Zwei Tage ohne Schlaf. Zwei Tage in Angst und Ungewissheit. Zwei Tage, in denen das Leben von Tetyana und Viktor sich komplett verändert hat. Völlig erschöpft kommen sie am Montag endlich in Polen an. In Sicherheit. Denys‘ Bruder nimmt sie in Empfang. Zusammen fahren sie nach Warschau. Doch die Reise ist noch nicht vorbei. Denys will seine Eltern zu sich nach Hamburg holen.
Das könnte Sie auch interessieren: Ljuba aus Kiew: Ihre herzzerreißende Botschaft an die deutschen Freunde
Wie es Tetyana und Viktor jetzt geht? Sie haben Schuldgefühle. Weil sie ihre Freunde und Bekannten in Mariupol zurücklassen mussten. Sie können nicht begreifen, was passiert ist. Doch langsam realisiert das Paar, dass es wahrscheinlich nicht wieder in sein Haus zurückkehren kann. Mariupol ist derzeit nahezu eingekesselt. „Selbst wenn der Krieg irgendwann vorbei ist, werden die Russen die Stadt nie zurückgeben“, sagt Denys. Putins Krieg hat alles verändert.