„Sie zielten mit dem Gewehr auf unser Fenster“: Was Queer-Senioren erlebt haben
„Wenn du im Alter aus dem Beruf ausscheidest, denkst du auf einmal über dein ganzes Leben nach – und dann fallen dir all die Schwierigkeiten und die kleinen und größeren Demütigungen des queeren Lebens ein.“ Seit Beginn seiner Pubertät schon lebt der jetzt 69-jährige Hamburger Friedrich Wagey offen schwul. Erst in den vergangenen Jahren wurde ihm allerdings bewusst, wie sehr ihn das geprägt und traumatisiert hat. Nun kommt eine neue Sorge dazu: Was kann und muss eigentlich diverse Pflege leisten?
An eine Situation erinnert sich der 69-Jährige noch gut. Damals, Ende der 80er Jahre, hatte eine Jugend-Gang seinem Mann und ihm vor der Wohnung aufgelauert. „Sie haben auch mit einem Luftgewehr auf unser Wohnzimmerfenster gezielt, wo gerade die Katze saß“, erzählt er. „Wir wollten Anzeige erstatten, aber von der Polizei hieß es nur, es bestünde kein Ermittlungsbedarf.“
„Wenn du im Alter aus dem Beruf ausscheidest, denkst du auf einmal über dein ganzes Leben nach – und dann fallen dir all die Schwierigkeiten und die kleinen und größeren Demütigungen des queeren Lebens ein.“ Seit Beginn seiner Pubertät schon lebt der jetzt 69-jährige Hamburger Friedrich Wagey offen schwul. Erst in den vergangenen Jahren wurde ihm allerdings bewusst, wie sehr ihn das geprägt und traumatisiert hat. Nun kommt eine neue Sorge dazu: Was kann und muss eigentlich diverse Pflege leisten?
An eine Situation erinnert sich der 69-Jährige noch gut. Damals, Ende der 80er Jahre, hatte eine Jugend-Gang seinem Mann und ihm vor der Wohnung aufgelauert. „Sie haben auch mit einem Luftgewehr auf unser Wohnzimmerfenster gezielt, wo gerade die Katze saß“, erzählt er. „Wir wollten Anzeige erstatten, aber von der Polizei hieß es nur, es bestünde kein Ermittlungsbedarf.“
Ältere Queers waren immer Diskriminierung ausgesetzt
Auch als das Paar zehn Jahre später eine neue Wohnung suchte, seien die beiden Männer auf viel Ablehnung gestoßen. „Der Makler hatte uns die Wohnung zugesagt“, erinnert sich Wagey. „Aber dann kam plötzlich die Absage vom Vermieter, schwule Paare wolle er nicht in der Wohnung.“
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Diese und ähnliche Vorfälle hätten dafür gesorgt, dass er einen automatischen Schutzmechanismus entwickelt habe. Wagey vergleicht das mit dem „Schulterblick“ beim Autofahren. „Die Vermeidung von Stigmatisierung und blöden Sprüchen steckt stark in den Knochen.“ Auch beim Händchenhalten in der Öffentlichkeit sei er vorsichtig. „In der Langen Reihe würde ich das ohne Gedanken machen – aber in den allermeisten Gegenden Hamburgs und Deutschlands eher nicht.“
Die Erfahrungen setzen sich in den Köpfen fest
Reingart Wagner, Vorsitzende des Hamburger Landesverbands „Lesben und Alter“, kennt das zu gut. „Ältere, lesbische Frauen, wie alle aus dem queeren Spektrum, waren immer wieder Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt“, sagt sie. „Das setzt sich in den Köpfen fest. Es gab viele Frauen, die aus heterosexuellen Beziehungen kamen und bei der Scheidung das Sorgerecht für ihr Kind abgesprochen bekamen – weil sie lesbisch waren. Das passierte bis in die 90er Jahre.“

Dazu käme die soziale Schieflage, besonders bei lesbischen Frauen. „Heterosexuelle Paare haben durch die Heirat so viele finanzielle Vorteile, uns steht das erst seit den 2000er Jahren zu. Lesbische Frauen konnten sich früher kaum finanziell absichern, hatten oft nicht den Zugang zu Berufen und sind deshalb sehr häufig von Altersarmut bedroht.“
Auch Einsamkeit sei ein großes Thema, erzählt Wagner. „Viele Ältere möchten weiterhin in einer Community leben. Es geht nicht darum, uns abzugrenzen, aber wir müssen passende Schutzräume für ältere Queers schaffen. Das können diverse Seniorentreffs sein, aber das gilt eben vor allem in der Pflege.“
Queer im Alter: Was bedeutet das für die Pflege?
Über Pflege im Alter habe er sich lange keine Gedanken gemacht, erzählt Friedrich Wagey. Erst seit sein Mann, der 2020 an Krebs verstarb, sehr pflegebedürftig war, befasste er sich mehr mit dem Thema. „Wir brauchen eine zertifizierte Pflege, in der die Mitarbeitenden wissen, wie man mit queeren Menschen umgeht“, sagt er.
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Dafür kämpft unter anderem der Hamburger Heiko Gerlach. Er war selbst Leitungskraft in der Pflege und setzt sich für mehr Diversität ein, gibt auch als Coach dafür Seminare. „Ganz wichtig ist die Wertschätzung und Anerkennung“, erklärt er. „Vor allem auf der emotionalen Ebene. Es ist wichtig, dass ich als queere Person offen leben und darüber mit der Pflegekraft sprechen kann, ohne Angst zu haben.“ Einige der Senior:innen hätten immer noch die Pein und Scham von früher in sich. „Die Gesellschaft hat die moralische Verpflichtung, sich in der Altenpflege wertschätzend gegenüber diesen vulnerablen Gruppen zu öffnen, damit diese nicht unsichtbar leben müssen.“
Was bringt ein queer-freundliches Qualitätssiegel?
Dabei helfen würde seiner Meinung nach eine Zertifizierung, also ein Qualitätssiegel für die Einrichtungen. „Das gäbe Sicherheit, offen mit dem Thema umzugehen.“ Gerlach nennt zum Beispiel den Regenbogenschlüssel in Frankfurt. In Hamburg gibt es kein vergleichbares Modell. Einige Institutionen beschäftigen sich zwar schon mit dem Thema diverse Pflege – darunter das Hamburg Leuchtfeuer Hospiz oder der Sozialverband AWO – aber es müsse eben vor allem auf politischer Ebene etwas passieren.

Deshalb fordert die Linke den Senat dringend zum Handeln auf. „Viele Einrichtungen haben zu wenig Wissen über queere Lebenswelten. Dabei hat jeder Mensch das Recht auf eine individuelle und respektvolle Pflege“, sagt die queerpolitische Sprecherin Carola Ensslen. Neben einem Qualitätssiegel setzt sich die Partei dafür ein, die Belange von queeren Senior:innen in Gesetzen zu verankern.
„Vielfalt, aber Schutzräume!“, fasst Wagey das Thema zusammen. Er habe das Glück gehabt, in einer sehr offenen Familie aufzuwachsen. Für seine Eltern sei seine Sexualität nie ein Problem gewesen. Dieses Privileg hätten aber nur die wenigsten seiner Altersgruppe gehabt.