Blick hinter die Mauern: Die Geheimnisse des Mercedes-Hauses an den Elbbrücken
Der geplante Abbau des Mercedes-Sterns vom Hochhaus an den Elbbrücken hat in den vergangenen Wochen für Wirbel gesorgt. Viele Hamburger beklagen den Verlust eines prägenden Teils der Stadt-Silhouette. Zurück bleibt ein nackter grauer Klotz, der als Begrüßungssymbol nach einer langen Autobahn-Fahrt eindeutig weniger brilliert als der Stern. Dabei hatte die Billhorner Brückenstraße 40 nie etwas mit Mercedes zu tun, dafür mit Lou Reed, einem längst vergessenen Kanal und einem Wandbild in Kanada. Die MOPO war zu Besuch in dem Hochhaus mit den vielen Geheimnissen.
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Der geplante Abbau des Mercedes-Sterns vom Hochhaus an den Elbbrücken hat in den vergangenen Wochen für Wirbel gesorgt. Viele Hamburger beklagen den Verlust eines prägenden Teils der Stadt-Silhouette. Zurück bleibt ein nackter grauer Klotz, der als Begrüßungssymbol nach einer langen Autobahn-Fahrt eindeutig weniger brilliert als der Stern. Dabei hatte die Billhorner Brückenstraße 40 nie etwas mit Mercedes zu tun, dafür mit Lou Reed, einem längst vergessenen Kanal und einem Wandbild in Kanada. Die MOPO war zu Besuch in dem Hochhaus mit den vielen Geheimnissen.
Schon der Weg zur Eingangstür gleicht einem Abenteuer. Um zu dem Hochhaus zu gelangen, das einsam auf einer verkehrsumtosten Insel vor den Elbbrücken steht, müssen fünfspurige Straßenzüge überquert werden, auf denen die Lkw nur so entlang donnern.
Mercedes-Haus wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Speicherhaus errichtet
Hinter der schweren Tür, von der die graue Farbe abblättert, fühlt es sich ein bisschen an, als beträte man einen Bunker, in dem die Zeit stehen geblieben ist. Die Betonwände, der alte Lastenfahrstuhl, der Terrazzo-Fußboden, der Linoleum-Belag verströmen den Charme der 50er Jahre.
Dabei ist das Haus noch viel älter. Gebaut wurde es wahrscheinlich im Jahr 1913. Ganz genau weiß es niemand, denn die Baupläne sind verschollen. Klar ist nur: Es war als Produktions- und Speicherhaus mit einem Holzkran auf dem Dach direkt an einem längst zugeschütteten Kanal errichtet worden. Eigentlich sollte es noch mit einer Rotklinker-Fassade wie die Häuser in der Speicherstadt versehen werden. Doch dann kam der Erste Weltkrieg. Und bald darauf der Zweite.
Ein Bombentreffer zerstörte im Zweiten Weltkrieg das Spitzdach mit seinem Holzkran
Das Haus überstand die Kriege aufgrund seiner schweren Eisenbeton-Konstruktionsweise, welche von Anfang an dafür gedacht war, schwere Maschinen etwa für eine Tabakfabrik in dem Gebäude unterzubringen. Lediglich das Spitzdach wurde 1943 bei einem Bombentreffer zerstört. Seitdem hat das Hochhaus ein Flachdach, auf dem wahrscheinlich in den späten 50er Jahren erste Mercedes-Stern installiert wurde.
Zu dieser Zeit wurde auch der Schwerlast-Lift eingebaut, den die Lufthansa Technik zum Betrieb ihrer Lehrwerkstatt benötigte. Im ersten Stock residierte lange eine Angelbedarf-Manufaktur. Auch die legendäre Zauberkunst-Handlung Bartl hatte hier ein Jahrzehnt lang ihren Sitz.
Angst vor Verdrängung: Mieter aus der Kreativ-Szene gründen Verein
Ende der 70er Jahre wurde die Billhorner Brückenstraße 40 zwangsversteigert. Die Stadt erwarb das Gebäude und öffnete es für Künstler, die sich hier günstig einmieten konnten. Nach und nach bezog eine bunte Mischung aus Kreativen die sieben Etagen. Ihre Erfindungen und Arbeiten sind weit über die Stadtgrenzen hinaus zu sehen und teilweise weltberühmt.
So ging beispielsweise der Sänger Lou Reed bei O’Ton im 2. Stock regelmäßig ein und aus, um hier seine Platten produzieren. Die begehbare Achterbahn-Brücke in Pohang, Südkorea, stammt von dem Künstlerduo Heike Mutter und Ulrich Genth, die ihr Atelier im 4. Stock haben. Graffiti-Künstler Mirko Reisser („DAIM“) plante auf seiner Fläche im 3. Stock das höchste Wandbild der Welt, das heute ein Hochhaus in Calgary (Kanada) ziert.
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Erst kürzlich haben die Mieter sich zusammengetan und einen Verein gegründet. „BBS40 e.V.“ heißt er, eine Abkürzung der Adresse. Die Künstler und Kreativen befürchten, dass die Entwicklung von Rothenburgsort zu einem zweiten urbanen Hotspot nach der HafenCity zu einem Mietenanstieg führen könnte. „Wir sorgen uns, dass zukünftig keine für uns bezahlbaren Mieten in diesem Gebäude möglich sind. Eine solche Entwicklung würde für jede Einzelne und jeden Einzelnen von uns eine Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz bedeuten“, heißt es in einem Statement des Vereins. „Das Mercedes-Haus ist direkt mit unserer wirtschaftlichen Zukunft verbunden.“
Den Abbau des Sterns bedauern die Mieter. Nicht nur, weil wegen des Kultstatus‘, sondern auch, weil er ihnen jahrzehntelang Sichtbarkeit beschert hat. Immer wieder hätten Menschen geklingelt, um nach Ersatzteilen für ihre Mercedes Benz-Wagen zu fragen. Und dass, obwohl der Auto-Konzern niemals in dem Haus residiert hat. Wenn der Stern Ende Januar abgebaut ist, dürfte es auch damit vorbei sein.