„Bilder, die wir nie vergessen werden“: Einsatzkräfte und Anwohner über den Amoklauf
Die Kirche der Zeugen Jehovas an der Deelböge ist ein schmuckloser, grauer Kasten. Schnee rieselt vom Himmel, während Kriminaltechniker in weißen Anzügen die tödliche Blutspur des Amokläufers nachvollziehen. Kleine Nummerntafeln markieren das Unfassbare, ein 3D-Scanner ist im Einsatz, um den Tatablauf zu rekonstruieren. Aus dem Ausland schicken Staatsoberhäupter Beileidsbekundungen, als um 8 Uhr der erste Leichenwagen vorfährt. Hamburg ist weltweit in den Schlagzeilen, von New York bis Sydney wird berichtet. Bei Anwohnern und Einsatzkräften sitzt der Schock tief. Sie berichten der MOPO, wie sie den Amoklauf erlebten und warum sie die Bilder nie mehr vergessen werden.
1,5 Kilometer: So weit ist es vom Polizeipräsidium nördlich des Stadtparks bis zum Tatort an der Stadtteilgrenze von Alsterdorf und Groß Borstel. Auch deshalb sind die Beamten wenige Minuten nach den ersten Notrufen um 21.15 Uhr mit einem Großaufgebot vor Ort. Dort hören sie noch einen letzten Schuss – offenbar der Täter, der sich selbst in einem der oberen Geschosse richtet.
Die Kirche der Zeugen Jehovas an der Deelböge ist ein schmuckloser, grauer Kasten. Schnee rieselt vom Himmel, während Kriminaltechniker in weißen Anzügen die tödliche Blutspur des Amokläufers nachvollziehen. Kleine Nummerntafeln markieren das Unfassbare, ein 3D-Scanner ist im Einsatz, um den Tatablauf zu rekonstruieren. Aus dem Ausland schicken Staatsoberhäupter Beileidsbekundungen, als um 8 Uhr der erste Leichenwagen vorfährt. Hamburg ist weltweit in den Schlagzeilen, von New York bis Sydney wird berichtet. Bei Anwohnern und Einsatzkräften sitzt der Schock tief. Sie berichten der MOPO, wie sie den Amoklauf erlebten und warum sie die Bilder nie mehr vergessen werden.
1,5 Kilometer: So weit ist es vom Polizeipräsidium nördlich des Stadtparks bis zum Tatort an der Stadtteilgrenze von Alsterdorf und Groß Borstel. Auch deshalb sind die Beamten wenige Minuten nach den ersten Notrufen um 21.15 Uhr mit einem Großaufgebot vor Ort. Dort hören sie noch einen letzten Schuss – offenbar der Täter, der sich selbst in einem der oberen Geschosse richtet.
„Als ich die erste Einsatzmeldung las, war ich auf das Schlimmste gefasst“, erzählt ein Feuerwehrmann, der als einer der ersten am Tatort war, am Freitagmorgen der MOPO. „Am Einsatzort wurden alle Befürchtungen übertroffen. Polizisten schleppten uns Verletzte entgegen. Die waren auf der Treppe zum Ausgang verletzt worden.“
Schreckliche Nachrichten aus Hamburg. Ich richte das Beileid Frankreichs an die Angehörigen der Opfer und an alle unsere deutschen Freunde. Unsere Gedanken sind bei ihnen.
— Emmanuel Macron (@EmmanuelMacron) March 10, 2023
Zu dieser Zeit weiß niemand, ob nicht noch einer oder mehrere Schützen in der Umgebung sind. Ein Spezialeinsatzkommando sichert den Tatort und die nähere Umgebung, die extra für Terror-Lagen gegründete und entsprechend ausgerüstete Unterstützungseinheit der Polizei ist vor Ort, normale Streifenbeamte ziehen Schutzwesten und Helme auf, die Maschinenpistole im Anschlag.
Amoklauf in Hamburg: Rettern bietet sich ein grauenvoller Anblick
Als klar ist, dass keine unmittelbare Gefahr besteht, können weitere Retter in den sogenannten Königreichssaal der Zeugen Jehovas. Dort bietet sich ihnen ein grauenvoller Anblick. „Das sind Bilder, die ich nie im Leben vergessen werde“, sagt der Feuerwehrmann.

Vor Ort wird noch versucht, Opfer zu reanimieren. Am Ende sind acht Menschen tot, darunter wohl eine schwangere Frau mit ihrem ungeborenen Kind. Eine Zeugin berichtet, wie sie „vier Schussperioden“ hörte, immer „mehrere Schüsse im Abstand von 20 Sekunden bis einer Minuten“.
„Wir dachten erst, es wären Böller“, sagt Svenja K., die direkt gegenüber wohnt und zur Tatzeit mit einer Freundin auf ihrem Balkon saß. „Dumpfe Geräusche, ohrenbetäubend“.
- Marius Röer Polizisten und Beamte von Spezialeinheiten im Amok-Einsatz an der Deelböge.
Polizisten und Beamte von Spezialeinheiten im Amok-Einsatz an der Deelböge. - Röer In diesem Gebäude an der Deelböge (Alsterdorf) kam es zu dem Amoklauf. Mehrere Menschen wurden getötet, viele verletzt.
In diesem Gebäude an an der Deelböge (Alsterdorf) kam es zu dem Amoklauf. Mehrere Menschen wurden getötet, viele verletzt. - Hamburg-News Ein Polizist bringt eine völlig verängstigte Frau in Sicherheit.
Ein Polizist bringt eine völlig verängstigte Frau in Sicherheit. - Marius Roeer Schwer bewaffnete Polizisten am Tatort in der Straße Deelböge.
Schwer bewaffnete Polizisten am Tatort in der Straße Deelböge. - dpa Bestatter bringen eine abgedeckte Bahre zu ihrem Fahrzeug am
Bestatter bringen eine abgedeckte Bahre zu ihrem Fahrzeug am - dpa (Symbobild)
Die Schüsse fielen bei einer Veranstaltung der Zeugen Jehovas. - dpa Polizisten und Mitarbeiter der Spurensicherung stehen vor dem Gebäude, in dem der Amoklauf stattfand.
Polizisten und Mitarbeiter der Spurensicherung stehen vor dem Gebäude, in dem der Amoklauf stattfand. - Röer Schwer bewaffnete Beamte in der Nähe des Tatorts.
Schwer bewaffnete Beamte in der Nähe des Tatorts. - dpa Auf einem Smartphone wird die Warnmeldung angezeigt, die abends an die Hamburger gesendet wurde.
Auf einem Smartphone wird die Warnmeldung angezeigt, die abends an die Hamburger gesendet wurde. - Röer Die Feuerwehr war ebenfalls im Einsatz, versorgte Verletzte.
Die Feuerwehr war ebenfalls im Einsatz, versorgte Verletzte. - picture alliance/dpa/TNN | Steven Hutchings Ermittler der Spurensicherung am Freitagmorgen am Königreichssaal der Zeugen Jehovas in Alsterdorf.
Ermittler der Spurensicherung am Freitagmorgen am Königreichssaal der Zeugen Jehovas in Alsterdorf. - picture alliance/dpa/TNN | Steven Hutchings Ermittler und Mitarbeiter der Spurensicherung vor dem Gebäude der Zeugen Jehovas.
Ermittler und Mitarbeiter der Spurensicherung vor dem Gebäude der Zeugen Jehovas. - picture alliance/dpa/Daniel Bockwoldt Mitarbeiter der Spurensicherung im Gebäude der Zeugen Jehovas in Alsterdorf.
Mitarbeiter der Spurensicherung im Gebäude der Zeugen Jehovas in Alsterdorf.
In einem Video, aufgenommen von einem Anwohner, das den Amokläufer zeigen soll, ist zu sehen, wie der Schütze von außen mit einer Pistole in das beleuchtete Gebäude feuert. Nach mehreren Salven erlischt innen das Licht, der Mann feuert weiter, klettert durch das Fenster in das Haus, weitere Schüsse sind zu hören.
Polizei durchkämmt die Nachbarschaft und kontrolliert Anwohner
Kurz darauf finden Polizisten, die das Haus stürmen, den mutmaßlichen Täter tot vor. Der Mann soll der Gemeinde einst selbst angehört haben. Zu dem Motiv hat die Polizei bislang keine Erkenntnisse. Trotzdem durchkämmen Beamte weiter die nähere Umgebung, auch das Haus von Svenja K. Alle Anwesenden werden kontrolliert.
„Ich habe es gar nicht verstanden“, sagt Anwohner Bernd Miebach (66). Er hat von seinem Sohn (17) ein Video zugeschickt bekommen, während er in der Oper saß. In dem Ausschnitt sieht man, wie Philipp F. von draußen durch die Fensterscheibe des Gemeindehauses schießt, danach reinklettert. „Dass das so nah zu einem passiert, das ist wirklich nur Wahnsinn.“

Anwohner: „Bin froh, dass meiner Familie nichts passiert ist”
Sein 17-jähriger Sohn, der sich alleine zu Hause aufhielt, hörte die Schüsse und filmte. Er erkannte erst den Ernst der Lage, als er mit seiner Handykamera heranzoomte und das Feuer der Pistolenmündung sah. Da wusste er: „Das ist kein Spaß hier.“ Sein großer Bruder ergänzt:„Ich bin in dem Bereich früher zur Schule gegangen, die Zeugen Jehovas haben da immer ihre Sitzungen abgehalten, sie haben auf mich immer einen lieben Eindruck gemacht. Und jetzt das. Ich bin froh, dass meiner Familie nichts passiert ist – mein kleiner Bruder hätte zu der Zeit draußen sein können.“
Lilli Rittner, 18, wohnt nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt: „Nein, dachte ich, das sind keine Schüsse, nur Lärm von der nahen Baustelle.“ Doch dann seien Polizeiwagen angeschossen gekommen. „Krass wurde es, als ich realisierte, dass die Schüsse, die ich gehört habe, Menschen getötet haben.“

Polizei stoppt Fahrzeuge und warnt
Jan A. wohnt ebenfalls direkt gegenüber des Tatorts und kommt am Donnerstagabend gerade mit seinen zwei Kindern nach Hause, als ein Polizist das Fahrzeug der Familie stoppt. „Sie waren schwer bewaffnet, einer leuchtete von unten Fahrzeuge aus.” Man wies sie freundlich aber bestimmt an, den Bereich umgehend zu verlassen. „Da dachte ich sofort, es muss was Schlimmes passiert sein.”

Er sollte Recht behalten. Dieser Donnerstagabend geht mit einem der grausamsten Verbrechen, das Hamburg je erlebt hat, in die Geschichte der Stadt ein.