„Unser Leben ist ein Marathon und das unsere Ladestation“
Als sie den Hügel hinauffuhren und das herrschaftliche Anwesen vor ihnen auftauchte, kamen Iluta Heieck die Tränen. „Es hat sich angefühlt wie endlich nach Hause kommen“, sagt die Frau aus Lokstedt, deren fünfjährige Zwillingstöchter Selma und Lara am Rett-Syndrom leiden, einer tiefgreifenden genetisch bedingten Entwicklungsstörung. „Unser Leben ist ein Marathon und das hier unsere Ladestation.“ Die Mutter spricht vom „Neuen Kupferhof“ in Wohldorf-Ohlstedt – ein Ort, an dem Familien mit behinderten Kindern endlich einmal zur Ruhe kommen können. Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer Steffen Schumann (57) weiß genau, wovon die Mutter spricht. Auch er hatte einen behinderten Sohn.
Noah war ihr drittes Kind. Die Schwangerschaft verlief problemlos. Doch kurz vor der Entbindung sahen die Ärzte einen Schatten. Von Hirndruck war die Rede. Kaiserschnitt. Der erste Schrei. Danach Stille. Der Sohn von Steffen Schumann war sofort auf die Intensivstation gebracht worden. Eine Woche später wurde das Marshall-Smith-Syndrom diagnostiziert. Eine extrem seltene Erkrankung. „Man sagte uns, dass es in 34 Jahren weltweit 35 Fälle gab und unser Sohn das Jugendalter vermutlich nicht überleben würde.“
Seine Frau gab ihren Job als Krankenschwester auf und pflegte Noah Tag und Nacht mit Hilfe ihres Mannes. Ihr kleiner Sohn musste sich einem Luftröhrenschnitt unterziehen, bekam eine Trachealkanüle. Dadurch konnte er nicht einmal mehr Laute von sich geben. „Noah konnte zeit seines Lebens weder sprechen noch sitzen, essen, laufen, nicht mal seinen Kopf konnte er alleine halten.“ Doch er konnte lachen. Und das tat er gerne. „Er war ein fröhliches Kerlchen“, sagt sein Vater lächelnd. Doch ein normales Familienleben war undenkbar.
„Eltern behinderter Kinder sind 24 Stunden im Einsatz. Jeden Tag. Sie brauchen dringend Auszeiten“
Die Belastung, der Schlafmangel, weil nachts ständig der Monitor Alarm schlug, dazu noch juristische Auseinandersetzung mit der Krankenkasse. „Nie gab es Zeit, abzuschalten. Nur eine Nacht durchschlafen, einmal an den gedeckten Frühstückstisch setzen – das war unser großer Wunsch.“ Die Suche nach einem Ort, an dem Familien mit behinderten Kindern eine Auszeit bekommen, blieb jedoch erfolglos. Einzig das Kinderhospiz Sternenbrücke gab es, aber nur für Kinder mit lebensverkürzenden Erkrankungen. Steffen Schumann wollte einen Erholungsort für alle Familien mit behinderten Kindern schaffen. „Eltern behinderter Kinder sind 24 Stunden im Einsatz. Jeden Tag. Sie brauchen dringend Auszeiten.“ Er führte etliche Gespräche und ließ sich beraten. Und so wurde aus dem Pastorensohn und Chef einer kleinen Vermögensberatungs-Gesellschaft der Gründer des Vereins „Hände für Kinder“.
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Fünf Jahre lang wurde Geld gesammelt, bis der 113 Jahre alte „Neue Kupferhof“ 2013 eröffnet werden konnte. Ein imposantes Anwesen, das im Zweiten Weltkrieg kurzzeitig der Wehrmacht gehörte. Funker der Spionageabwehr hielten hier Kontakt zu deutschen Agenten im Ausland. Danach war der „Kupferhof“ lange Schulungshaus der Stadt Hamburg, bevor der Verein „Hände für Kinder“ ihn nach langen Verhandlungen mit Hilfe der Haspa und Spendern übernahm. Fünf Millionen Euro kosteten Kauf und Umbau. Die Hälfte wurde gespendet, die andere Hälfte finanziert.

Im ersten Stock entstanden zwölf Pflegezimmer für die Kinder, im Erdgeschoss Appartements für die Eltern und Geschwister. Sie können jederzeit zum Kind, müssen es aber nicht. „Bei aller Sehnsucht nach Entlastung müssen die Eltern erst einmal lernen, loszulassen und unseren Mitarbeitenden ihre Kinder anzuvertrauen“, sagt Steffen Schumann.
Etwa 400 Familien besuchen den „Neuen Kupferhof“ im Jahr für mindestens eine Woche. Bis zu 28 Tage dürfen sie bleiben. Die Eingliederungshilfe übernimmt einen Teil der Kosten für die Kinder. Den Rest trägt der Verein. Eltern zahlen 80 Euro pro Nacht, Geschwister 15 Euro inklusive Reinigung und Vollverpflegung.
„Manche kommen mit massiven Problemen hier an. Von großen Eheproblemen bis hin zu Suizidgedanken“
Um die Familien, die aus ganz Deutschland anreisen, kümmert sich ein Team aus 70 Angestellten, zumeist Pflegekräfte, und 70 Ehrenamtlichen. Neben der häufig aufwendigen Pflege gibt es etliche Angebote – wie Musiktherapie für die Kinder, Massagen für die Eltern, gemeinsame Lagerfeuerabende und Elterntreffen. Zudem soll es demnächst auch psychologische Hilfe geben. „Manche kommen mit massiven Problemen hier an. Von großen Eheproblemen bis hin zu Suizidgedanken.“
Steffen Schumann weiß, wie belastend das Leben mit einem behinderten Kind ist. Aber er weiß auch wie bereichernd. Sein Sohn Noah schlief im Alter von 14 Jahren an einem Samstagmorgen ein.

Eine Nestschaukel für den „Neuen Kupferhof“
Gutes verdient Unterstützung. Mit der Aktion „Die Bessermacher“ wollen wir nicht nur engagierte Menschen zeigen. Die Projekte bekommen zudem finanzielle Hilfe und langfristige Unterstützung.
Die Haspa Duvenstedt begleitet den Verein „Hände für Kinder“ schon seit vielen Jahren. „Wir sind alle sehr beeindruckt davon, mit welchem Engagement und welcher Hingabe die Mitarbeitenden im Neuen Kupferhof arbeiten und wie dadurch ganz besonders glückliche Momente für die Gäste entstehen, deren Alltag oft schwierig ist“ sagt Sven Peters, Filialdirektor in Duvenstedt.
Der „Neue Kupferhof“ bekommt auch finanzielle Unterstützung. Die Nestschaukel im Garten ist marode und muss ausgetauscht werden. Die Haspa kümmert sich um die Finanzierung aus Mitteln des Haspa-Lotteriesparens.
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