Berührende Bilder: Hamburger Fotograf zeigt den Horror in der Ukraine
Bomben, Raketen, Lebensgefahr: Wieso fährt man freiwillig in ein Kriegsgebiet? „Irgendeiner muss es ja machen“, sagt der Hamburger Fotograf Hami Roshan. Mit „es“ meint er die Dokumentation des Horrors, den Wladimir Putin über die Ukraine gebracht hat. Roshan hat ihn mehrere Wochen lang fotografiert. Der MOPO erzählt er, wie es ist, wenn direkt neben einem die Raketen einschlagen, warum an jedem Checkpoint ein potenzielles Todesurteil lauert und wieso der Anblick der vielen Leichen für ihn nicht einmal das Schlimmste war.
„Einmal habe ich in der Nähe eines Einkaufszentrums übernachtet. Ich konnte es aus meinem Fenster sehen, es war riesig. Eines Morgens wache ich auf, es gibt wie so oft Fliegeralarm. Als ich am Fenster vorbei zum Bunker laufe, sehe ich: Das halbe Einkaufszentrum ist plötzlich weggesprengt.“
Szenen wie diese hat Hami Roshan in der Ukraine ständig erlebt. Der 34-Jährige reiste im Frühjahr dieses Jahres mehrere Wochen durch das kriegsgeplagte Land. Er fotografierte in Charkiw, Tschernihiw, Kiew, Butscha, Lwiw. Er fotografiert diejenigen, die Putins brutale Invasion gerade so überlebt haben – und diejenigen, die es nicht schafften. „Ich habe die Toten nicht gezählt“, sagt er. Es seien zu viele gewesen.
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Bomben, Raketen, Lebensgefahr: Wieso fährt man freiwillig in ein Kriegsgebiet? „Irgendeiner muss es ja machen“, sagt der Hamburger Fotograf Hami Roshan. Mit „es“ meint er die Dokumentation des Horrors, den Wladimir Putin über die Ukraine gebracht hat. Roshan hat ihn mehrere Wochen lang fotografiert. Der MOPO erzählt er, wie es ist, wenn direkt neben dir eine Rakete einschlägt, warum an jedem Checkpoint ein potenzielles Todesurteil lauert und wieso der Anblick der vielen Leichen für ihn nicht einmal das Schlimmste war.
„Einmal habe ich in der Nähe eines Einkaufszentrums übernachtet. Ich konnte es aus meinem Fenster sehen, es war riesig. Eines Morgens wache ich auf, es gibt wie so oft Fliegeralarm. Als ich am Fenster vorbei zum Bunker laufe, sehe ich: Das halbe Einkaufszentrum ist plötzlich weggesprengt.“
Szenen wie diese hat Hami Roshan in der Ukraine ständig erlebt. Der 34-Jährige reiste im Frühjahr dieses Jahres mehrere Wochen durch das kriegsgeplagte Land. Er fotografierte in Charkiw, in Tschernihiw, Kiew, Butscha, Lwiw. Er fotografiert diejenigen, die Putins brutale Invasion gerade so überlebt haben – und diejenigen, die es nicht schafften. „Ich habe die Toten nicht gezählt“, sagt er. Es seien zu viele gewesen.
„Wenn du als Journalist erkennbar bist, wirst du von den Menschen vor Ort ganz anders wahrgenommen“
Schlimmer als der Anblick der Leichen sei aber gewesen, was drumherum stattgefunden habe, erzählt Roshan. In Butscha zum Beispiel: „Die packen 50 Presseleute in den Bus und fahren da von Massengrab zu Massengrab.“ Natürlich sei es wichtig, den Journalisten die Gräueltaten in dem Kiewer Vorort zu zeigen, sagt Roshan. „Aber ich habe mich gefühlt wie im Zoo. Das war echt schlimm.“
Er wolle kein Katastrophen-Voyeur sein, erklärt der 34-Jährige. Natürlich sei es sein Job als Fotojournalist, den Horror zu dokumentieren. „Aber ich will nicht immer nur mit dem journalistischen Blick draufschauen, von oben nach unten. Ich will lieber mittendrin sein.“
Deshalb habe er irgendwann beschlossen, auf Schutzausrüstung wie kugelsichere Weste, Helm und ähnliches zu verzichten. „Wenn du als Journalist erkennbar bist, wirst du von den Menschen vor Ort ganz anders wahrgenommen – und du wirst zur laufenden Zielscheibe für die Scharfschützen“, erzählt er. „Wenn du aber normal angezogen bist, wenn du genauso ausschaust wie alle anderen, dann sehen dich die Leute wie einen Freund.“ Er habe nach dem Erstkontakt mit Einheimischen aber immer recht schnell seine Identität als Fotograf enthüllt, so Roshan.
Verständigt habe er sich entweder mit einem Dolmetscher, so er denn einen auftreiben konnte, oder selten auch auf Englisch. „Meistens haben wir Google Translate benutzt“, sagt der Journalist. „Das hat super funktioniert.“
„Wenn man am Checkpoint nicht rechtzeitig bremst, dann schießen die“
Weniger einfach war dagegen die Fortbewegung: Roshan versuchte, soweit wie möglich auf offizielle Pressetransporte zu verzichten. Um durchs Land zu reisen, vor allem in der Ostukraine, sei im Krieg ein eigenes Auto nötig. „Öffentliche Verkehrsmittel gibt es da ja keine mehr“, so der 34-Jährige.
Von ukrainischen Bekannten konnte er sich im März ein Auto leihen, damit fuhr er auf menschenleeren Straßen von Ort zu Ort. „Das war richtig gefährlich“, sagt er.
Zum einen, weil zu der Zeit in der Ostukraine viel Schnee lag. „Da fährt kein Räumdienst mehr. Es ist Krieg. Da kümmert sich keiner drum, die Landstraße zu räumen“, erklärt Roshan. Er sei daher ganz langsam über die Schneedecke geschlichen – „da, wo ich dachte, dass die Straße war.“
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Zum anderen sei es aber auch gefährlich gewesen, weil man jederzeit mit ukrainischen Checkpoints rechnen musste. „Ich bin immer ganz vorsichtig gefahren, damit die Ukrainer nicht denken, ich bin Russe. Wenn man am Checkpoint nicht rechtzeitig bremst, dann schießen die“, erzählt Roshan. Manche Checkpoints seien gut zu erkennen gewesen, da es sich um Hütten oder Schrankenanlagen handele. „Manchmal springen die Ukrainer aber auch einfach auf die Straße und das ist dann ein Checkpoint“, so der 34-Jährige.
Einmal sei er gerade an eine Tankstelle gefahren, da sei plötzlich alles schwarz geworden. „Da schlug eine Bombe ein. Die kam von oben, wahrscheinlich war’s eine Rakete“, erzählt Roshan.
In diesem Moment seien ihm innerhalb des Bruchteils einer Sekunde „tausend Gedanken“ in den Kopf geschossen: „Ich fragte mich: War’s das jetzt? Was mache ich hier? Kommt da noch was? Muss ich jetzt aussteigen und fotografieren?“ Eine dramatische Situation für den Hamburger Fotografen: „Du kannst da nicht mit klarem Kopf denken, du hast nur Adrenalin im Körper.“
Hamburger Fotograf in der Ukraine: „Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling“
Zum Glück sei ihm nie etwas passiert, sagt er. Aber hat ihm das alles nicht Todesangst bereitet? „Nein, das macht mir keine Angst“, stellt Roshan nüchtern fest. „Ich weiß nicht, warum das so ist. Es ist einfach so. Sowas zu erleben, macht mich eigentlich sogar mutiger. Es zeigt mir: Mein Job ist so wichtig. Ich muss das hier alles zeigen. Das ist Teil der Geschichte, wir brauchen Dokumente darüber.“
Roshans Fotos sind unter anderem im britischen „Guardian“ und bei der BBC erschienen – und bei der MOPO. Wir zeigen ausgewählte Motive seiner Reise.
Rückblickend betrachtet hat sich dabei ein Moment bei ihm besonders eingebrannt: „Als ich an der ukrainisch-polnischen Grenze war. Da habe ich gemerkt: Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling“, erzählt der 34-Jährige. Bei der Ausreise ins sichere Polen habe sich auf ukrainischer Seite eine lange Schlange gebildet. „Wenn du Schwarzer warst, Sinti, Roma, Syrer, dann musstest du zur Seite gehen. Du musstest warten, bis alle anderen durch waren“, schildert Roshan. Das Geschlecht habe dabei keine Rolle gespielt: „Das haben die auch mit Frauen und Kindern gemacht.“ Aber warum? „Die haben keine Antwort bekommen“, sagt er.
Diese Situation sei für ihn kaum zu ertragen gewesen, erzählt Roshan. „Diese Leute existieren nicht, die sind wie Schatten“, sagt er über die Zurückgewiesenen. Er finde das schrecklich, so der Fotograf. „Dieses Verhalten, mitten in Europa!, das bringt uns nicht in eine schöne Zukunft. Dieser Hass jeden Tag, überall. Das trennt uns.“