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  • Susanne Nagel ist Kinder- und Jugendcoach und macht sich Sorgen um deren psychische Gesundheit während und nach Corona.
  • Foto: Florian Quandt

Belastungen während der Corona-Pandemie: „Die Jugendlichen leiden gerade besonders“

Rund zwei Drittel aller jungen Menschen fühlen sich gerade einsam, sagen von sich, dass sie psychisch belastet sind oder Zukunftsängste haben. Das hat eine Studie der Bertelsmann Stiftung zusammen mit den Universitäten in Hildesheim und Frankfurt am Main herausgefunden. Die MOPO hat mit Susanne Nagel gesprochen. Die Hamburgerin ist Kinder- und Jugendcoach und sieht besonders Jugendliche in der Pubertät gefährdet.

MOPO: Viele Eltern sind von dem derzeit steigenden Medienkonsum ihrer Kinder besorgt. Wie lange dürfen ihre Kinder am Handy daddeln?

Susanne Nagel: Meine Kinder sind 15 und fast 13 Jahre alt. Wir sind diesbezüglich bislang relativ streng gewesen und haben das immer reduziert. Man muss als Eltern immer dranbleiben und die Online-Zeiten beschränken. Wenn einen das nicht interessiert, ist die Gefahr groß, dass die Kinder abrutschen und nur noch in ihrer Online-Welt unterwegs sind. Es gibt Empfehlungen für die zeitliche Nutzung bezogen auf die Altersklassen. Es ist wichtig, Grenzen aufzustellen.

Auch während Corona?

Das ist ein heikles Thema. Ich würde sagen, in Corona-Zeiten kann man das ein wenig lockerer angehen, weil die Kinder kaum Abwechslung haben. Das ist bei uns nicht anders. Aber man muss darauf hinweisen, dass es eine Ausnahmesituation ist und nach Corona wieder strikter wird. Vormittags, während der offiziellen Homeschooling-Zeit, dürfen meine Kinder allerdings nicht ans Handy.

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Kennen Sie selbst den Pandemiekoller?

Auf jeden Fall. Ganz viele Eltern machen Homeoffice, und die Kinder sind nicht in den Schulen oder Kitas. Man hört von nichts anderem mehr als Corona, und das Leben wird sehr dadurch bestimmt.

Hamburger Jugendcoach gibt Tipps gegen Corona-Koller

Was sind Ihre Tipps dagegen?

Ganz wichtig ist, dass man zur Familie zurückfindet und die Krise als Chance sieht, Dinge zu unternehmen. Das können gemeinsame Spielabende, Quizabende oder Spaziergänge sein. Letzteres machen besonders Jugendliche nicht so gerne. Mein Tipp ist, sie die Kopfhörer mitnehmen und Musik währenddessen hören zu lassen. Dann kommen sie an die frische Luft und haben Bewegung. Ich empfehle auch eine Küchenschlacht. Das fördert die Kreativität und macht sie stolz, wenn sie etwas Essbares produziert haben.

Und wenn man einfach genug hat vom Aufeinanderhocken?

Jedes Familienmitglied muss sich Zeit für sich nehmen. Das gilt insbesondere für Mütter. Man kann sich auch mal eine Matte mit rausnehmen und auf der Wiese ein paar Übungen machen. Allerdings ist es schwierig für diejenigen, die kleine Kinder haben. Man könnte sich vielleicht mit einer festen Freundin austauschen und gegenseitig mal auf die Kinder aufpassen.

In Hamburg drohen wieder Schulschließungen.Nach so viel Homeschooling, wie kann ich als Elternteil meine Kinder dazu motivieren?

Das Wichtigste ist auch hier, immer in den Dialog mit den Kindern zu gehen und ihnen zu zeigen, dass Bildung wichtig ist. Man kann zusammen Vokabeln abfragen oder Schulstoff lesen. Bei uns freuen sich meine Kinder immer, wenn sie zwischendurch einen kleinen Happen, wie Obst, auf den Schreibtisch bekommen. Das geht natürlich nicht überall, manche Kinder sind auch alleine zu Hause.

Corona-Belastung für Kinder: Anzeichen früh erkennen

Gibt es Anzeichen, ob ich erkennen kann, dass mein Kind psychisch belastet ist?

Das kommt natürlich auf das Alter des Kindes an. Anzeichen können sein, wenn sich Kinder zurückziehen, lustlos und unmotiviert sind oder unter Schlafstörungen leiden. Auch Essschwierigkeiten können ein Symptom sein. Bei älteren Kindern sollte man darauf achten, geäußerte Suizid-Gedanken immer ernst zu nehmen. Wenn das Kind auf einmal gar keine Lust hat, sich online oder draußen zu verabreden, ist das ein Zeichen, dass man was unternehmen sollte.

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Was denn?

Eltern können sich hier für eine Erstberatung an Elternberatungsstellen wenden. Auch an den Kinderarzt natürlich oder natürlich auch Therapeuten oder Coaches, die sich auf Kinder und Jugendliche spezialisiert haben. Diese können dann gegebenenfalls eine Empfehlung aussprechen, einen Psychologen aufzusuchen. Es ist immer schwierig abzugrenzen, ob es sich um eine psychische Störung handelt oder noch eine normale Reaktion ist. Gerade bei Pubertierenden.

So schwer ist die Corona-Krise für Pubertierende

Die Pubertät ist die Zeit, in der man sich ausprobieren will, stattdessen wird man ausgebremst. Was bedeutet das für die Betroffenen?

Die Jugendlichen leiden besonders gerade, weil sie ihre direkten sozialen Kontakte komplett einschränken müssen. Die Jugend ist relativ kurz und eine Phase der Selbstfindung. Wenn die Jugendlichen in ihren Bewegungsräumen eingeschränkt sind, die sie eigentlich brauchen, um ihre Identität zu finden, ist das sehr schlimm. Es wird Zeit, dass wir darauf mehr aufmerksam machen.

Was wäre Ihr Appell an die Eltern und Familien?

Dass sich Eltern und Familien bei Themen, wie einem schwachen Selbstbewusstsein, Mobbingerfahrungen, diversen Ängsten oder der Trennung der Eltern möglichst früh Unterstützung holen von außen. So kann vielleicht verhindert werden, dass diese Probleme bei den Jugendlichen monate- oder jahrelang psychologisch behandelt werden müssen.

Was ist mit den Jugendlichen, die ein schlechtes Verhältnis zu den Eltern haben?

Für Jugendliche ist der Austausch mit anderen Menschen sehr wichtig. Wünschenswert ist es, gerade, wenn das Elternhaus hier nicht den nötigen Halt gibt, eine verlässliche Bezugsperson zu haben. Das kann ein echter Freund sein, aber auch Mutter oder Vater eines Freundes. Selbstverständlich gibt es auch Beratungsstellen für Jugendliche, die zum Teil rund um die Uhr zu erreichen sind.

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