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  • Bei der Einweihung: Uwe Nitschke, Kirchengemeinderat St. Jürgen-Zachäus (v.l.), Hans-Joachim Kroll vom Verein Grüner Saal und René Senenko von der Willi-Bredel-Gesellschaft.
  • Foto: Olaf Wunder

Ausbeutung und Kindermord: Das Ende des Skandals um das NS-Zwangsarbeiter-Mahnmal

Nicht allzu häufig passiert so etwas: Dass Gedenkorte zweimal eingeweiht werden. In Langenhorn ist das soeben geschehen. Jahrelang war eine Stele, die an das Schicksal Tausender NS-Zwangsarbeiter erinnert, an einem völlig versteckten Ort aufgestellt – mutmaßlich mit der Absicht, sie vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Sie verfiel, wurde beschädigt, beschmutzt und geschändet. Nun ist diese Farce beendet: In einer Gedenkfeier wurde das Mahnmal direkt an der Langenhorner Chaussee erneut enthüllt. Wo jeder es sehen kann.

Dem Kulturverein Grüner Saal aus Hamburg-Nord und der Geschichtswerkstatt Willi-Bredel-Gesellschaft gebührt Dank, vor allem aber René Senenko (63), Mitglied beider Vereine, der sich jahrelang ins Zeug gelegt hat. Die örtliche Kirchengemeinde gab Geld dazu.

Dort, wo in der Nazi-Zeit furchtbares Unrecht geschah und Tausende Zwangsarbeiter in einer geheimen Rüstungsfirma der Nazis schuften und sterben mussten, befindet sich heute ein Industriepark. Nicht mehr viel erinnert an die düstere Vergangenheit. Zwar wurde 2008 die Gedenk-Stele (das erste Mal) eingeweiht, aber sie war, so Senenko, „nichts als ein Feigenblatt“. Aufgestellt wurde sie, wo es keine Passanten gibt, auf einem aufgeschütteten Löschteich. Niemand von den Firmen der Umgebung kümmerte sich um die Erhaltung. Die Stele verfiel.

Lilli Mund (10), Enkelin von René Senenko, weiht die Gedenk-Stele ein.

Lilli Mund (10), Enkelin von René Senenko, weiht die Gedenk-Stele ein.

Foto:

Olaf Wunder

Mit Hilfe der MOPO machte Senenko diesen Skandal 2018 öffentlich. Das brachte viele zum Nachdenken. Trotzdem vergingen noch einmal zwei Jahre, in denen es zähe Verhandlungen mit dem Bezirksamt, mit Behörden und den Anliegerfirmen gab. Jetzt endlich ist der Knoten geplatzt.

Bei einer Gedenkveranstaltung am Dienstag sprachen Wolfgang Peper, Pastor der evangelischen Gemeinde St. Jürgen-Zachäus, Rachid Messaoudi von den Linken, Georg Chodinski von der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN-BdA), Hans-Joachim Kroll vom Vorstand des Grünen Saals – und natürlich der eigentliche Macher: René Senenko. Der eingeladene Bezirksamtsleiter war verhindert.

In den Kettenwerken in Langenhorn mussten Frauen unter anderem Geschosshülsen herstellen.

In den Kettenwerken in Langenhorn mussten Frauen unter anderem Geschosshülsen herstellen.

Foto:

Werksfoto HaK

Alle Redner erinnerten an das Grauen, das sich auf dem Areal zwischen Langenhorner Chaussee und Essener Straße im Nazi-Regime abgespielt hat: Schon 1934 entschieden die Nazis, aus Langenhorn einen der größten Rüstungsstandorte des Dritten Reiches zu machen. Die Deutsche Messapparate GmbH (Messap) und die Firma Hanseatische Kettenwerke wurden angesiedelt – in beiden Fällen handelte es sich um Tarnnamen. Die Kettenwerke stellten keine Ketten für Klospülungen her, sondern Geschosshülsen und Panzerfäuste. Die Messap – eine Tochterfirma der Schwarzwälder Uhrenfabrik Junghans –produzierte statt Zeitmessern Zeitzünder.

Weil niemand merken sollte, was die Nazis im Schilde führten, wurde das Projekt verschleiert. Die NS-Rüstungsexperten legten großen Wert auf verstreut liegende Gebäude mit Grünbereichen dazwischen. Nichts sollte gigantisch aussehen, alles harmlos und klein. Für ihre Feinmechaniker aus dem Schwarzwald baute die Messap an der Essener Straße die sogenannte „Schwarzwaldsiedlung“ (mit Häusern, die ein wenig an den Schwarzwald erinnern).

Das Areal der Hanseatischen Kettenwerke in Langenhorn.

Das Areal der Hanseatischen Kettenwerke in Langenhorn.

Foto:

Willi-Bredel-Gesellschaft

Mit Kriegsbeginn stieg der Arbeitskräftebedarf ins Unermessliche. Bis zu 6000 Menschen waren in den Werken beschäftigt – die meisten davon Zwangsarbeiter, die in streng bewachten Barackenlagern unter furchtbaren Umständen hausten: Russen, Belgier, Franzosen, Ukrainer, Italiener, Kroaten, Niederländer, Dänen. Und deutsche Juden.

Besonders schauerlich: Wurden Zwangsarbeiterinnen aus Osteuropa schwanger, entriss die SS ihnen die Kinder und „arisierte“ sie – oder überließ sie sich selbst. Am Standort Langenhorn kamen so allein 1944 und 1945 mindestens 49 Säuglinge ums Leben.

An all das erinnert jetzt die Stele, für deren Verlegung an den neuen Standort die angrenzenden Firmen aufgekommen sind. Nun ist sie sichtbar für jedermann, damit niemand mehr vergisst. Denn das Geheimnis der Versöhnung, sagt ein jüdisches Sprichwort, heißt Erinnerung.

– Zu finden ist die Stele rechts neben dem Bürogebäude Langenhorner Chaussee 623.

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