„Auf dem Kiez ist alles möglich“: So wurde Lars Nagel vom Handwerker zum Schauspieler
Die große Nase, das kantige Gesicht, der durchdringende Blick. Dazu noch die tiefe Stimme. Keine Frage: Lars Nagel (49) ist der Gangstertyp. Dabei wäre er gerne mal Arzt, Geschäftsmann oder Anwalt. Doch für die Rollen wird der Schauspieler nicht besetzt. „Luden, Kriminelle – ich bin halt für die Halbwelt zuständig“, sagt der lässige Typ, der nicht hochdeutsch, sondern norddeutsch spricht. Seit 20 Jahren lebt er auf dem Kiez. Seine „Neverland-Ranch“ – auf der alles möglich ist. Hier wurde der Handwerker zum Schauspieler.
Die große Nase, das kantige Gesicht, der durchdringende Blick. Dazu noch die tiefe Stimme. Keine Frage: Lars Nagel (49) ist der Gangstertyp. Dabei wäre er gerne mal Arzt, Geschäftsmann oder Anwalt. Doch für die Rollen wird der Schauspieler nicht besetzt. „Luden, Kriminelle – ich bin halt für die Halbwelt zuständig“, sagt der lässige Typ, der nicht hochdeutsch, sondern norddeutsch spricht. Seit 20 Jahren lebt er auf dem Kiez. Seine „Neverland-Ranch“ – auf der alles möglich ist. Hier wurde der Handwerker zum Schauspieler.
Lars wird Tischler. Das war schon immer klar. Er wuchs im Betrieb seiner Familie in Ahrensburg auf. Eine Tischlerei in vierter Generation. „Da war vorbestimmt, was ich später mal lernen werde. Das war keine freie Entscheidung“, sagt er. Verbittert klingt es nicht. Er mag den Beruf. Doch irgendwie reichte ihm das nicht aus. Als Lars schon Ende 20 war, bekam er einen Einblick in die Schauspielerei. Eine Szene, die er nie zuvor kennengelernt hatte. Nicht mal im Theater war er als Kind gewesen. Das war nichts für seinen Vater und seine Großeltern, bei denen er aufwuchs.

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Den Zugang zur Schauspielerei bekam er durch seine damalige Freundin, die unbedingt auf die Bühne wollte. Lars begleitete sie zu Castings und Auftritten im Malersaal des Schauspielhauses. Anfangs fand er es nur spannend. Später fragte er sich, ob das nicht auch etwas für ihn sei. Als „Wink mit dem Zaunpfahl“ bezeichnet der Mann einen Morgen, an dem er den Flyer einer privaten Schauspielschule auf dem Esstisch liegen sah. Darauf das Datum der nächsten Aufnahmeprüfung. „Das war meine Chance, eine Alternative zur Tischlerei zu haben und zu schauen, was noch in mir steckt.“ Lars sprach vor und wurde direkt angenommen.

Hamburger Lars Nagel: Vom Handwerker zum Schauspieler
Anfangs war es „schon seltsam“ für den Handwerker. Gemeinsamer Unterricht in Tanz, Schauspiel und Gesang mit 17-Jährigen, die gerade von der Schule kamen. Er war fast 30, lebte auf dem Kiez und hatte aus einer früheren Beziehung bereits seine kleine Tochter Lucy. Doch er merkte schnell, dass seine Berufe irgendwie verwandt sind. „Das ist beides Handwerk.“ Als Handwerker kommt er in eine Wohnung, der Mieter zeigt, was zu tun ist, und verschwindet. Wenn er Tagesrollen habe, sei das beim Dreh genauso.
Lars kommt zum Set, ihm wird gezeigt, wo Umkleideraum, Kostüm und Maske sind, und dann wird er alleine gelassen. Wenn er dran ist, wird er ans Set geholt und liefert sein Handwerk. Klingt wenig kreativ. „Das Drehbuch gibt den Rahmen vor, der Regisseur bestimmt. Viel Raum für Kreativität bleibt da nicht.“
Einen entscheidenden Unterschied sieht der Schauspieler allerdings. Das Getue am Set ist anders. Lars weiß nicht, wie häufig er bereits mit den Worten empfangen wurde: „Schön, dass das mal klappt.“ Eine gängige Floskel. Die Lars kaum noch hören kann. „Das sagen die Regisseure immer, obwohl man noch nie was miteinander zu tun hatte.“ Sogar bei seinem ersten Dreh bei „Morden im Norden“ begrüßte der Regisseur ihn mit dem Standardspruch.
Lars Nagel: Am Set wird wenig gesprochen
„Was für ein Quatsch. Ich hatte noch nie was gemacht. Woher hätte er mich kennen sollen? Vielleicht hatte er vorher schon von meinen wahnsinnig schicken Fußleisten gehört, die ich montiert habe“, sagt Lars und lacht. Manche würden auch noch die Steigerung einbauen: „Wo haben wir schon mal gedreht? Gib mal Stichwort.“ Lars winkt ab. So sei das halt beim Dreh.
Außenstehende, die denken, es sei so wahnsinnig spannend und lustig am Set, müsse er leider enttäuschen. Es wird wenig gesprochen. Jeder Schauspieler konzentriert sich auf seinen Text, seine Rolle. „Viel quatschen lenkt zu sehr ab. Dann kommt man raus.“ Trotzdem liebt Lars es, vor der Kamera zu stehen. Die Herausforderung, der Figur Leben einzuhauchen. Die unterschiedlichen Charaktere, Drehorte und Kollegen. „Das macht mir großen Spaß.“
Welche Rolle er am liebsten gespielt hat? Lars denkt nach und zuckt die Schultern. Er habe keine Lieblingsrolle. Aber ein Lieblingsprojekt. „Der Goldene Handschuh“ – da spielte er den Stammgast „Nasen-Ernie“. An die Rolle kam Lars durch Zufall. Von etlichen Nachbarn hatte er bereits gehört, dass sie in dem Film von Fatih Akin mitspielen. Der Regisseur war auf dem Kiez unterwegs und sprach Anwohner an. „Ich konnte es nicht glauben und wollte ihn auch unbedingt treffen.“ An einem späten Dienstagabend war es so weit.

Lars in Handwerksklamotten auf dem Weg nach Hause. Direkt neben seiner Haustür sah er im Vorbeigehen Fatih Akin im menschenleeren Café im Erdgeschoss des Nachbarhauses sitzen. Lars mit seinem Hund Elvis rein. „Ich wollte ihm nicht das Gefühl geben, dass ich seinetwegen da bin.“ Lars schnackte mit dem Barkeeper, trank Kurze, machte Späße. „Große Gesten, Lebendigkeit – ich machte das so ein bisschen wie ein Theaterschauspieler.“ Danach ging er wieder – ohne ein Wort an den Regisseur zu richten. Zwei Tage später bekam er die Einladung zum Casting.
St. Pauli ist für Lars Nagel seine Heimat
Wegen seiner großen Nase war sofort klar: Lars spielt den „Nasen-Ernie“. Zur Vorbereitung ging er direkt in den „Handschuh“. „Da habe ich erst mal ’ne Milieustudie gemacht.“ Logo kannte er die Kneipe. Doch der Schauspieler wollte die Atmosphäre, die Gerüche und Gäste aufsaugen. Dabei hat er sich „den ein oder anderen Drink reingehauen“. Und traf den ein oder anderen Kollegen, der im Film mitspielen sollte. Alles, was er in den Nächten erlebte, verknüpfte er mit seiner Rolle. Um herauszufinden: Wer ist eigentlich dieser Nasen-Ernie? Am Ende sei herausgekommen: Nasen-Ernie ist ein Tresen-Held. Einer, der sich für einen coolen Typen hält und so tut, als wisse er alles. „Die Dreharbeiten waren großartig. Wir kannten uns alle und hatten viel Spaß. Für mich war das eine Art Heimatfilm.“

Steckbrief Lars Nagel
Spitzname und Bedeutung: Ich hatte schon so viele Spitznamen in meinem Leben. In der Schule wurde ich Lalle genannt. Manche sagen auch „Lars Vegas“ oder „Lars Palmas“.
Beruf/erlernte Berufe: Tischler und Schauspieler, ausgebildeter Tischlergeselle
St. Pauli ist für mich … wie die Neverland-Ranch.
Mich nervt es tierisch, wenn … ich von Spießern umgeben bin.
Ich träume davon, … in Italien zu leben.
Wenn mir einer blöd kommt, … dann ist er genau an der richtigen Adresse bei mir. Dann komm ich ihm genauso blöd.
Zum Abschalten … mache ich eine Hunderunde.
Als Kind … habe ich am liebsten Fußball gespielt.
Meine Eltern … haben sich getrennt, als ich noch klein war. Ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen.
Vom Typ her bin ich … lebenslustig und direkt.
Heimat – das ist für Lars St. Pauli. Er lebt in einer hellen Drei-Zimmer-Altbauwohnung mit alten Holzdielen, jedoch leider ohne Balkon im vierten Stock an der Wohlwillstraße. Unter der Woche hat er Ruhe. Am Wochenende kommen die Massen. „Das ist die Ameisenstraße zwischen Kiez und Schanze. Da kriegst du jedes Gespräch mit, die aufgeheizte Stimmung – das ist mitten im Leben.“ Zu laut, zu viel? Lars lacht. „Quatsch. I love it.“ Dom, Hafen, Konzerte, Clubs, Schwimmbäder, Fußballstadion, Gastronomie. Für ihn ist der Kiez wie die „Nerverland-Ranch“. „Ich habe hier alle Möglichkeiten.“
Als vor 20 Jahren immer mehr Freunde von Ahrensburg nach Hamburg zogen, war für ihn klar: Er muss auch weg. Und es war klar: Er zieht auf den Kiez. Mit seinem Freund Leo stapfte Lars damals zur Wohnungsbesichtigung. Wie ungefähr 50 andere auch. „Uns war klar, dass wir die Bude nicht bekommen, weil da sicher Leute waren, die besser verdient haben.“ Doch als sich die anderen Interessenten vor der Tür verabschiedet hatten, kam der Makler auf Lars und Leo zu. Ein nervöser Typ mit Designermantel und Lederaktentasche.
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„Er fragte, ob wir so richtige Kiezjungs sind, und sagte, dass er auf Kokain sei und die ganze Zeit nicht pennen könne.“ Der Makler habe darum gebeten, dass die Jungs ihm „was zu rauchen“ besorgen. „Wenn ihr das hinkriegt, kann ich euch helfen, die Wohnung zu bekommen.“ Eine Stunde später hatte der Makler sein Gras und die Jungs bekamen die drei Zimmer Altbau.
Noch immer lebt er in der Wohnung, an die er „nicht ganz legal“ gekommen ist. Gemeinsam mit seiner Freundin und Hund Elvis. Neben seiner Schauspielerei hat er noch zwei weitere Jobs. Lars arbeitet weiterhin als Tischler und er vertreibt online „Garderope“. Eine Seilgarderobe aus Tauen, die er entworfen hat und selber fertigt. „Aus einzelnen Quadraten kann sich der Kunde die Form seiner Garderobe selbst zusammenstellen. Ein maritimer Blickfang.“ Auf die Idee, was aus Tauen zu machen, kam Lars wegen eines Nebenjobs. Er war eine Zeit lang Festmacher im Hafen. Kreuzfahrtschiffe und Containerschiffe anbinden – harte Arbeit, die ihm Spaß machte. Er ist stolz, sich wie ein richtiger Hamburger fühlen zu können. „Ich habe im Hafen gearbeitet, einen Hamburger Film gedreht und wohne auf St. Pauli. Mehr Hamburg geht nicht.“