Impfaktion in der Herbertstraße: Zum Piksen in den Puff
Seit Monaten herrscht in der Herbertstraße tote Hose: An diesem Sonntag ging es in Hamburgs berühmtester Rotlicht-Meile jedoch hoch her. Vor dem Bordell in der Hausnummer 20-21 standen am Vormittag die Kerle Schlange. Und auch Frauen durften ausnahmsweise in die sonst für sie verbotene Gasse, um an der außergewöhnlichsten Impfaktion der Stadt teilzunehmen.
Es ist 30 Jahre her, dass Thomas Flügge das letzte Mal vor dem Etablissement in der Herbertstraße 20-21 stand. „Damals war ich mit einem Freund hier“, erinnert sich der Lkw-Fahrer aus Dulsberg. Im Fenster hätten zwei Frauen gesessen. Die eine blond mit schwarzer Reizwäsche. Die andere dunkelhaarig mit weißer Reizwäsche. „Wir haben eine halbe Stunde geguckt – und uns dann doch nicht reingetraut“, erinnert sich der 56-Jährige und lächelt über seine Verzagtheit als junger Mann.
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Seit Monaten herrscht in der Herbertstraße tote Hose: An diesem Sonntag ging es in Hamburgs berühmtester Rotlicht-Meile jedoch hoch her. Vor dem Bordell in der Hausnummer 20-21 standen am Vormittag die Kerle Schlange. Und auch Frauen durften ausnahmsweise in die sonst für sie verbotene Gasse, um an der außergewöhnlichsten Impfaktion der Stadt teilzunehmen.
Es ist 30 Jahre her, dass Thomas Flügge das letzte Mal vor dem Etablissement in der Herbertstraße 20-21 stand. „Damals war ich mit einem Freund hier“, erinnert sich der Lkw-Fahrer aus Dulsberg. Im Fenster hätten zwei Frauen gesessen. Die eine blond mit schwarzer Reizwäsche. Die andere dunkelhaarig mit weißer Reizwäsche. „Wir haben eine halbe Stunde geguckt – und uns dann doch nicht reingetraut“, erinnert sich der 56-Jährige und lächelt über seine Verzagtheit als junger Mann.
Hamburg: Frivole Impf-Aktion in der Herbertstraße auf dem Kiez
Heute traut Flügge sich. Er hat seine Lebensgefährtin zur Verstärkung mitgebracht. Gemeinsam betreten sie den Raum, in dem Kronleuchter für schummriges Licht sorgen und in dem es heute doch ganz anders zugeht als sonst. Nüchtern statt frivol. Bürokratisch statt leidenschaftlich.
Dort, wo sonst die Champagner-Gläser überreicht werden, ist ein provisorischer Schreibtisch aufgebaut. Eine Arzthelferin sitzt hinter einem Laptop, neben sich einen großen Stapel Papiere. Eine Plexiglasscheibe trennt sie von der Kundschaft. „Haben Sie akute Erkrankungen oder Fieber?“, fragt sie. „Hatten Sie allergische Reaktionen auf die letzte Impfung?“ Punkt für Punkt geht sie die Liste durch, kreuzt an und schickt die Patienten einen Raum weiter, wo der Arzt Florian Friedrich mit der Spritze wartet. 120 Dosen BionTech und Moderna stehen bereit.
Veranstalter: Herbertstraße will mit Impf-Aktion ein Zeichen setzen
Der Mediziner, der seine Praxis normalerweise in Hamburg-Hamm hat, hat sich für die gemeinsame Aktion von Corona Test St. Pauli, der Galerie popstreet.shop und „sexy Aufstand Reeperbahn“ anwerben lassen. Dass er heute eine Art Puff-Daddy ist, lässt er sich nicht anmerken. „Für mich sind das hier einfach nur vier Wände“, sagt Friedrich und streift sich ein Paar Gummihandschuhe über. „Wenn der Ort dazu beiträgt, dass sich heute hundert Menschen mehr impfen lassen, dann haben wir etwas geschafft!“
Auch Veranstalter Stephan Krüll betont: „Die Herbertstraße will mit der Aktion ein klares Statement abgeben, dass man sich impfen sollte. Wir wollen ja, dass es hier auch mal wieder normal weitergeht.“ Viele Prostituierte seien in den vergangenen zwei Jahren durch Lockdown und Corona-Maßnahmen in finanzielle Nöte geraten. Nicht wenige mussten aufgeben.
Viele Besucher kamen aus der Nachbarschaft auf St. Pauli
Umso mehr habe man sich gefreut, dass sich 60 Menschen für den Piks im Puff angemeldet hatten. Eine ganze Reihe von ihnen aus der Nachbarschaft. Viele kamen aber auch aus anderen Stadtteilen ganz spontan und zusätzlich vorbei. So wie Stephan Schröder, Logistik-Manager aus Lurup. „Ich hab heute morgen einfach geguckt, wo noch ein Termin frei ist“, berichtet der 34-Jährige. Dass er seinen Biontech-Booster nun ausgerechnet im Bordell empfängt, ist für ihn der Höhepunkt seiner ganz persönlichen Impf-Geschichte: „Meine erste Impfung habe ich in der Elbphilharmonie bekommen, die zweite im Elbe-Einkaufszentrum. Da ist die Herbertstraße doch eine schöne Abmischung“, freut er sich.
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Auch Thomas Flügge, der Mann, der sich erst mit der Lebensgefährtin am Arm in den Puff traute, findet: „Es hat Stil, wenn man sich als Hamburger in der Herbertstraße impfen lässt.“ Die Bedeutung dieses besonderen Ortes scheint an diesem Sonntagvormittag jedoch nicht allen Besuchern bewusst zu sein. Drei Asiaten blicken sich etwas verwirrt um, als sie durch das rote Tor in die abgesperrte Gasse treten. Mit unsicheren Schritten bewegen sie sich auf die Hausnummer 20-21 zu und betreten sie erst nach einigem Zögern.
Eine junge Französin, die seit einem halben Jahr in Hamburg lebt und zum Arbeiten herkam, begreift erst nach Empfang ihres „Love Boosters“, wo sie hier eigentlich ist. „Ein Bordell? Im Ernst? Ich habe das nicht gewusst! Ich bin nur hergekommen, weil ich ganz dringend diese dritte Impfung brauchte. Jetzt bin ich etwas geschockt“, sagt sie und flüchtet schnellen Schrittes aus der sündigen Zone. Ganz sicher: Die kommt nie wieder her. Auch dann nicht, wenn die Impf-Aktion irgendwann noch einmal wiederholt wird.