„Aufstieg sehr unwahrscheinlich”: So hart ist unsere Klassengesellschaft
Wird Armut vererbt? Im Grunde ja, denn in unserer Gesellschaft ist sozialer Aufstieg schwer. Es ist deutlich wahrscheinlicher, selbst eine hohe berufliche Position zu erreichen, wenn schon die eigenen Eltern beruflich erfolgreich waren. Gleichzeitig werden arme Menschen stark stigmatisiert. Die MOPO hat mit Soziologin Daniela Schiek von der Uni Hamburg über Aufstiegschancen und Vorurteile gesprochen – und über die Frage, wie wir die Klassengesellschaft überwinden könnten.
MOPO: Frau Schiek, warum gibt es Vorurteile gegen Arme?
Wird Armut vererbt? Im Grunde ja, denn in unserer Gesellschaft ist sozialer Aufstieg schwer. Es ist deutlich wahrscheinlicher, selbst eine hohe berufliche Position zu erreichen, wenn schon die eigenen Eltern beruflich erfolgreich waren. Gleichzeitig werden arme Menschen stark stigmatisiert. Die MOPO hat mit Soziologin Daniela Schiek von der Uni Hamburg über Aufstiegschancen und Vorurteile gesprochen – und über die Frage, wie wir die Klassengesellschaft überwinden könnten.
MOPO: Frau Schiek, wie steht es um Aufstiegschancen in unserer Gesellschaft?
Daniela Schiek: Nicht sehr gut. Der soziale Status ist nahezu zementiert. Wir leben in keiner Aufstiegsgesellschaft, aus Armut in die oberen Klassen der Gesellschaft aufzusteigen ist sehr unwahrscheinlich. Allerdings steigt die Mittelschicht auch nicht ab. Stattdessen speist sich Armut nach wie vor aus den unteren Klassen. Und je länger man arm ist, desto schwieriger wird es, da rauszukommen.
Was macht einen Aufstieg denn so schwer?
Der deutsche Sozialstaat erhält Statusunterschiede, weil er wenig umverteilt und stattdessen traditionelle familiäre Strukturen fördert. Zum Beispiel braucht man für einen beruflichen Aufstieg oft einen langen Atem, wenn man sich etwa von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangelt. Am Ende bleiben nicht unbedingt die Begabtesten übrig, sondern die mit genug Geld, um das überbrücken zu können. Andere müssen Berufe wählen, von denen sie schneller leben, aber langfristig nicht weit aufsteigen können. Auch im Bildungssystem haben es Menschen aus einkommensschwächeren Familien schwerer.

Aber es kann doch jeder Abi machen und studieren.
Es wird in unserem Schulsystem aber schon sehr früh selektiert – und Kinder aus Familien mit höherem Einkommen bekommen häufiger eine Empfehlung fürs Gymnasium als andere. Zudem setzen sich diese Eltern häufiger über eine fehlende Empfehlung hinweg und schicken ihr Kind trotzdem aufs Gymnasium. Das machen Eltern aus sozioökonomisch schwächeren Schichten seltener.
Warum bekommen die Kinder denn seltener eine Empfehlung?
Zum Beispiel weil Lehrer glauben, dass Kinder von Eltern mit niedrigem gesellschaftlichem Status weniger gefördert werden oder eine schlechtere Lernumgebung haben. Diese Vorurteile finden sich in unserer Gesellschaft häufig: Es gibt die Ansicht, dass es in unteren Klassen bestimmte Handlungs- und Lebensweisen gebe, die einen Aufstieg schwer machen. Zum Beispiel was Bildungsfähigkeit oder Leistungsbereitschaft angeht. Es wird zwar gesagt, dass das strukturell bedingt und erlernt ist – die Menschen werden also nicht persönlich beschuldigt. Letztlich sind es aber Vorurteile, die die soziale Ungleichheit legitimieren. Dabei gibt es auch Studien, die zeigen, dass jemand eine ausgesprochen zuverlässige, fleißige und selbstständige Persönlichkeit entwickeln kann, wenn er schon früh für sich selbst sorgen musste. Darüber wird aber eher nicht gesprochen.
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Warum gibt es diese Vorurteile gegen Arme?
Diese Denkweise gehört zu Statuskämpfen. Menschen mit einem höheren sozialen Status haben die Hoffnung, dass sie wirklich erfolgreicher sind und ihren Lebensstandard verdient haben. Letztlich ist es ein Sicherungskampf von Besitz und Vermögen und in einer kapitalistischen Gesellschaft leider eine erwartbare Entwicklung. Und derzeit gibt es keine Anzeichen, dass sich das ändert.
War das denn schon mal anders?
Zumindest in den 60er und 70er Jahren war eine höhere Durchlässigkeit der Klassenzugehörigkeit erreicht worden, die jetzt wieder abnimmt. Es war politisches Ziel, Menschen aus niedrigeren Schichten bildungstechnisch zu fördern. Das ist jetzt nicht mehr im Fokus der Politik. Die soziale Durchmischung ist deutlich weniger geworden. Und wahrscheinlich wird diese Segregation noch weiter zunehmen.
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Wie könnte man aus einer Klassengesellschaft ausbrechen?
Indem man mehr auf Umverteilung und weniger auf die Förderung durch die Familien setzt. Das ginge zum Beispiel mit einer höheren Steuer auf hohes Einkommen oder einer Vermögenssteuer. Auch mit einem Grundeinkommen hätten viele bessere Startchancen als jetzt – und könnten bei einem Aufstieg länger durchhalten.