• Ein Fotograf hielt die Szene fest, in der Hüseyin von der Polizei zu Boden gebracht wurde.
  • Foto: Hami Rowshan

Anti-Rassismus-Demo in Hamburg: Plötzlich drückten mich Polizisten zu Boden

Das Video zeigt eine krasse Szene: Ein junger Mann liegt am Boden. Mehrere Polizisten knien über ihm. Halten ihn fest. Drehen ihm die Arme auf den Rücken. Er schreit vor Schmerzen. Nein, es sind keine Bilder aus den USA. Die Szene hat sich auf der Demo gegen Rassismus in der City am vergangenen Sonnabend zugetragen, bei der 13 Leute festgenommen und 36 in Gewahrsam genommen wurden. Die MOPO hat den jungen Mann ausfindig gemacht.

Hüsseyin heißt eigentlich anders. Er ist 18 Jahre alt, kommt aus einem Hamburger Vorort, macht eine Ausbildung im Bereich Handwerk und ist bisher in seinem Leben noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen, um keinen Ärger von seinen Eltern oder mit seinem Arbeitgeber zu bekommen.

Hüsseyin fuhr zu Demo, um ein Zeichen zu setzen

Zu der Demo gegen Rassismus und Polizeigewalt war Hüsseyin zusammen mit zwei Freunden gefahren – um ein Zeichen zu setzen. „Ich wollte meinen Protest gegen die Polizeigewalt in Deutschland zum Ausdruck bringen“, so der 18-Jährige.

Polizeigewalt? Ein hartes Wort, ideologisch geprägt. Doch wenn man Hüsseyins Geschichte hört, dann versteht man besser, wie er und sicher viele andere Teilnehmer der Demo es meinen.

Wegen seines Aussehens wird er oft von der Polizei kontrolliert

Denn: Viele der Demonstranten hatten einen Migrationshintergrund. Auch Hüsseyins Eltern kamen vor Jahrzehnten aus der Türkei nach Deutschland. Er ist hier geboren. Er ist Deutscher. Doch wegen seines Aussehens wird er viel häufiger von der Polizei angehalten, als eine „biodeutschen“ Freunde, sagt er.

„Ich werde ungefähr ein bis zwei Mal im Monat von der Polizei kontrolliert“, erzählt Hüsseyin. Und das obwohl er keine Drogen nehme und nur selten Alkohol trinke.

Diskriminierende Sprüche durch Polizisten

Hüsseyin erlebt die Kontrollen daher als willkürlich. Besonders verletzt es ihn, dass die Beamten dabei teilweise zweideutige Kommentare von sich geben. „Wie kannst du dir solche Schuhe leisten?“ oder „Wie kannst du dir so ein Handy leisten“ hat Hüsseyin schon zu hören bekommen. „Sie halten mich scheinbar für einen Drogendealer“, meint er.

Auch bei der Demo am Sonnabend waren aus Hüsseyins Sicht Mechanismen im Spiel, die keine Rolle gespielt hätten, wenn er blonde Haare hätte und bleiche Haut.

Katz-und-Maus-Spiel an der Mönckebergstraße

„Die Situation in der Mönckebergstraße war vollkommen unübersichtlich“, erzählt Hüsseyin. Eine Polizeisprecherin hatte in der MOPO bereits erklärt, dass man am späten Nachmittag begonnen habe, die Demo „aufzulösen“ und die Gruppen zu „zerstreuen“. Für Hüsseyin fühlte sich das so an: „Sie haben uns gejagt.“

Auch der Sozialpädagoge Gürsel Yildirim, wie Hüsseyin Teilnehmer der Demo, allerdings als freundlicher älterer Herr mit weißen Haaren eine andere Generation. „Man wusste gar nicht richtig, wohin man sich bewegen sollte, weil überall Polizeiketten standen und den Durchgang versperrten.“ Immer wieder seien die Polizisten in Richtung Demonstranten gerannt. „Es war wie ein Katz-und-Maus-Spiel!“

„Ich habe Panik bekommen“

Auch Hüsseyin fühlte sich eingesperrt. „Ich hab Panik bekommen und wollte nur noch weg“, sagt der 18-Jährige. Deshalb sei er auf eine Polizeikette an der Mönckebergstraße zugegangen und habe gefragt, ob er durch könne. Dann passierte es: „Plötzlich hat ein Polizist von hinten den Arm um meinen Hals geschlagen und mich zu Boden gerissen.“

Demonstrant

„Das war Polizeigewalt“: Demonstrant Hüsseyin (18) wurde auf der Demo am vergangenen Sonnabend festgenommen. Sein Gesicht will er nicht in der Zeitung sehen.

Foto:

Nina Gessner

Die Beamten hätten seine Arme auf den Rücken gedrückt und seine Gelenke verdreht. „Ich hörte wie einer zu seinen Kollegen schrie: ,Macht einen kleinen Kreis!’“

Zwischen den Polizisten bekam er es mit der Angst zu tun

In der Mitte dieses Kreises aus Polizisten in Kampfmontur bekam Hüsseyin Angst. Aber er blieb ruhig. „Ich habe zu den Polizisten gesagt, dass ich mich doch gar nicht wehre. Ich war kooperativ. Trotzdem haben sie mich hart angepackt.“ Auf dem Video, das die MOPO einsehen konnte, sind Passanten zu hören. „Er macht doch gar nichts!“, ist ein Mann zu hören. Und eine Frau ruft: „He is not resisting!“

Neuer Inhalt (18)

Hüssein wird abgeführt. Polizisten drücken seinen Oberkörper nach vorne.

Foto:

Hami Rowshan

Dennoch ist zu sehen, wie zwei Beamte Hüsseyin hochreißen. Kaum dass er aufrecht steht, reißen die Beamten seinen Oberkörper nach vorne. In dieser gebückten Position wird er abgeführt.

Bis heute hat Hüsseyin Schmerzen an der Schulter

„Der Polizist an meinem rechten Arm war nett. Er hat immer wieder gefragt, ob es so in Ordnung ist. Der an meinem linken Arm brüllte: ,Stell dich nicht so an!‘ und knickte meinen Arm um.“ Bis heute hat er Schmerzen in der Schulter und an der Hand. Ein Arzt stellte eine Prellung fest. Das hat Hüsseyin schriftlich.

Hüsseyin wurde zur Wache gebracht. Dort wurde er durchsucht und einem Atemalkoholtest unterzogen. Ergebnis: 0 Promille. Hüsseyin wurde in eine Einzelzelle gesperrt. Nach zwei Stunden kam ein Polizist und erklärte ihm, man habe eine Anzeige wegen versuchter Körperverletzung gegen ihn gestellt. „Angeblich habe ich eine Flasche geworfen“, sagt er. „Aber das stimmt überhaupt nicht! Ich hatte überhaupt keine Flasche dabei. Vielleicht haben sie mich mit jemandem verwechselt.“

Hüsseyin: „Ich konnte zwei Nächte nicht schlafen“

Hüsseyins Bild von der Polizei ist nach dem Vorfall nicht besser geworden. „Ich konnte zwei Nächte lang nicht schlafen“, sagt er. „Ich hoffe, dass die Polizei sich bei mir entschuldigt und dass die Anzeige fallen gelassen wird.“

Polizeisprecher Holger Vehren erklärt zu den Vorgängen: „Polizeiliches Einschreiten orientiert sich nicht willkürlich an Hautfarbe oder Herkunft einer Person, sondern an deren Verhalten. Am vergangenen Wochenende haben Randalierer leider den Schutz dieser Versammlung genutzt, um gezielt Polizeibeamte anzugreifen. Nach zum Teil massiven Bewürfen mit Flaschen und Pyrotechnik kam es daraufhin zu Festnahmen von mehreren Verdächtigen.“

Ob der Vorwurf auf Hüsseyin zutrifft oder nicht, müssen jetzt die Gerichte klären. 

Update, 19.06.: Kritik an Bericht über Demo-Einsatz

Der Polizeieinsatz auf der Demo gegen Rassismus am 13. Juni beschäftigte die Medien. Nachdem es im Nachgang der Veranstaltung zu Randale gekommen war, gab es Festnahmen, Beteiligte sprachen in mehreren Medienberichten von unangemessenen polizeilichen Maßnahmen. Auch die MOPO hatte über verschiedene Fälle aus diesem Komplex berichtet. Und dabei in einem Fall einen Fehler gemacht.

Was war geschehen? Die MOPO hatte einen jungen Mann ausfindig gemacht, dessen Festnahme in einem Video dokumentiert worden war. Zu sehen ist darin, wie mehrere Beamte plötzlich Hüsseyin (18, Name geändert) rabiat zu Boden bringen, anschließend hochreißen und abführen.

Hüsseyin erklärte sich bereit, seine Sicht auf die Ereignisse der MOPO zu schildern, unter der Maßgabe, dass er anonym bleibt. Er beschrieb seine Festnahme, die, so schilderten er und ein weiterer Zeuge es, für ihn völlig unvermittelt geschehen sei. Er habe den zu diesem Zeitpunkt abgeriegelten Straßenzug verlassen wollen, weil er sich dort eingesperrt gefühlt habe.

Hüsseyin gab an, dass er sich das rabiate Verhalten der Polizei nur mit einer Verwechslung erklären könne.

Nach der Veröffentlichung widerspricht die Polizei der Darstellung der Abläufe, wie sie Hüsseyin in der MOPO geschildert hat: Sie sei falsch. Videomaterial der Polizei belege, dass er einige Zeit zuvor u.a. eine Flasche auf Polizisten in der Hamburger Innenstadt geworfen habe.

Die MOPO konnte dieses Material nicht einsehen, Hüsseyin selbst bleibt gegenüber der MOPO bei seiner Darstellung, dass es sich um eine Verwechslung handeln müsse. Was hier geschehen ist, müssen nun die Gerichte abschließend klären.

Außerdem kritisiert die Polizei, dass die MOPO sie vor der Berichterstattung zunächst nicht mit den Vorwürfen konfrontiert hat. Dieser Vorwurf wiegt schwer, weil er einen journalistischen Grundsatz berührt. 

Fakt ist: Wir haben die Polizei zunächst nicht zu dem konkreten Fall befragt. Hintergrund war, dass wir fürchteten, sonst den Hüseyin zugesagten Informantenschutz zu verletzen. Tatsächlich hat die MOPO die Polizei erst kurz vor Redaktionsschluss um eine allgemeine Stellungnahme gebeten, ohne dass die Polizei die Chance hatte, den konkreten Fall zu bewerten. 

Dieses Vorgehen war falsch. Wir werden diesen Fall zum Anlass nehmen, unsere redaktionsinternen Abläufe zu überprüfen.

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