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  • Intensivpflegerinnen sind in Schutzkleidungen auf einer Covid-19 Intensivstation im Einsatz (Symbolbild).
  • Foto: dpa/dpa-Zentralbild

Angst vor den Mutanten: Lockdown ohne Ende oder Desaster mit vielen Toten?

Die Zahl der Corona-Neuinfektionen sinkt – viele hoffen deshalb auf baldige Lockerungen. In dieser Woche beraten Bund und Länder darüber, welche Erleichterungen möglich sein könnten. Doch welchen Einfluss werden die Mutationen auf den weiteren Verlauf der Pandemie haben? Experten und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) warnen vor verfrühten Lockerungen und fürchten dabei vor allem die Mutanten …

Mutationen: Darum sind die Verantwortlichen so alarmiert

In 13 von 16 Bundesländern wurde die in Großbritannien entdeckte Virus-Variante B.1.1.7 bisher nachgewiesen. In einer Stichprobe zwischen Neujahr und Ende Januar machte sie in Deutschland einen Anteil von 5,8 Prozent aus. Das klingt nach wenig – aber das ist genau das Tückische. Experten gehen davon aus, dass ihr Anteil an den insgesamt sinkenden Neuinfektionen immer weiter steigt: mit bedrohlichen Folgen.

Was macht die Corona-Mutationen so gefährlich?

Aus allen Daten ergebe sich, dass die Varianten dafür sorgen, dass Infizierte mehr Menschen anstecken. Die Reproduktionszahl (R-Wert) sei bei der britischen Variante um 0,5 höher, sagte RKI-Chef Lothar Wieler. Das macht einen dramatischen Unterschied: Angenommen, der R-Wert läge mit  den bisherigen Virusformen dank Maßnahmen bei 1, dann steckten 100 Infizierte im Schnitt insgesamt 100 Menschen an. Bei der Briten-Mutante wären es 150. „Das Virus ist noch nicht müde, im Gegenteil, es hat gerade noch mal einen Boost bekommen“, so Wieler.

Corona: Britische Mutation im Norden auf dem Vormarsch

Die britische Variante ist im Norden auf dem Vormarsch. In Schleswig-Holstein sollen nach Informationen der „Lübecker Nachrichten“ bereits 188 Fälle nachgewiesen worden sein. In Mecklenburg-Vorpommern wurde bislang in 37 Fällen die britische Variante nachgewiesen. In Hamburg sind bislang 13 Fälle nachgewiesen worden. Zuletzt wurde am Wochenende bekannt, dass sich eine Kita-Erzieherin in Altona mit der Briten-Mutante infiziert hat. 90 weitere Personen mussten in Quarantäne.

Britische Corona-Mutation breitet sich in Europa aus

In Großbritannien ist die dort entdeckte Variante mittlerweile in 90 Prozent aller bisher untersuchten Proben nachgewiesen worden. Auch in anderen Ländern wie Irland und Portugal breitet sich die Mutante seit Wochen verstärkt aus. In Portugal habe die Variante bereits 60 Prozent Anteil, sagte Wieler. Die Gesundheitssysteme in diesen Ländern sind durch die plötzlich und schnell gewachsene Zahl der Infektionen massiv unter Druck.

Auch in Dänemark wächst der Anteil von B.1.1.7 rasant: von 2,3 Prozent der analysierten positiven Corona-Stichproben zum Jahreswechsel auf 19,5 Prozent in der letzten Januarwoche. 

Helfen die Impfstoffe auch gegen die Mutanten?

Mit der Briten-Variante könne man „ganz gut fertigwerden“, sagte Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, im Hinblick auf die Wirksamkeit der Impfung. Mit der Südafrika- und Brasilien-Variante „schwerer“. Das breite Impfen insgesamt helfe aber auch gegen die Varianten.

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Eine Studie der Universitäten Witwatersrand und Oxford hat die Wirksamkeit des Impfstoffs von AstraZeneca gegen die südafrikanische Variante getestet. Ersten Ergebnissen zufolge soll der Impfstoff nicht vor leichten und mittelschweren Erkrankungen mit der Variante schützen. Gegen die britische Variante soll der Impfstoff wirksam sein. Die Hersteller planen Anpassungen.

Den Lockdown lockern? Das sagen Experten

Bis 14. Februar sind die derzeitigen Maßnahmen terminiert. Und danach? „Wir haben 0 Spielraum für Lockerungen, sonst beginnt mit Beginn März die 3. Welle“, warnte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gestern.

Die Braunschweiger Virologin Melanie Brinkmann hält eine Lockerung der Maßnahmen bei einer Inzidenz knapp unter 50 für „fatal“. Aus Sicht der Virologin könnten niemals genügend Menschen geimpft werden, „bevor die Mutanten durchschlagen“, sagte sie im „Spiegel“. 

Sie fürchtet, dass nur eine weiterhin konsequente Beschränkung der Kontakte bis zum April helfen könne, viele Zehntausende Tote zu verhindern und das Virus einzudämmen, bis genug Menschen geimpft seien. Andernfalls drohten ständig neue Lockerungen und Lockdowns.

Auch der Saarbrücker Pharmazie-Professor Thorsten Lehr warnt sogar vor einer Lockerung ab einer Inzidenz von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen. „Unsere magische Grenze liegt eher bei 20. Auch wenn das keiner hören will“, so Lehr. Er  hat mit seinem Forscherteam einen „Covid-Simulator“ entwickelt, der das Infektionsgeschehen in Deutschland berechnet und Prognosen liefert.

Lockdown-Verlängerung? Neue Gespräche zwischen Bund und Ländern

Am Mittwoch wollen Bund und Länder entscheiden, ob die bis zum 14. Februar geplanten Maßnahmen verlängert oder gelockert werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in einem Interview, sie müsse sich erst angucken, wie weit das britische Virus schon vorgedrungen ist.

Die Infektionszahlen sänken, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), doch dies sei etwa in Portugal und Irland auch der Fall gewesen. Durch Lockerungen hätten die Varianten dann wieder ein drastisches Hochschnellen bei den Corona-Infektionen gebracht. „Den Umstand wollen wir vermeiden.“ Als ausgemacht gilt: Wenn, dann sollen als Erstes Kitas und Schulen wieder mehr öffnen.

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnen vor vorzeitigen Lockerungen. Tschentscher warnte als erster Landeschef vor verfrühten Lockerungen im Hinblick auf die Mutationen. Söder mahnte ebenfalls zu Vorsicht, damit kein dritter Lockdown notwendig werde.

Corona-Mutanten: Darum sind noch so viele Fragen offen

Die Virusvarianten aus Großbritannien, Südafrika und Brasilien sind alle erst innerhalb der letzten sechs Monate entdeckt worden. In Deutschland gab es bis vor kurzem keine engmaschige Suche nach Mutationen wie etwa in Großbritannien oder Dänemark.

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Zudem gestaltet sich die Testung auf die Mutationen komplexer als jene auf das ursprüngliche Virus. In jedem positiven Fall muss eine sogenannte Genom-Sequenzierung in einem Labor erfolgen, die erst nach rund einer Woche ein Ergebnis liefert.

Derzeit fährt Deutschland die Tests auf Mutationen nach oben. In Hamburg wird zum Beispiel systematisch bei jedem zwanzigsten positiven Testergebnis eine solche Analyse beauftragt, sowie darüber hinaus bei Hinweisen auf eine Reiserückkehr aus entsprechenden Risikogebieten oder besonderer Krankheitsverläufe.

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