Am Montag gibt’s den Mega-Streik: Die neue Macht der Gewerkschaften
Halb Hamburg stand am Donnerstag still – weil die Gewerkschaft Verdi es so wollte. Am Montag könnte es noch schlimmer kommen, denn dann rufen zwei Gewerkschaften gleichzeitig zu Warnstreiks auf: Verdi sowie die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG. Sie wollen dann gemeinsam die Muskeln spielen lassen und für einen ganzen Tag weite Teile der Verkehrsinfrastruktur der Bundesrepublik lahmlegen. Warum die Gewerkschaften plötzlich so viel Macht haben.
Halb Hamburg stand am Donnerstag still – weil die Gewerkschaft Verdi es so wollte. Am Montag könnte es noch drastischer kommen, denn dann rufen zwei Gewerkschaften gleichzeitig zu Warnstreiks auf: Verdi sowie die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG. Sie wollen dann gemeinsam die Muskeln spielen lassen und für einen ganzen Tag weite Teile der Verkehrsinfrastruktur der Bundesrepublik lahmlegen. Warum die Gewerkschaften plötzlich so viel Macht haben.
Wer am Montag nicht unbedingt verreisen muss, sollte besser zu Hause bleiben und Homeoffice machen. Denn während die EVG die Beschäftigten von Eisenbahn- und Verkehrsunternehmen dazu aufruft, die Arbeit niederzulegen, kündigt Verdi Streiks bei der Hamburg Port Authority (HPA), bei der Autobahn-GmbH und beim Flughafen an. Verdi rechnet damit, dass in Hamburg 2500 Beschäftigte die Arbeit niederlegen.
Die Streiks beginnen zum Teil bereits in der Nacht zum Montag und dauern in einzelnen Betrieben bis Dienstag. Auch die Beschäftigten der Betriebszentrale des Elbtunnels sind aufgerufen, in den Ausstand zu treten – ob aber der Elbtunnel Montag gesperrt sein wird, ist unklar. Immerhin: U-Bahnen und Busse in Hamburg sind vom Streik nicht betroffen, weil die Tarifverhandlungen mit der Hochbahn schon abgeschlossen sind. Die Deutsche Bahn kündigte an, am Montag den gesamten Fernverkehr einzustellen. Kein ICE oder IC wird unterwegs sein. Auch im Regionalverkehr werde größtenteils kein Zug fahren, teilte der Konzern mit.
Den Termin für ihren Mega-Verkehrs-Streik haben die Gewerkschaften nicht zufällig gewählt. Denn am Montag beginnt die dritte Verhandlungsrunde im Tarifkonflikt des öffentlichen Dienstes. Verdi will die Arbeitgeber spüren lassen, was droht, wenn sie kein akzeptables Angebot vorlegen. „Mit diesem Infrastrukturstreik, der betriebliche und gewerkschaftliche Grenzen sprengt, geben wir den Arbeitgebern eine letzte Warnung: Wir können noch mehr!“ droht Verdi-Funktionär André Kretschmar.
„Wir stehen vor einer Eskalation, wie es sie zuletzt in den 70er Jahren gab“
Die Gefahr, dass die Tarifverhandlungen scheitern und möglicherweise für mehrere Wochen die S-Bahn nicht fährt, die Müllabfuhr nicht kommt, Kitas dicht bleiben, Flugzeuge nicht starten und in den Hafen keine Schiffe mehr einlaufen können, ist durchaus real. „Wir stehen vor einer Eskalation, wie es sie in der Bundesrepublik zuletzt in den 70er Jahren gegeben hat“, droht Susanne Schöttke, Verdi-Landesbezirksleiterin Nord. Verdi-Chef Frank Werneke stimmt die Mitglieder schon seit dem Herbst auf unbefristete Streiks ein.
Die Gewerkschaften strotzen derzeit nur so vor Selbstbewusstsein. Sie haben auch Grund dazu: Denn kaum einer kann sich erinnern, wann die Streikbereitschaft schon einmal derart groß war. Gleichzeitig verzeichnet Verdi Mitgliederzuwächse wie lange nicht: Allein in den ersten drei Monaten 2023 wurden 65.000 Neuzugänge registriert – nachdem Jahrzehnte lang die Mitgliederzahlen nur eine Richtung kannten: in den Keller.
Dazu, wie hoch der aktuelle Mitgliederzuwachs in Hamburg ist, gibt es noch keine Zahlen. „Aber auch wir merken den Zulauf deutlich“, so Hamburgs Verdi-Sprecherin Anja Keuchel zur MOPO. „Verdi wird stärker – die wachsende Beteiligung an den Warnstreiks der letzten Wochen zeigt das ja.“
Wegen der Inflation: Streikbereitschaft so hoch wie lange nicht
Die hohe Streikbereitschaft erklärt sich in erster Linie mit der Inflation, die bei jedem Arbeitnehmer Löcher ins Portemonnaie gerissen hat – und schlechter bezahlte Berufsgruppen sind davon natürlich besonders stark betroffen. „In den aktuellen Tarifrunden geht es für viele Menschen um die Frage, ob ihre Existenz in Zukunft noch gesichert ist“, so Anja Keuchel. „Es reift die Erkenntnis, dass die Interessen der Arbeitnehmer keine Beachtung finden, wenn sie sich nicht selbst dafür einsetzen.“
Angesichts steigender Preise, insbesondere für Energie und Lebensmittel, wollen die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst einen tüchtigen Schluck aus der Pulle. Allein 2022 sind nach Beginn des Ukraine-Krieges die Reallöhne, also die Gehälter gemessen an der Kaufkraft, um 4,1 Prozent gesunken. So erklärt sich auch, warum die Forderung, die im Raum steht, so hoch ist: 10,5 Prozent mehr Lohn verlangt Verdi für die 2,5 Millionen Beschäftigten der Kommunen und des Bundes, mindestens aber 500 Euro mehr.
„Die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst waren während der Pandemie und in Zeiten der Krise besonders gefordert und arbeiten oft am Limit“, sagt Anja Keuchel. „Wir fordern, dass diese Leistung anerkannt und ordentlich vergütet wird. Auch bezogen auf den Mangel an Fachkräften spielt eine gute Bezahlung eine wesentliche Rolle, wenn die Fachkräfte gehalten werden sollen.“
Verdi strotzt vor Selbstbewusstsein: 65.000 Neumitglieder in drei Monaten
Krankenhäuser, Staatsoper, Hafenverwaltung, Kindertagesstätten, Flughafen – gestreikt wurde am Donnerstag überall gleichzeitig. Das war ärgerlich für die Bürger, aber aus Sicht der Gewerkschaft ergibt diese Vorgehensweise Sinn: „Wir wollen deutlich machen, welche Bedeutung der öffentliche Dienst für die Gesellschaft hat“, sagt Anja Keuchel. „Und das spürt die Öffentlichkeit eben am besten dann, wenn alle gleichzeitig die Arbeit niederlegen. Die Arbeitgeber sollen wissen, wozu wir im Falle eines Falles in der Lage sind.“
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Verdi hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Gegenseite in der kommenden Verhandlungsrunde einlenkt. Dazu müssten sich die Arbeitgeber allerdings noch ganz schön bewegen: Sie bieten bislang lediglich fünf Prozent mehr Lohn an bei einer Laufzeit von 27 Monaten sowie eine Einmalzahlung von 2500 Euro. Aus Sicht der Gewerkschaft völlig inakzeptabel.
Ob dem Land heiße Wochen bevorstehen? Noch gibt es die Chance, dass es am Ende so ausgeht wie bei der Post. Dort standen kürzlich bereits alle Zeichen auf Arbeitskampf. Nachdem sich 86 Prozent der Verdi-Mitglieder für einen unbefristeten Streik ausgesprochen hatten, kehrten Arbeitgeber und Gewerkschaft an den Verhandlungstisch zurück und einigten sich. Auf 11,5 Prozent.
Mit Blick auf den Mega-Streik am Montag reagiert die Arbeitgeberseite mit heftiger Kritik. „Nicht ok“, so die Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), Karin Welge. Sie argumentiert, es sei immerhin möglich, dass in der am Montag beginnenden dritten Verhandlungsrunde in Potsdam ein Ergebnis erzielt werde. Auch Bahn-Personalvorstand Martin Seiler forderte „eine zügige Lösung“ des Tarifkonflikts statt eines großen Warnstreiks. Eine Sprecherin des Hamburger Flughafens sagt, zum bereits vierten Mal innerhalb kürzester Zeit rufe Verdi die Beschäftigten am Hamburger Flughafen zum Streik auf und sorge damit voraussichtlich wieder für massive Einschränkungen für Zehntausende Reisende. „Dieser Streik wird erneut ganz bewusst auf dem Rücken der Hamburger Passagiere ausgetragen – dass das Verständnis aller Unbeteiligten dafür sinkt, können wir gut nachvollziehen.“