Als Kind missbraucht: „Miss Germany“-Finalistin über einen unvorstellbaren Kampf
Keiner hat an sie geglaubt – oder gedacht, dass sie überlebt: Doch Lena Jensen (28) aus Hamburg hat sich aus ihren furchtbaren Kindheitserfahrungen herausgearbeitet. Nun ist sie eine von 10 Finalistinnen im Wettbewerb um „Miss Germany“. Der Wettbewerb hat sich verändert, jetzt geht es vor allem um die Botschaft. Lena möchte Opfern sexuellen Missbrauchs eine Stimme geben – und erzählt ihre unvorstellbare Geschichte.
MOPO: Frau Jensen, als Kind haben Sie gestottert und hatten eine Sozialphobie. Dennoch wollten Sie unbedingt auf die Bühne. Warum?
Lena Jensen: Ich wurde als Kind missbraucht und war in der Psychiatrie. Nachdem es meiner Familie so schlecht ging, habe ich versucht mich umzubringen. Nicht, weil ich die Erfahrung nicht mehr ausgehalten habe, sondern weil ich das Gefühl hatte, seit ich meiner Familie von dem Missbrauch erzählt habe, ist alles schlecht und wenn ich nicht mehr da bin, geht’s allen wieder gut. Daraufhin kam ich in die Psychiatrie.
Wie verarbeitet man so schlimme Erfahrungen?
- Deutsch (Deutschland)
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Keiner hat an sie geglaubt – oder gedacht, dass sie überlebt: Doch Lena Jensen (28) aus Hamburg hat sich aus ihren furchtbaren Kindheitserfahrungen herausgearbeitet. Nun ist sie eine von 10 Finalistinnen im Wettbewerb um „Miss Germany“. Der Wettbewerb hat sich verändert, jetzt geht es vor allem um die Botschaft. Lena möchte Opfern sexuellen Missbrauchs eine Stimme geben – und erzählt ihre unvorstellbare Geschichte.
MOPO: Frau Jensen, als Kind haben Sie gestottert und hatten eine Sozialphobie. Dennoch wollten Sie unbedingt auf die Bühne. Warum?
Lena Jensen: Ich wurde als Kind missbraucht und war in der Psychiatrie. Nachdem es meiner Familie so schlecht ging, habe ich versucht mich umzubringen. Nicht, weil ich die Erfahrung nicht mehr ausgehalten habe, sondern weil ich das Gefühl hatte, seit ich meiner Familie von dem Missbrauch erzählt habe, ist alles schlecht und wenn ich nicht mehr da bin, geht’s allen wieder gut. Daraufhin kam ich in die Psychiatrie.
Wie verarbeitet man so schlimme Erfahrungen?
Ich war bei ganz vielen Therapeuten. Doch ich habe immer gespürt, dass die eigentlich überfordert mit mir sind. Das war ja 1999, da war Therapie sowieso noch nicht so verbreitet. Als die Therapeutin in der Psychiatrie zu mir kam, saß ich dort mit verschränkten Armen und meinte: ‚Wie wollen Sie mir denn helfen? Wie wollen Sie wissen, wie es mir geht? Ich war sieben Jahre alt und habe so viel erlebt, dass ich mir viel erwachsener vorkam.
Wie reagierte die Therapeutin darauf?
Sie sagte zu mir: Lena, mach mal die Augen zu. Was ist das Erste, was du siehst? Was ist dein innigster Wunsch? Und ich habe mich gesehen, wie ich auf einer Bühne stehe. Mich Leute anschauen und ich sie bewegen kann, mit Gesang und Schauspiel. Das war natürlich widersprüchlich, weil ich genau das ja nicht hatte. Ich konnte nicht mal mich selbst bewegen, war total steif, hab gestottert. Aber irgendwie wollte ich es unbedingt. Und meine Therapeutin meinte daraufhin, wenn du mir jetzt vertraust, dann schaffst du das eines Tages.
Dieser Zuspruch und die Hoffnung waren sicher bedeutend für Sie.
Ja, ich habe daraufhin die Therapie gemacht. Und es geschafft, diese ganzen Ängste zu lösen. Viele Ärzte, bei denen ich vorher war, meinten, ich könne das gar nicht überleben. Dass eine Kinder-Seele das gar nicht tragen kann und das Herz oft einfach aufhört zu schlagen. Ich hatte auch eine verformte Blase – und keinen, der mir sagte, dass ich ein normales Leben führen kann. Die Therapeutin war die Einzige, die meinte, ich hätte ein Recht auf ein schönes Leben und ich könne es mir zurückholen.
Hamburg: „Miss Germany“-Finalistin Lena wurde in der Kindheit sexuell missbraucht
Konnten Sie den Missbrauch anzeigen?
Ja, ich habe den Missbrauch angezeigt. Daraufhin wurden wir als Familie aber bedroht. Und der Prozess zog sich drei Jahre. Andere Kinder waren auch involviert. Wir hatten alle unabhängig voneinander das Gleiche ausgesagt. Als der Prozess kam, wurden die Täter natürlich benachrichtigt. Es gab eine Hausdurchsuchung, aber da sie davon wussten, wurde nichts gefunden – auch keine Filme. Wir hatten alle ausgesagt, dass beim Missbrauch auch gefilmt worden war. Die Täter haben danach eigentlich keine rechtlichen Konsequenzen erfahren, aber wir haben eine einstweilige Verfügung erwirkt. Die Täter haben uns immer wieder aufgelauert, haben versucht uns einzuschüchtern.
Wie sind Sie diesem Albtraum entkommen?
Als wir wussten, dass unsere Chancen nicht gut sind, haben wir das Haus verbarrikadiert und so getan, als wären wir im Urlaub. Drinnen haben wir alles gepackt und mussten über Nacht in ein neues Haus ziehen. Wir haben den Namen gewechselt und eine neue Identität angenommen. Wir hatten Hilfe vom Weißen Ring.
Kannten Sie die Täter?
Das waren Menschen, die mir sehr nahestanden. Ich habe ihnen vertraut. Es waren auch sehr beliebte Menschen. Ich darf sie leider nicht genauer benennen. Sie haben mir auch immer eingeredet, ich sei schuld.
Sie haben Sie zur Täterin gemacht?
Genau. Sie haben immer gesagt, dass sei ein Geheimnis und ich dürfe es nicht erzählen. Das war wirkungsvoll: Als ich es erzählt habe, fühlte ich mich denen gegenüber sehr schuldig. Und ich fühlte mich schlecht, weil ich meine Familie da reingezogen habe. Es haben sich auch ein paar Verwandte von uns abgewandt.
Wieso das denn?
Sie meinten, das erzählt man nicht. Das schickt sich nicht, das wirft ein schlechtes Licht auf die Familie. Sie haben die Männer in Schutz genommen, gesagt, das würden sie doch nicht tun. Es war deshalb keine Erleichterung, als ich es erzählt habe. In der Therapie habe ich diese Erfahrungen verarbeiten können, genau wie das Stottern und die Sozialphobie.
„Miss Germany“: Lena möchte Opfern von sexuellem Missbrauch eine Stimme geben
Und Sie haben es auf die Bühne geschafft. Wie war der erste Auftritt für Sie?
Es war nicht einfach. Am Anfang habe ich auf der Bühne noch ein bisschen gestottert und war sehr verkrampft. Letztendlich war es aber ein tolles Gefühl und ich dachte, wenn ich es immer wieder mache, besiege ich diese Ängste. Irgendwann habe ich es richtig genossen. Von 2015 bis 2018 war ich dann im Bühnenstudio Hamburg und habe dort mein Schauspieldiplom gemacht.
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Und wie kamen Sie von der Bühnenkunst zu Miss Germany?
Ich habe auf Facebook die Anzeige gesehen und den Slogan „Frauen, die etwas verändern wollen“. Ich wollte meine Geschichte plötzlich öffentlich erzählen. Ich habe es geschafft, mir ein glückliches Leben aufzubauen – und damit vielleicht auch die Kraft, anderen zu helfen.
Sie möchten anderen Betroffenen eine Stimme geben?
Ja, ich will für das Thema mehr Bewusstsein schaffen. Viele schieben es von sich weg. Ich möchte aber auch das Vorbild sein, das mir damals gefehlt hat. An mich hat niemand geglaubt. Mir hat niemand gezeigt, dass auch jemand der Missbrauch erlebt hat, das Recht auf Glück im Leben hat – und auch darauf, wieder Liebe und Vertrauen zu finden. Ich möchte Mut machen.