Zehn Jahre Rückkauf der Energienetze: Als die Hamburger Olaf Scholz überstimmten
Es war eine knappe Entscheidung: Mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,9 Prozent stimmten die Hamburger für den Rückkauf der Energienetze in der Hansestadt – und zeigten damit Bürgermeister Olaf Scholz die rote Karte. Zehn Jahre sind seitdem vergangen. Heute gibt es keinen Zweifel daran, dass die Übernahme der Netze in die öffentliche Hand ein Erfolg war.
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Es war eine knappe Entscheidung damals: Mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,9 Prozent stimmten die Hamburger für den Rückkauf der Energienetze in der Hansestadt – und zeigten damit Bürgermeister Olaf Scholz die gelbe Karte. Zehn Jahre sind seitdem vergangen. Heute gibt es keinen Zweifel daran, dass die Übernahme der Netze in die öffentliche Hand ein Erfolg war.
Der 22. September 2013 war ein historischer Tag. Nicht nur, weil der Bundestag neu gewählt wurde. Nein, in Hamburg durften die Bürger noch ein zusätzliches Kreuz setzen und darüber abstimmen, wer die Stromnetze in der Hansestadt künftig betreiben darf.
Sechs Organisationen gründen Volksinitiative zum Rückkauf der Netze
Bis zu diesem Zeitpunkt gehörten sowohl das Strom- als auch das Fernwärmenetz mehrheitlich dem Energieversorger Vattenfall. Die Stadt war mit 25,1 Prozent beteiligt. Doch vielen Menschen in der Stadt war das zu wenig. Dass die Versorgung mit Strom, Gas und Wärme in den Händen profitorientierter Atom-Konzerne wie Vattenfall und Eon lag, bereitete vielen Unbehagen. Mit einer Rekommunalisierung – so die Idee – könnte man die Preisgestaltung nicht nur transparenter halten, sondern auch sozial gerechter und umweltfreundlicher.
Weil die Konzessionen für den Betrieb der Energienetze alle 20 Jahre neu vergeben werden, bot sich nun eine Chance. 2014 stand in Hamburg die Neuvergabe an. Eine Volksinitiative wurde gegründet. „Unser Hamburg – unser Netz“ bestand zunächst nur aus den sechs Organisationen BUND, Attac, Robin Wood, Verbraucherzentrale Hamburg, Initiative Moorburgtrasse stoppen und Diakonie und Bildung des Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreises Hamburg-Ost, die fleißig Unterschriften sammelten.
Wirtschaft und Politik versuchten, die Kommunalisierung der Netze zu verhindern
Doch was 2010 klein angefangen hatte, wuchs bis 2013 zu einem breiten Bündnis von 50 Organisationen an. Ein Volksbegehren im Juni 2011 fand 116.197 Unterzeichner. Der Wirtschaft gefiel das gar nicht. Zahlreiche Verbände und Kammern sowie der Steuerzahlerbund und die Betriebsräte von Vattenfall machten Stimmung gegen den drohenden Volksentscheid. Sie gründeten das Aktionsbündnis „Nein zum Netzkauf“, dessen Vorsitzender der Chef des Industrieverbands Hamburg und spätere Wirtschaftssenator Michael Westhagemann wurde.
Unterstützung bekamen die Gegner aus der Politik. CDU, FDP und auch die SPD samt Bürgermeister Olaf Scholz stellten sich dem Willen der Volksinitiative entgegen. Ihre Argumente: zu teuer, zu unsicher und eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort. Wochenlang gab es hitzige Diskussionen in der Stadt.
Knappe Mehrheit der Hamburger Bevölkerung stimmte für den Netzrückkauf
Am 22. September fiel die Entscheidung dann zwar knapp, aber dennoch eindeutig aus: Der Vorschlag der Initiative konnte sich mit 50,9 zu 49,1 durchsetzen – ein Rückschlag für Bürgermeister Scholz. Und obwohl es in Hamburg zuvor schon mehrfach vorgekommen war, dass Volksentscheide ignoriert wurden, wie beispielsweise der zur Verhinderung der Privatisierung der landeseigenen Krankenhausbetriebe 2004, zeigte sich Scholz geläutert.
„Volksentscheide sind Abstimmungen über Sachfragen, und in dieser Frage hat das Volk anders entschieden als Senat und Bürgerschaft zuvor“, erklärte der Bürgermeister nach Auszählung der Stimmen. Und: „Diesem Votum sieht sich der Senat verpflichtet.“ Er werde den Volksentscheid nicht ins Leere laufen lassen. „Der Senat hält seine Zusagen ein“, so Scholz.
Zur Umsetzung des Volksentscheides wurde der Energienetzbeirat eingerichtet. Zum 1. Januar 2014 übernahm die Stadt die Stromnetze von Vattenfall und zahlte dafür mehr als 610 Millionen Euro. Der zweite Schritt zur Umsetzung des Volksentscheids wurde zum 1. Januar 2018 umgesetzt: Auch das Gasnetz wurde in die öffentliche Hand zurückgekauft – für 275 Millionen. Die Übernahme des Fernwärmesystems erfolgte 2019 für 966,8 Millionen Euro. Insgesamt hat der Rückkauf der Netze inklusive aller Nebenkosten 1,93 Milliarden Euro gekostet.
Studie: Städtische Netzbetreiber wie Stromnetz Hamburg sorgen für Wertschöpfung in der Region
Trotz der hohen Kosten geben rückblickend dennoch selbst die einstigen Zweifler zu, dass der Netzrückkauf richtig war. Selbst der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende und heutige Finanzsenator Andreas Dressel räumt heute ein, dass die Rekommunalisierung für die Energiewende und den Klimaschutz gut war.
Eine Studie der Firma Conoscope am Beispiel von Stromnetz Hamburg wies kürzlich nach, dass städtische Netzbetreiber für die Regionen stets ein Gewinn sind und für Wertschöpfung vor Ort sorgen. Die Wissenschaftler wiesen nach, dass etwa die Hälfte der Ausgaben von Stromnetz Hamburg in der Stadt bleibt. Dazu gehören zum Beispiel Löhne, Aufträge an Fremdfirmen aber auch Steuern. Heißt: Das Geld wird auch wieder in Hamburg ausgegeben.
Gasnetz Hamburg für Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert
So werden aus einem Euro, den Stromnetz Hamburg ausgibt, später 1,40 Euro. Insgesamt beläuft sich die Wertschöpfung auf knapp 400 Millionen Euro. Bezogen auf die Metropolregion Hamburg sind es sogar knapp 600 Millionen Euro!
Gegen die steigenden Energiekosten ist allerdings auch ein städtisches Unternehmen machtlos. Dafür gibt es große Anstrengungen in Sachen Umweltschutz. Bis 2025 will Stromnetz Hamburg seine CO2-Emissionen komplett kompensieren. Gasnetz Hamburg wurde im August für sein Wasserstoff-Industrie-Netz HH-WIN für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert.
Die Initiatoren des Volksentscheids sind bis heute stolz auf ihren Erfolg. Zum Jahrestag am 22. September wird gefeiert – mit einer Party in der „cantina fux & ganz“, Bodenstedtstraße 16. Die Veranstalter bitten um Anmeldung.