Alles außer Wodka: Sie kämpfen gegen das Elend auf Hamburgs Straßen
Wind, Regen, Kälte: Ein Leben auf der Straße ist hart, besonders im Winter. Das Winternotprogramm der Stadt kommt nicht bei allen gut an. Einer der wenigen Lichtblicke ist für viele der Kältebus – so wie auch für Thomas, dessen trauriges Schicksal zu Tränen rührt. Die MOPO fuhr eine lange Nachtschicht auf den Straßen Hamburgs mit.
Wind, Regen, Kälte: Ein Leben auf der Straße ist hart, besonders im Winter. Das Winternotprogramm der Stadt kommt nicht bei allen gut an. Einer der wenigen Lichtblicke ist für viele der Kältebus – so wie auch für Thomas, dessen trauriges Schicksal zu Tränen rührt. Die MOPO fuhr eine lange Nachtschicht auf den Straßen Hamburgs mit.
Thomas (Name geändert) hat alles verloren. „Früher habe ich mit meiner Frau in Pinneberg gelebt“, erzählt der Mann. Er ist den Tränen nahe. „Dann wurde ich obdachlos und bin im Rollstuhl gelandet. Als ich im Wohnheim Bornmoor endlich wieder ein stabiles Leben hatte, gab es dort einen Brand.“ Ins Winternotprogramm wolle er nicht, da lägen überall Fäkalien, es gebe Gewalt und Diebstahl. „Die haben mir mein Handy geklaut!“
Die meiste Zeit verbringt er nun am Altonaer Bahnhof. An den trostlosen Tagen und Nächten gibt es wenige Lichtblicke. Einer davon ist der Besuch des Kältebusses, der jede Nacht zwischen 19 und 24 Uhr unterwegs ist.
Der Kältebus ist eine wichtige Anlaufstelle für Obdachlose
Der wird an diesem windigen Dienstagabend von Carsten Heuser (47) und Nina Deicher (24) gefahren. Die Beiden gehören zu den etwa 70 Ehrenamtlichen, die seit 2019 in den Nächten zwischen Oktober und März Wohnungslose, die es möchten, ins Winternotprogramm der Stadt fahren, Tee, Kaffee, Schlafsäcke, Isomatten und Fünf-Minuten-Terrinen verteilen. Und – nicht zu unterschätzen – menschliche Nähe. „Es ist wichtig, mit diesen Menschen in Kontakt zu treten, von ihren Sorgen und Nöten zu erfahren“, sagt Studentin Nina Deicher. Sie fährt in dieser Nacht zum ersten Mal mit, ihr Kollege ist seit der Gründung des Projektes dabei.
Eine feste Route hat das Mobil nicht. Passanten und Obdachlose können anrufen, wenn jemand friert oder Durst hat. Carsten Heuser und Nina Deicher sind an diesem Abend zum Bahnhof Altona gefahren, weil dort viele wohnungslose Menschen Schutz vor Kälte, Wind und Dunkelheit suchen.

Neben Thomas sitzen zwei Männer und eine Frau unter einem Berg von Decken, Kleidungsstücken und anderen Dingen. „Braucht ihr etwas zu trinken?“, fragt Carsten Heuser. „Tee?“ Einer hält zwei Flaschen hoch „Wir könnten noch Wodka-Nachschub gebrauchen“, antwortet er grinsend. Heuser schüttelt nur den Kopf: „Netter Versuch“.

Kurze Zeit später nähert sich eine etwas ratlos wirkende Frau. „Fahren Sie auch ins Krankenhaus?“, fragt sie und deutet auf eine Gestalt im Eingangsbereich des Bahnhofes. Sie sei Anwohnerin und kümmere sich regelmäßig um den jungen Obdachlosen. „Er hat sich selbst aus dem Krankenhaus entlassen, obwohl er eine Wunde am Bein hat. Sagte, er hätte etwas zu erledigen am Bahnhof. Jetzt muss er dringend zurück.“
Doch der Kältebus ist kein Krankenmobil. Eine geschlagene halbe Stunde reden Heuser und Deicher auf den Obdachlosen ein, der sich trotz des Horrorszenarios Blutvergiftung partout nicht überzeugen lassen möchte, mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus zu fahren. Schließlich müssen sie aufgeben – am nächsten Morgen wird das Krankenmobil der Caritas kommen. Bis dahin wird er durchhalten.

Bevor es weitergeht, bittet Thomas noch um einen Schlafsack. Einen Kaffee hat er schon getrunken. Er bedankt sich mehrmals für die Spenden.
Ihre Zeit ist das Wertvollste, was die Ehrenamtlichen geben
Weiter geht es in die Hamburger Innenstadt. Unter einem Vorbau in der Ludwig-Erhard-Straße liegt ein älterer Mann in einem Schlafsack. Ihm geht’s gut, sagt er, aber einen Tee würde er schon nehmen. Limone, wenn es geht. „Oft werden wir auch von der Polizei oder Feuerwehr angerufen, weil Obdachlose uns mehr vertrauen. Wir haben einen besseren Zugang“, sagt Carsten Heuser.

Immer wieder wird aber deutlich: Ihre Zeit ist das Wertvollste, was die Ehrenamtlichen schenken können. Ein Mann, der sich vor dem „Peek & Cloppenburg“ in der Spitalerstraße häuslich eingerichtet hat, zeigt ihnen stolz sein Buch. „Ich lese gerne historische Romane“, sagt er. Daraufhin entwickelt sich ein minutenlanges Gespräch über die besten dieser Art.
Der Anruf einer Restaurantmitarbeiterin führt Heuser und Deicher auf den Kiez. Der Obdachlose Peppi (53) möchte ins Winternotprogramm gebracht werden. Er freut sich. „Der Kältebus ist so ein tolles Projekt“, sagt er freudestrahlend. „Ich freue mich immer total, wenn er vorbeikommt.“
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Damit das Projekt weiterbestehen kann, ist es auf Spenden angewiesen (mehr Infos hier).
Benötigt werden beispielsweise Schlafsäcke und Isomatten – aber auch Engagement, Aufmerksamkeit und Zeit.