In Hamburg: Aldi restauriert historisches Gebäude mit Plastik statt Reet
Hamburg will im Bau möglichst viele nachwachsende Rohstoffe wie Holz einsetzen. In immer mehr Bars und Kneipen gibt es Trinkhalm aus Stroh und dünne Plastiktüten sind verboten. Doch ausgerechnet auf das Dach eines restaurierten historischen Schulgebäudes in Neugraben-Fischbek kommt nun Kunststoff statt Natur. Verschwinden jetzt nach und nach die historischen Hamburger Reetdachhäuser?
Hamburg will im Bau möglichst viele nachwachsende Rohstoffe wie Holz einsetzen. In immer mehr Bars und Kneipen gibt es Trinkhalme aus Stroh und dünne Plastiktüten sind verboten. Doch ausgerechnet auf das Dach eines restaurierten historischen Schulgebäudes in Neugraben-Fischbek kommt nun Kunststoff statt Natur. Verschwinden jetzt nach und nach die historischen Hamburger Reetdachhäuser?
Jahrelang stand die alte Reetdachkate an der Cuxhavener Straße 400 leer, zuletzt war sie sogar lange eingerüstet, nachdem es 2016 dort gebrannt hatte. Doch mittlerweile sieht das alte Schulhaus von Fischbek (1869) wieder richtig schön aus. Roter Klinker, historische Fenster und auch wieder ein Dach aus Reet. Doch das wirkt irgendwie komisch, denn es ist gleichmäßiger und die Reet-Schicht ist dünner. Tatsächlich handelt es sich gar nicht um echtes Schilf, sondern um eine Nachbildung aus Kunststoff.
Wiederaufgebaut wird das Gebäude im Auftrag des Discounters Aldi, der auf dem Grundstück daneben eine neue Filiale gebaut hat. Weil das Unternehmen dafür eine Genehmigung vom Bezirk Harburg brauchte und auch einen Teil des Schulgrundstücks, gab es diese Vereinbarung. Unter das Dach zieht das Archiv der Geschichtswerkstatt Süderelbe ein – auch das war Teil der Vereinbarung. Schon ab Juli eröffnet im Erdgeschoss die Bäckerei Schrader.
Altes Schulhaus in Fischbek: Reetdach ist aus Kunststoff
„Im Zusammenspiel mit unserem modernen Aldi Markt entsteht so ein neues Highlight für den Stadtbezirk“, sagt Florian Scholz, Leiter Immobilien und Expansion bei der zuständigen Aldi Regionalgesellschaft Seevetal. Aber warum künstliches Reet bei einem so historischen Gebäude? Scholz: „Es bietet deutliche Vorteile in Sachen Brandschutz und mit Blick auf die Halbwertzeit.“
Tatsächlich werben Firmen, die künstliches Reet anbieten, vor allem damit, dass es länger hält und weniger gepflegt werden muss als das Naturprodukt. Und Reetdächer aus Schilf müssen einen größeren Abstand zur Grundstücksgrenze einhalten als normale Hartdächer, zu denen die Kunstdächer zählen. Aber: Kunststoff besteht nun einmal in der Regel zu 95 Prozent aus Erdöl und muss aufwändig recycelt werden. Wenn es nicht am Ende sogar einfach nur verbrannt wird.
Klimawandel macht nachwachsende Rohstoffe nötig
„Reetdächer aus Kunststoff? Das ist doch ein Sakrileg“, sagt Ole Jedack. Der Reetdach-Fachmann arbeitet beim Familienunternehmen Hiss-Reet in Bad Oldesloe, das Reet für Dächer, Dämmungen und mittlerweile sogar als Trinkhalme vertreibt. Naturreet sei regelrecht ein Klimaretter, schwärmt Jedack. „Es kommt direkt aus der Natur, muss nicht angebaut werden, braucht weder Düngung noch Spritzmittel.“ Geerntet werde es im Einklang mit der Natur, dort, wo es ganz natürlich vorkommt. Und nachdem es ausgedient hat, kann es einfach verrotten.
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Im Angesicht des Klimawandels müsse man auf nachwachsende Naturbaustoffe setzen. Dass künstliches Reet länger hält, glaubt Jedack nicht. „Wie lange ein natürliches Reetdach hält, hängt stark davon ab, wie gut es gepflegt wird.“ Das künstliche Reet, „das ist der Sondermüll von morgen“.