Zahlen „alarmierend“: Immer mehr Hamburger Kinder sind Gewalt ausgesetzt
Es ist ein besorgniserregender Trend: Das Statistische Bundesamt hat am Mittwoch die Zahlen zur Kindeswohlgefährdung aus dem Jahr 2022 vorgestellt, darunter die Daten aus Hamburg. Die nüchterne Statistik offenbart: Die Zahl vernachlässigter und von Gewalt betroffener Kinder und Jugendlicher steigt weiter an – der Handlungsbedarf ist riesengroß.
Es ist ein besorgniserregender Trend: Das Statistische Bundesamt hat die Zahlen zu Kindeswohlgefährdungen aus dem Jahr 2022 vorgestellt, darunter die Daten aus Hamburg. Die nüchterne Statistik offenbart: Die Zahl vernachlässigter und von Gewalt betroffener Kinder und Jugendlicher steigt weiter an – der Handlungsbedarf ist riesengroß.
Während die Zahlen im Bereich der latenten Gefährdung mit 553 erfassten Fällen nur ein leichtes Plus von einem Prozent aufweisen, sind die erfassten Fälle bei der akuten Kindeswohlgefährdung mit 1253 Fällen im Vergleich zum Vorjahr um rund 23 Prozent gestiegen. Zuwachs gab es in drei von vier Kategorien: Bei Fällen von Vernachlässigung um 22 Prozent, bei körperlicher Misshandlung um 24 Prozent und bei psychischer Misshandlung sogar um 35 Prozent. Einzig die erfassten Fälle von sexueller Gewalt sind um neun Prozent gesunken.
Hamburg: Immer mehr Kinder erleben Vernachlässigung und Gewalt
Eine akute Gefährdung liegt vor, wenn „eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bereits eingetreten ist oder mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist.“ In solchen Fällen muss das Jugendamt tätig werden, um weiteren Schaden abzuwenden. Dazu zählt in erster Linie die Unterstützung der Eltern, im äußersten Fall aber auch die Inobhutnahme des gefährdeten Kindes.
Das könnte Sie auch interessieren: 32.000 Kinder betroffen: Elbkinder-Kitas planen neue Schließzeiten
„Die Entwicklung ist ein Indikator für die soziale Lage in der Stadt“, sagt Matthias Stein, Fachkraft des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) Hamburgs, der für die betroffenen Kinder zuständig ist. Vor allem die psychischen Belastungen bei jungen Menschen hätten sich seit Corona noch einmal verschärft.
Die Steigerung der Fallzahlen manifestiert einen Trend, der schon in der Pandemie seinen Lauf nahm. Schon 2021 hatte es im Vergleich zum Vorjahr einen regelrechten Sprung gegeben. Warum sind immer mehr Kinder und Jugendliche gefährdet? „Die Ursachen für den Anstieg sind vielfältig“, sagt die Sprecherin der Sozialbehörde Anja Segert. Die Möglichkeit, Fälle zu melden sei verbessert worden und auch die Sensibilität für das Thema habe sich erhöht. Die Behörde geht dazu von einem Corona-Effekt aus: „Seit der Pandemie haben psychische Erkrankungen von Kindern, finanzielle Schwierigkeiten und Trennungskonflikte zugenommen, die in der Folge auch zu Überforderung, Vernachlässigung führen können.“
Linken-Fraktionschefin: „Präventivarbeit lohnt sich“
Dass die Doppelkrisen Corona und Inflation bei Eltern vielfach zu Überforderung führen, weiß auch Tobias Lucht von der „Arche Hamburg“. Der Trend decke sich mit der Erfahrung, die er während der Arbeit mache: Nach der Eröffnung der „Arche“-Kita in Jenfeld im Jahr 2021 habe es dort reihenweise Fälle von Kindeswohlgefährdung gegeben: „Wir waren geschockt über das Ausmaß“, so Lucht.

„Das sind alarmierende Zahlen“, findet auch Sabine Boeddinghaus. Die Co-Fraktionschefin der Linken bemängelt eine chronische Unterfinanzierung der zuständigen Stellen wie des Kinder- und Jugendnotdienstes: „Wir wissen spätestens seit der Corona-Pandemie, dass mehr getan werden muss.“ Anstelle temporärer Maßnahmen, wie dem Unterstützungsprogramm „Aufholen nach Corona“, brauche es eine bedarfsorientierte Finanzierung sämtlicher Hilfsstrukturen.

Das könnte Sie auch interessieren: Kinder in Hamburg belästigt: Gutachten verändert Lage für Verdächtigen völlig
Boeddinghaus zufolge zeige die Statistik vor allem jene Fälle, bei denen es schon fast zu spät sei: „Präventivarbeit lohnt sich“, sagt sie. Dieser Meinung ist auch Tobias Lucht: „Verglichen mit den Langzeitfolgen ist es günstiger, präventiv in Kinder- und Jugendarbeit zu investieren.“