Ärztin kritisiert: „Die Kassen sparen auf Kosten behinderter Kinder“
Mit ihrer Petition „Stoppt die Blockade der Krankenkassen bei der Versorgung schwerstbehinderter Kinder“ hat die Ärztin Dr. Carmen Lechleuthner einen Stein ins Rollen gebracht. Mit der MOPO sprach die vierfache Mutter, deren jüngster Sohn behindert ist, über den mühevollen Kampf betroffener Familien zum Wohl ihrer Kinder.
MOPO: Als Mutter eines behinderten Kindes haben Sie das durchgemacht, was tausende Familien in Deutschland erleben: Die Krankenkasse lehnt die Kostenübernahme für Rollstuhl und andere Hilfsmittel ab. Was läuft da schief?
Carmen Lechleuthner: Das Problem ist ein systemisches. Die Krankenkassen haben Spielräume, die sie auf Kosten von behinderten Menschen und ihren Familien überstrapazieren. Der Fokus liegt primär darauf, Geld zu sparen, und nicht auf den Bedürfnissen des Kindes. Es ist sehr abhängig davon, bei welcher Kasse man ist und an welchen Mitarbeiter man gerät.
- Deutsch (Deutschland)
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Mit ihrer Petition „Stoppt die Blockade der Krankenkassen bei der Versorgung schwerstbehinderter Kinder“ hat die Ärztin Dr. Carmen Lechleuthner einen Stein ins Rollen gebracht. Mit der MOPO sprach die vierfache Mutter, deren jüngster Sohn behindert ist, über den mühevollen Kampf betroffener Familien zum Wohl ihrer Kinder.
MOPO: Als Mutter eines behinderten Kindes haben Sie das durchgemacht, was tausende Familien in Deutschland erleben: Die Krankenkasse lehnt die Kostenübernahme für Rollstuhl und andere Hilfsmittel ab. Was läuft da schief?
Carmen Lechleuthner: Das Problem ist ein systemisches. Die Krankenkassen haben Spielräume, die sie auf Kosten von behinderten Menschen und ihren Familien überstrapazieren. Der Fokus liegt primär darauf, Geld zu sparen, und nicht auf den Bedürfnissen des Kindes. Es ist sehr abhängig davon, bei welcher Kasse man ist und an welchen Mitarbeiter man gerät.
Was bedeutet das für die Familien?
Unter unserer Petition haben sich rund 18.000 Kommentare gesammelt. Die Betroffenen sind verzweifelt. Sie müssen immer wieder Widersprüche einlegen oder vor Gericht ziehen. Eine normale Familie kann sich das weder finanziell noch kräftemäßig leisten. Und nicht jeder ist intellektuell für so eine juristische Auseinandersetzung gewappnet. Viele haben auch nicht den Mut. Nur gegen etwa die Hälfte aller abgelehnten Anträge wird überhaupt Widerspruch eingelegt.
Welche Folgen hat das für die Kinder?
Oft basteln sich die Leute selbst die Hilfsmittel, die sie brauchen. Dann hängt ein Kind auf einem selbstgezimmerten Behelfssitz im Auto, was nicht nur medizinisch fragwürdig ist, sondern auch ein Sicherheitsrisiko darstellt. Und auch für die Kinder, deren Eltern sich wehren, ist es schwierig. Die Verfahren dauern oft sehr lange. In den zwei Jahren, die so dahingehen können, entwickelt das Kind ohne nötige Hilfsmittel Folgeschäden. Ohne Hörgerät lernt es nicht ordentlich sprechen, ohne Stützen entwickelt es Haltungsschäden.
Heißt, es entstehen nur neue Kosten für die Kassen?
Ja. Die Krankenkassen konzentrieren sich primär auf die unmittelbaren Kosten. Was später mit den Menschen passiert, ist sekundär. Es geht außerdem unheimlich viel Geld für die Bürokratie drauf. Allein für unseren Sohn wurden an die 40 Gutachten erstellt.
Wie rechtfertigen die Kassen die Ablehnungen?
Die Kassen beziehen sich auf Gutachten des Medizinischen Dienstes. Das Problem daran ist: Diese Gutachten entstehen am Schreibtisch nach Aktenlage. Die Kinder werden in den allermeisten Fällen gar nicht untersucht! Für mich als Ärztin ist das schwer nachzuvollziehen: Kein Arzt darf Diagnosen erstellen, ohne den Patienten gesehen zu haben. Ganz oft sind die Gutachter sogar fachfremd. Bei meinem Sohn waren es zum Beispiel Allgemein- oder Transfusionsmediziner, aber fast nie ein Pädiater!
Was fordern Sie?
Wir fordern eine direkte Kostenübernahme für von Spezialisten verordnete Hilfsmittel. Die Rezepte, die der Facharzt ausstellt, der das Kind seit Jahren gut kennt und begleitet, müssen reichen. Sie sollten nicht noch ein zweites Mal von jemand Fremden nachgeprüft werden. Darüber hinaus darf es nicht nur um medizinische Faktoren gehen. Der Fokus muss auch auf Behinderungsausgleich und der gesellschaftlichen Teilhabe liegen.
Wie meinen Sie das?
Mein Sohn braucht zum Beispiel einen E-Rolli. Bewilligt wird aber nur ein einfaches Modell. Den kann mein Sohn gar nicht bedienen. Er braucht den E-Rolli, um sich eigenständig bewegen zu können und mit seinen Freunden mithalten zu können. Heutzutage ist es möglich, dass schwerbehinderte Menschen Richter oder Lehrer werden. Dahin kommen sie aber nur, wenn ihnen der Weg dahin geebnet wird.
Viele Eltern von behinderten Kindern fühlen sich diskriminiert. Empfinden Sie das auch so?
Es wird einem das Gefühl gegeben, dass man etwas will, was einem nicht zusteht. So, als wollten wir uns Sozialleistungen erschleichen. Das ist aber falsch! Behinderte Menschen haben Anspruch auf Hilfsmittel. Wir wollen doch nur unsere Kinder gut versorgen.