Abzocke am Telefon: Der harte Kampf um die Stromkunden
„Mit Bedauern bestätigen wir hiermit Ihre Kündigung“ - die Post vom Stromversorger ist ein Schock für die Kundin, denn: Sie hat ihren Vertrag gar nicht gekündigt. Jedenfalls nicht wissentlich. Trotzdem soll sie nun Kundin eines anderen Anbieters sein. Die Masche funktioniert über verbotene Werbeanrufe – trotz einiger Hürden, die der Gesetzgeber bereits 2021 zum Schutz vor Telefon-Abzocke bei Stromverträgen erlassen hat. Besonders jetzt, wo wegen der Strompreisbremse hohe Erstattungen vom Staat zu erwarten sind, wittern einige Energieunternehmen ihre Chance.
„Mit Bedauern bestätigen wir hiermit Ihre Kündigung“ – die Post vom Stromversorger ist ein Schock für die Kundin, denn: Sie hat ihren Vertrag gar nicht gekündigt. Jedenfalls nicht wissentlich. Trotzdem soll sie nun Kundin eines anderen Anbieters sein. Die Masche funktioniert durch Überrumpelung am Telefon – trotz gesetzlicher Hürden. Besonders jetzt, wo wegen der Strompreisbremse hohe Erstattungen vom Staat zu erwarten sind, wittern einige Energieunternehmen ihre Chance.
Die Drückerkolonnen am Telefon spielen gekonnt mit der Angst der Menschen vor explodierenden Energiepreisen: „Sowohl im Jahr 2021 als auch im Jahr 2022 gingen bei der Bundesnetzagentur hierzu jeweils mehr als 14.500 Beschwerden von Verbraucherinnen und Verbrauchern ein“, so die Bundesnetzagentur auf MOPO-Nachfrage.
Dabei darf seit dem 27. Juli 2021 ein Energievertrag nicht mehr telefonisch abgeschlossen werden. Das muss immer in Textform geschehen, so steht es im Energiewirtschaftsgesetz. Aber: Als „Textform“ reicht laut Gesetz bereits eine SMS mit dem Wort „Ja“. Die Anrufer sind gut geschulte Verkäufer, die die Angerufenen oftmals in dem Glauben lassen, sie seien im Auftrag ihres bisherigen Stromlieferanten unterwegs. Das schafft Vertrauen.
Stromversorger: So schnell ist ein neuer Vertrag geschlossen
Die Gespräche drehen sich um Strompreise, die ja so hoch geworden seien, um die Strompreisbremse und ob man nicht einen günstigeren Tarif wolle? Man wolle doch sicher kein Geld aus dem Fenster werfen? Man könne sich ja mal ein Angebot schicken lassen, dafür bräuchte der Anrufer nur mal eben die Zählernummer. Und ob man ganz kurz per SMS bestätigen könne, dass man ein Angebot erhalten wolle? Nur ein „Ja“, das reiche. Danke.
Und schon ist unfreiwillig der Auftrag zur Kündigung des bisherigen Vertrags erteilt und ein neuer Vertrag abgeschlossen. Und zwar mit einem Unternehmen, dessen Namen der überrumpelte Angerufene womöglich zum ersten Mal hört, wenn er die Bestätigung per Post erhält. Der Kilowattpreis hat es dann meist in sich.
Strompreisbremse ändert den Markt
Die Strompreisbremse macht es für einige Unternehmen derzeit attraktiv, einen sehr hohen Preis aufzurufen, weil die Kunden bis April 2024 ohnehin maximal 40 Cent pro Kilowattstunde zahlen. Denen kann ein Mondpreis also egal sein, denn den Rest überweist der Staat – und je mehr Neukunden man jetzt an Land zieht, desto mehr Steuergeld fließt in die Firmenkasse.
Der Düsseldorfer Anbieter Windströöm etwa kauft Strom von lokalen Windparks und verkauft ihn aktuell für 97,68 Cent pro Kilowattstunde. Der größere Anteil wird dabei also dem Staat in Rechnung gestellt. Zum Vergleich: Bei Hamburg Energie kostet 100 Prozent Ökostrom 49,95 Cent die Kilowattstunde. Es gibt sogar Ökostromanbieter, die angesichts der derzeit sinkenden Strompreise unter 40 Cent liegen, also gar kein Geld vom Staat beanspruchen.
Windströöm-Geschäftsführer Peter Frotz bestätigt auf MOPO-Anfrage, dass „in der jüngsten Vergangenheit tatsächlich umfangreiche Neukunden-Gewinnungskampagnen initialisiert wurden“. Die Akquise neuer Kunden sei dabei an Dienstleister ausgelagert worden, sprich an Agenturen, die die Kunden anrufen. Es entspreche alles den rechtlichen Vorgaben, jeder Neukunde habe den Vertragswechsel mit einem „Ja“ per SMS bestätigt.
Vertragsabschluss: Das sagen Verbraucherschützer
Reicht das? „Nur eine SMS mit ,Ja‘ alleine reicht nicht“, sagt Jan Bornemann, Jurist und Rechtsexperte der Verbraucherzentrale Hamburg. „Dem Kunden müssen die zentralen Vertragsteile vorliegen, also Name des Vertragspartners, Laufzeit, Konditionen.“ Oft wird nicht einmal nicht gesetzliche SMS-Hürde genommen: Die ARD-Sendung „Report Mainz“ hat mit Betroffenen von untergeschobenen Stromverträgen gesprochen, die während des Anrufs keine Bestätigung per SMS zurückschickten und trotzdem neue Verträge erhielten. Auch der MOPO liegt ein solcher Fall vor.
Wie kann es sein, dass Stromkunden überhaupt unerwünschte Anrufe erhalten? Kaltakquise ist doch verboten. Peter Frotz von Windströöm will auch davon gar nichts wissen: „Wir verwehren uns nachdrücklich jeglicher Unterstellung, dass die Windströöm GmbH Kaltakquise-Tätigkeiten ausübt oder duldet. Wir können effektiv sicherstellen, dass nur Daten von Kunden verwendet werden, die zuvor explizit zugestimmt haben.“
Kaltakquise: Das steckt hinter den nervigen Werbeanrufen
Aber wer stimmt denn freiwillig zu, penetrante Werbeanrufe zu erhalten? Die Zustimmung zu Werbung heißt im Marketingsprech „Opt-in“. „Dieses Opt-in wird oftmals untergeschoben“, erklärt Verbraucherschützer Bornemann. „Das kann etwa bei Gewinnspielen passieren, wenn ich anklicke ,Ich willige ein, dass mir das Unternehmen und seine Partnerfirmen Angebote unterbreiten‘. Auch Handyverträge haben oft so einen Passus im Kleingedruckten. Das macht Abmahnungen gegen Kaltakquise oft so schwer.“
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Gehen auch die großen Versorger telefonisch auf Neukundenfang? Vattenfall weist das von sich und warnt auf seiner Seite sogar vor den Anrufen: Vorsicht, Falle! Hamburg Energie erklärt auf MOPO-Nachfrage: „Wir haben noch nie Outbound-Telefonakquise gemacht (Anrufe über einen Dienstleister, d. Red.) und planen auch keine, da uns bei dieser Art Kundenakquise die Seriosität fehlt.“
Rat der Verbraucherschützer: Sofort weitere Anrufe untersagen, auflegen und die Nummer blockieren. Es ist auch möglich, die Nummer der Bundesnetzagentur zu melden, die Bußgelder bis zu 300.000 Euro verhängen kann (wenn sich Tausende Menschen über ein Unternehmen beschweren). Und wenn es doch zu einem unerwünschten Vertragsabschluss gekommen ist? Sofort kündigen, per Einschreiben. Die Frist beträgt 14 Tage. Es ist allerdings nicht garantiert, dass man bei seinem früheren Verbraucher zu den alten Konditionen wieder einsteigen kann.