Hamburger Genossenschaft lässt 162 Wohnungen abreißen – um das Klima zu schützen!?
Umwälzende Planungen: Ausgerechnet eine Genossenschaft will in Bahrenfeld zehn Mehrfamilienhäuser mit 162 Wohnungen abreißen. Bewohner fürchten, dass sie vertrieben werden und sich die Neubaumiete dort nicht mehr leisten können. Zudem droht durch den Abriss eine gewaltige Ressourcen-Verschwendung. Oder? Der Altonaer Spar- und Bauverein (Altoba) hält dagegen. Seine Pläne seien ökologisch und nachhaltig. Was stimmt denn nun? Und was steckt hinter dem Vorhaben?
Umwälzende Planungen: Ausgerechnet eine Genossenschaft will in Bahrenfeld zehn Mehrfamilienhäuser mit 162 Wohnungen abreißen. Bewohner fürchten, dass sie vertrieben werden und sich die Neubaumiete dort nicht mehr leisten können. Zudem droht durch den Abriss eine gewaltige Ressourcen-Verschwendung. Oder? Der Altonaer Spar- und Bauverein (Altoba) hält dagegen. Seine Pläne seien ökologisch und nachhaltig. Was stimmt denn nun? Und was steckt hinter dem Vorhaben?
Das Häuser-Ensemble aus den 60er Jahren liegt idyllisch mit viel Grün zwischen den Gebäuden nördlich der Bahrenfelder Chaussee am Luthergrund und der Schmalkaldener Straße. Die Rotklinkerhäuser sind wie so viele Häuser aus der Zeit nur drei- bis viergeschossig und locker auf die Fläche gebaut. Eine Sanierung steht längst an. „Die Anlage hat ihre besten Jahre gehabt“, sagt Altoba-Sprecherin Silke Kok. Die Dächer, Fenster und Rohrleitungen müssten erneuert werden, die Fassaden gedämmt.

Die Genossenschaft hat sich aber für Abriss und Neubau entschieden. „Das ist wirtschaftlich, ökologisch und nachhaltig“, so Kok. Die Wohnungen würden moderner, besser wärmegedämmt, erhielten einen besseren Schallschutz und seien dann barrierefrei zugängig.
Altoba plant Abriss von Häusern in Bahrenfeld
Die teils schon sehr lange hier lebenden Mieter (bzw. Genossenschaftsmitglieder) sorgen sich, dass sie die Miete für die neuen Wohnungen nicht mehr bezahlen können – und scheuen sich vor dem Umzug. Kok betont aber, dass eine energetische Sanierung ebenfalls Umzüge nötig machen würde. „Die Bewohner könnten nicht in den Wohnungen bleiben, das wäre unzumutbar.“
Wenn es nach den Plänen der Altoba geht, soll zunächst ein Neubau mit Tiefgarage auf dem Parkplatz des Geländes entstehen. In diesen sollen dann die Bewohner umziehen, deren Gebäude als erstes abgerissen werden. Dann würden nach und nach weitere Gebäude gebaut und alte abgerissen. Kok: „Natürlich sollen alle Bewohner dort auch in Zukunft leben können.“
Neubau von Wohnungen günstiger als Sanierung
Eine Modernisierung würde die Lebenszeit der Gebäude laut Altoba um 40 bis 50 Jahre verlängern. Ein Neubau hingegen halte 70 bis 80 Jahre. Und eine Modernisierung würde zwei Drittel der Kosten verschlingen, die für einen Neubau anfallen.
Was Kok nicht sagt: Bei Neubauten kann verdichtet werden – was höhere Einnahmen bedeutet und im Vergleich zur Sanierung attraktiver ist, auch für Genossenschaften. In diesem Fall wäre es ein zusätzliches Gebäude mit 20 weiteren Wohnungen auf der bisherigen Parkplatzfläche.

Die Kosten für die Bewohner würden tatsächlich steigen. Kok: „Aber wir müssen doch auch die zweite Miete im Blick behalten, die Energiekosten werden weiter steigen.“ Und Neubauten seien energetisch nun einmal besser und hätten deutlich niedrigere Nebenkosten zur Folge als sanierte Gebäude.
Die Altoba ist bereits mit dem Bezirk Altona und der Stadtentwicklungsbehörde im Gespräch. Als Baustart ist 2024 anvisiert. „Wenn die Genossenschaft die Unwirtschaftlichkeit der Häuser nachweisen kann, dann werden sie auch abreißen dürfen“, schätzt Altonas CDU-Chef Sven Hielscher die Lage ein. Die Schäden an der Substanz der Gebäude seien sehr groß. Aber die Altoba müsse sich auf vertragliche Regelungen mit der Stadt einstellen, die den Bewohnern viele Sicherheiten einräume.
Architekten fordern Abriss-Moratorium
Ganz und gar nicht ökologisch und nachhaltig finden derartige Abrisspläne viele Architekten, Professoren und der Bund deutscher Architekten (BDA). Er hatte am 19. September in einem offenen Brief an die Bundesbauministerin Klara Geywitz ein Abriss-Moratorium gefordert.
In der Erklärung, die auch von Professoren der HafenCity Universität unterschrieben wurde, heißt es: „In Deutschland entstehen jedes Jahr 230 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle, was 55 Prozent des gesamten deutschen Abfalls ausmacht. Heute, wo die Klimaerwärmung spürbar, die Energieversorgung unsicher und die planetaren Grenzen erreicht sind, ist nicht der Erhalt von Gebäudestrukturen erklärungsbedürftig, sondern ihr Abriss. Statt Abriss und Neubau stehen wir für Erhalt, Sanierung, Umbau und Weiterbauen im Bestand. Jeder Abriss bedarf einer Genehmigung unter der Maßgabe des Gemeinwohls, also der Prüfung der sozialen und ökologischen Umweltwirkungen.“
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Die Hamburger Stadtentwicklungsbehörde hält sich mit einem Urteil zum Abriss noch bedeckt. „Ob eine nachhaltige Entwicklung des Quartiers möglich ist, kann erst nach Abschluss umfangreicher Prüfungen bewertet werden“, heißt es aus der Pressestelle. „Uns ist auch beim Luthergrund eine durchdachte Planung wichtig, die alle Belange des Quartiers berücksichtigt und eine sozialverträgliche Weiterentwicklung sicherstellt.“