900 Kilometer ohne Beine: Der „halbe Mann“ tourt durch Deutschland
Florian Sitzmann hat drei Kinder, ist glücklich verheiratet und erfolgreich im Job. Als die MOPO mit ihm telefoniert, ist er gerade mit seinem Auto auf dem Weg zu einem beruflichen Meeting. Aber ihm fehlt buchstäblich die Hälfte seines Körpers: Seit einem Motorradunfall hat der heute 46-Jährige keine Beine mehr. Dennoch will Sitzmann bald mit dem Rad quer durch Deutschland touren – los geht’s in Hamburg.
Der 31. August 1992 veränderte alles im Leben von Florian Sitzmann aus Hessen. Er saß auf einem Motorrad hinter seinem damals besten Freund Stefan, sie waren auf dem Rückweg von einem Kurztrip in die Niederlande. Stefan war erschöpft, unaufmerksam – da knallte es. Ein Lkw-Fahrer erfasste das Motorrad. Sitzmanns bester Freund flog über den Lenker ins Gebüsch, er selbst geriet unter den Laster und wurde schwer verletzt.
- Deutsch (Deutschland)
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Florian Sitzmann hat drei Kinder, ist glücklich verheiratet und erfolgreich im Job. Als die MOPO mit ihm telefoniert, ist er gerade mit seinem Auto auf dem Weg zu einem beruflichen Meeting. Aber ihm fehlt buchstäblich die Hälfte seines Körpers: Seit einem Motorradunfall hat der heute 46-Jährige keine Beine mehr. Dennoch will Sitzmann bald mit dem Rad quer durch Deutschland touren – los geht’s in Hamburg.
Der 31. August 1992 veränderte alles im Leben von Florian Sitzmann aus Hessen. Er saß auf einem Motorrad hinter seinem damals besten Freund Stefan, sie waren auf dem Rückweg von einem Kurztrip in die Niederlande. Stefan war erschöpft, unaufmerksam – da knallte es. Ein Lkw-Fahrer erfasste das Motorrad. Sitzmanns bester Freund flog über den Lenker ins Gebüsch, er selbst geriet unter den Laster und wurde schwer verletzt.
„Für Stefan war es schwer zu ertragen, dass er unbeschadet davonkam, während ich beide Beine verlor und wochenlang um mein Leben kämpfen musste“, berichtet Sitzmann. Diese Last habe seinen Kumpel fast in den Selbstmord getrieben. Und so war es der damals 16-Jährige, der Kämpfermut bewies und seinem Freund zeigte, dass Weiterleben möglich ist.
Florian Sitzmann hat beide Beine bei einem Unfall verloren
Doch so stark Sitzmann nach außen auch wirkte – er brauchte einige Jahre, bis er sein neues Rollstuhl-Leben als „halber Mann“, wie er sich jetzt nennt, annehmen konnte. „Es hat sehr lange gedauert, bis ich die Blicke auf der Straße akzeptieren konnte“, so Sitzmann. „Aber dann habe ich angefangen zu leben. Ich habe Frauen getroffen, bin gereist, habe Sport gemacht, war mal wild, mal ruhig, habe nichts ausgelassen.“
Aus seiner ersten Ehe ging Tochter Emely (15) hervor, Sitzmanns ganzer Stolz. Mit seiner zweiten Frau bekam er die Zwillinge Hanna und Georg, heute sieben Jahre alt. Seinen ursprünglichen Berufswunsch, Schreiner, gab Sitzmann auf, ein kleiner Wermutstropfen, und entschied sich für eine kaufmännische Ausbildung, die sich mit seiner Einschränkung besser vereinbaren ließ. Nach wie vor ist jedoch das Handwerk ein großes Hobby – in der Schreinerwerkstatt seines Kumpels Thomas verbringt Sitzmann viel Zeit.
Seit einigen Jahren ist der 46-Jährige hauptberuflich „der halbe Mann“. Mit seinem gleichnamigen Buch sowie einem weiteren Buch mit dem Titel „Bloß keine halben Sachen“ tourt er durch Deutschland, hält Vorträge und erkundet mit seinem Handfahrrad die Straßen des Landes. Sitzmann ist dreifacher Deutscher Meister sowie Vize-Weltmeister auf dem Handfahrrad und hat an den Paralympics teilgenommen.
Unfallfahrer glaubte 19 Jahre lang, Sitzmann sei tot
Die Freundschaft mit Stefan ist in die Brüche gegangen. Doch an dem schicksalhaften Unfall im Jahr 1992 war noch eine dritte Person beteiligt. Ein Lkw-Fahrer, der zwar nicht schuld an dem Unfall war, aber 19 Jahre lang in dem Glauben lebte, er habe Florian Sitzmann totgefahren. „2011 sah Daniel mich in einer Talkshow und schrieb mir einen Leserbrief. Man hatte ihm damals fälschlicherweise erzählt, dass ich bei dem Unfall ums Leben gekommen sei“, berichtet Florian Sitzmann. Auch der Fahrer habe sich unter der Last beinahe selbst umgebracht – und könne nun viel besser leben, da er einen glücklichen Sitzmann kennengelernt habe.
Am 31. August jährt sich Sitzmanns Schicksalstag zum 30. Mal. Das möchte er feiern, sagt er, und hat deshalb eine Handbike-Tour durch Deutschland geplant. Am 18. August geht’s in Hamburg los, das Ziel ist die Zugspitze. 900 Kilometer, 5.500 Höhenmeter, 13 Etappen – das wird kein leichtes Unterfangen. „Ich weiß, dass ich auch das schaffen kann“, sagt Sitzmann und die Überzeugung in seiner Stimme räumt jeden Zweifel aus. Mit seiner Tour will er Spenden für die Stiftung „Hoffnung für Kinder“ sammeln.
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Florian Sitzmanns Lebenseinstellung fasziniert. Wie er so positiv sein kann? „Viele Menschen sagen mir, dass ihnen ihre Probleme angesichts meines Schicksals plötzlich so klein vorkommen. Und dann schaue ich in die Ukraine oder an andere Orte, an denen schreckliche Dinge passieren und bin plötzlich dankbar für das, was ich habe. Jeder sollte das sein.“ Was sich der „halbe Mann“ für die Zukunft wünscht? „Dass ich lebe, ist ein Wunder. Ich wünsche mir, dass meine Familie und ich weiterhin glücklich und gesund bleiben.“