Künstler müssen Quartier räumen: Hamburg vergrault seine Kreativen
Hamburg wächst. Doch für Kreative scheint kaum Platz zu sein. Zum dritten Mal innerhalb von sechs Jahren muss die „Mundhalle“ ihre Räume verlassen. Eine Genossenschaft, in der 70 Akteur:innen aus 40 Gewerken zusammenarbeiten. Von Bildenden Künstlern über Handwerker bis hin zu Designern und Architekten. Gemeinsam haben sie im Überseequartier einen Ort der Innovationen, eine feste Kreativ-Institution der Stadt geschaffen. Wird keine neue Halle gefunden, steht die Genossenschaft vor dem Aus.
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Hamburg wächst. Doch für Kreative scheint kaum Platz zu sein. Zum dritten Mal innerhalb von sechs Jahren muss die „Mundhalle“ ihre Räume verlassen – eine Genossenschaft, in der 70 Akteur:innen aus 40 Gewerken zusammenarbeiten von bildenden Künstlern über Handwerker bis hin zu Designern und Architekten. Gemeinsam haben sie im Überseequartier (HafenCity) einen Ort der Innovationen, eine feste Kreativ-Institution der Stadt geschaffen. Wird keine neue Halle gefunden, steht die Genossenschaft vor dem Aus.
Angefangen hatte es mit einer kleinen Gruppe Kreativer, die für ein Jahr eine Industriehalle in Rothenburgsort nutzen durfte. Schnell kamen immer mehr Leute hinzu. Eine neue Halle wurde bezogen. 2020 musste die Fläche jedoch geräumt werden. Mitten im Überseequartier, direkt an der Elbe, fanden die Kreativen, die mittlerweile eine Genossenschaft gegründet hatten, ein neues Zuhause. Als Zwischenmieter für zwei Jahre im Cruise Center Terminal an der Hübenerstraße. Doch Ende Februar ist auch hier Schluss. Die Halle wird abgebaut, das Gelände bebaut.
„Mundhalle“: Viel Know-How und Kompetenz an einem Ort
„Was wir machen ist unheimlich wertvoll. Hier gibt es so viel Kompetenz, so viel Knowhow an einem Ort. Wir haben eine Vielfalt an Möglichkeiten, Dinge zu verwirklichen“, sagt Merlin Reichart (31). Gemeinsam mit seinem Vorstandskollegen Daniel Pietschmann (40) und Mitstreiterin Insa Kühlcke-Schmoldt (34) führt er über das Gelände.
Draußen werkelt Julius Bavendamm (38) an seinem 20-Fuß-Überseecontainer, den er zum schicken Tiny-House ausgebaut hat. Drinnen ragen Wände aus Containern in die Höhe, das Dach besteht aus Fachwerk. Es geht vorbei an der Werkstatt der Tischler und des Bootsbauers. Gegenüber das Studio der Fotografen. Daneben übereinanderstehende Bürocontainer, in denen Designer arbeiten – von Möbel- über Textil- bis hin zu Webdesignern. Dahinter steht Nina Pelka (38) an einer Leinwand. Sie ist Malerin und Goldschmiedemeisterin. „In der ,Mundhalle‘ male ich bisher nur. Eigentlich war der Plan, die Werkstatt hier mit reinzunehmen, aber daraus wird ja nun erst einmal nichts“, sagt die Frau und lächelt. Es ist ein trauriges Lächeln. Aber nicht hoffnungslos.
Die Genossenschaft sucht nun eine Industriehalle
Die Akteur:innen glauben fest daran, einen neuen Kreativ-Ort zu finden. Eigentlich sollten sie eine Fläche der Stadt bekommen. Über den Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) wurde der „Mundhalle“ ein Gelände am Holzhafen in Moorfleet zugesichert. Es wurde bereits ein Nutzungskonzept entwickelt, Architekten sollten beauftragt werden. „Allerdings weigert sich der ehemalige Pächter zu gehen und hat Einspruch gegen seine Räumung erhoben. Jetzt stehen wir wieder vor dem Nichts“, sagt Merlin Reichart. Das Ganze landet nun vor Gericht. Doch das Verfahren kann Jahre dauern. Zeit, die die „Mundhalle“ nicht hat. Bis sie das Grundstück in Moorfleet beziehen kann, muss erneut eine Zwischenlösung her. Die Genossenschaft sucht zur Miete eine Industriehalle mit 1500 bis 3000 Quadratmetern oder ein Grundstück.
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Eine Ausweichfläche von der Stadt ist nicht in Sicht. „Hamburg entledigt sich mehr und mehr Räumen, in denen Kreative und kleine Unternehmen noch einen Platz finden“, sagt Merlin Reichart. Die Vorstandsvorsitzenden sind frustriert. Einige Mitstreiter haben die „Mundhalle“ bereits Richtung Berlin verlassen. Da gäbe es noch mehr Freiraum. „Wir wollen in Hamburg bleiben, wir wollen die Stadt bereichern. Aber die Stadt plant zu wenig Platz ein für eigenständige Innovationen“, sagt Daniel Pietschmann. Sollte kein neuer Ort gefunden werden, muss sich die Genossenschaft auflösen. Oder abwandern. Doch daran wollen die Kreativen noch nicht denken. Kreativität in Hamburg, für Hamburg – das ist ihr Ziel.
Wer das Projekt kennenlernen möchte: Die Mundhalle lädt Interessierte am 19. Januar um 16.00 Uhr zum „Krisen-Fest“ ein. Mehr Infos sind www.mundhalle.de nachzulesen.