Qualvoller Tod auf dem Kiez: Bekommt Semra Ertan endlich einen Gedenkort?
Vor 41 Jahren verbrannte sich die Aktivistin und Autorin Semra Ertan. Mitten auf St. Pauli. Es war ihre Art des Protests – gegen Rassismus und für Menschenrechte. Wo sie starb, fordert die Initiative in Gedenken an Semra Ertan heute einen Erinnerungsort. Für ihre Schwester ist sie noch immer eine Heldin.
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Vor 41 Jahren verbrannte sich die Aktivistin und Autorin Semra Ertan. Mitten auf St. Pauli. Es war ihre Art des Protests – gegen Rassismus und für Menschenrechte. Wo sie starb, fordert die Initiative in Gedenken an Semra Ertan heute einen Erinnerungsort. Für ihre Schwester ist sie noch immer eine Heldin.
1971 zog Semra Ertan aus der Türkei zu ihren Eltern nach Deutschland. Sie begann, Gedichte zu schreiben. Bis zu ihrem Tod wurden es 350. Sie ging zur Schule und arbeitete unentgeltlich als Dolmetscherin für andere Migrant:innen. Dann wollte sie Abitur machen, eine Ausbildung, doch immer wieder wurden ihr diese Wege verwehrt, berichtete sie zu Lebzeiten.
Semra-Ertan-Platz auf St. Pauli: Initiative erinnert an Aktivistin
1982 zündete sie sich im Alter von 25 Jahren selbst an. Als Protest gegen den alltäglichen Rassismus auf der Straße und den systematischen Rassismus der Behörden, den sie als Dolmetscherin bei Behördengängen immer wieder miterlebte. Dies klagte sie an – und forderte Gleichberechtigung. In ihrem Namen tritt die Initiative in Gedenken an Semra Ertan noch heute für Menschenrechte ein – und möchte einen Gedenkort für Semra Ertan auf St. Pauli schaffen.
Ganz in der Nähe der Simon-von-Utrecht-Straße, Ecke Detlev-Bremer-Straße, gibt es nämlich einen kleinen namenlosen Platz. Dort, wo die Clemens-Schulz-, Detlev-Bremer- und Annenstraße aufeinandertreffen, fordert die Initiative einen Semra-Ertan-Platz.
Semra Ertans Schwester: „Sie war eine Heldin“
„Wir sind dankbar für jedes Engagement der Gesellschaft, das an meine Schwester und ihren Protest erinnert“, sagt Zühal Bilir-Meier, Semra Ertans älteste Schwester. Seit 2019 organisiert sie gemeinsam mit ihrer Tochter Cana Bilir-Meier und Mitgliedern der Initiative jährliche Gedenkveranstaltungen. „Semra war eine Heldin. Und ihre Proteste, ihre letzte verzweifelte Tat, das hat sie aus Überzeugung getan“, so Bilir-Meier.
Dass sie als 25-Jährige so einen furchtbaren Tod gewählt hat, zeige doch, wie sehr sie unter den rassistischen Anfeindungen gelitten habe, bemerkt Bilir-Meier. Schon zuvor war sie in den Hungerstreik getreten und hatte NDR und ZDF ihre Pläne und Forderungen geschildert: „Ich möchte, dass Ausländer nicht nur das Recht haben, wie Menschen zu leben, sondern auch das Recht haben, wie Menschen behandelt zu werden… Und ich will, dass sie über meinen Tod nachdenken.“
„Semra hat auch gelacht, Mut gespendet“, erzählt Bilir-Meier. Doch am Ende hätten die negativen gesellschaftlichen Umstände überwogen. Und natürlich sei Ertan nur nur ein Beispiel für viele Migrant:innen, die Rassismus oder Antisemitismus noch heute erfahren, so Bilir-Meier.
Ein Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus auf St. Pauli
Der Gedenkort solle Rassismus, Antisemitismus und Ertans Tod sichtbar machen, gleichzeitig aber auch Mut und Hoffnung spenden, wie Ertans Gedichte. Zühal Bilir-Meier wünscht sich, dass der Kampf ihrer Schwester für Gleichstellung und ihre Gedichte so für die nächsten Generationen überleben.
Ein Semra-Ertan-Platz auf St. Pauli wäre dafür ein wichtiger Schritt. Eine offizielle Einweihung ist zwar noch nicht in Sicht, doch auf dem Kiez findet die Idee Zustimmung. „Die Initiative kämpft ja schon länger darum, dass Semra Ertan nicht vergessen wird“, sagt Steffen Masur, Inhaber des nahegelegenen „Café Miller“, „den Platz umzubenennen finde ich deshalb gut.“
Die Initiative hat schon einiges erreicht: Semra Ertan sei mehr ins Bewusstsein der Gesellschaft gerückt, ihr 2020 erschienener Gedichtband öfter gekauft worden und Jahr für Jahr besuchten mehr Menschen die Gedenkfeier. Außerdem unterstützt der Quartiersbeirat im Bezirk die Initiative und empfiehlt die offizielle Benennung des Semra-Ertan-Platzes. Am 12. September wird der City-Ausschuss über die Platzbenennung diskutieren, bevor der Senat über den Antrag entscheiden kann.
So können Semra Ertans Geschichte und ihre Ziele durch die Mitglieder der Initiative überleben, die nicht aufgeben, bis ein Gedenkort eingerichtet ist.