28.000 Messungen zeigen: An diese Regel hält sich fast kein Autofahrer in Hamburg
Eine Poolnudel Abstand bitte! Für Hamburgs Radfahrer ist es Alltag, von Autos so dicht überholt zu werden, dass sie dabei noch den Luftzug spüren. Um zu zeigen, wie knapp es tatsächlich ist, radeln Mitglieder des ADFC seit fast zwei Jahren mit Sensoren unter dem Sattel durch die Stadt. So wollen sie herausfinden, in welchen Straßen Radfahrer besonders bedrängt werden. Inzwischen hat die Projektgruppe über 28.000 Messungen zusammengetragen. Die Hamburger Polizei plant eine große Aktion, verzichtet allerdings weiterhin auf technische Unterstützung – warum?
Eine Poolnudel Abstand bitte! Für Hamburgs Radfahrer ist es Alltag, von Autos so dicht überholt zu werden, dass sie dabei noch den Luftzug spüren. Um zu zeigen, wie knapp es tatsächlich ist, radeln Mitglieder des ADFC seit fast zwei Jahren mit Sensoren unter dem Sattel durch die Stadt. Inzwischen hat die Projektgruppe über 28.500 Messungen zusammengetragen. Die Hamburger Polizei plant bald eine größere Aktion, verzichtet allerdings weiterhin auf technische Unterstützung – warum?
Die Ampel springt auf Grün, die junge Radfahrerin fährt los. Direkt hinter ihr machen sich gleich drei Autos bereit, sie zu überholen – kurz vor der Kurve rauschen sie noch haarscharf links an ihr vorbei. Auf der Barnerstraße in Ottensen kein seltener Anblick. Vor allem in Richtung Altonaer Bahnhof wird es für Radfahrer, die dort keine eigene Spur haben, immer wieder eng.
Hamburger ADFC radelt seit 2021 mit „Open Bike-Sensoren“
„Es fühlt sich schlimm an, auf dem Fahrrad so dicht überholt zu werden – insbesondere, wenn die Autos mit hohem Tempo unterwegs sind“, erzählt Andrea Kupke, ADFC-Mitglied und Mit-Begründerin der „Open Bike-Sensoren“-Projektgruppe, die seit November 2021 aktiv ist.

Der „Open Bike-Sensor“ wurde von der Initiative „Zweirat“ in Stuttgart entwickelt und misst per Ultraschall den Abstand zwischen Fahrrad und überholenden Autos sowie zu den parkenden Fahrzeugen auf der rechten Seite. Die Geo-Daten machen es möglich nachzuvollziehen, an welcher Stelle der Radfahrer zu dicht überholt wurde.
Autofahrer müssen beim Überholen mindestens 1,5 Meter Abstand halten
Laut Kupke ist die Projektgruppe inzwischen mit 43 solcher Sensoren im Hamburger Stadtgebiet unterwegs. Seit 2020 sind Autofahrer per Straßenverkehrsordnung dazu verpflichtet, Radfahrer in der Stadt mit mindestens anderthalb Metern Abstand zu überholen – die Länge einer Poolnudel. Außerhalb der Stadt liegt diese Mindestgrenze sogar bei zwei Metern.
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In der Praxis sieht das Ganze anders aus: „Wir haben inzwischen um die 28.500 Überholvorgänge in Hamburg gemessen“, sagt die passionierte Radlerin. „Etwa die Hälfte davon liegt unter 1,50 Metern, ein Teil sogar unter einem Meter. Da kann es wirklich gefährlich für die Radfahrer werden.“
Diese Stadtteile stechen bei den Messungen besonders negativ hervor
Besonders schlimm sei es oft auf den Straßen mit nur einer Spur pro Richtung. „Dann können die Autofahrer theoretisch nur überholen, wenn eine größere Lücke im Gegenverkehr ist. Darauf wollen die meisten aber nicht warten und zwängen sich vorbei.“ Ein Beispiel ist die Walddörfer Straße in Wandsbek, der Bezirk sei allgemein besonders stark betroffen. Das liege allerdings auch daran, dass dort schon am längsten Daten gesammelt werden.

Zu ähnlichen Ergebnissen kam übrigens der „Tagesspiegel“ in Berlin bei der Aktion „Radmesser“ im Jahr 2020: Dabei wurden 100 Berliner Fahrräder für zwei Monate mit Sensoren ausgestattet. Von insgesamt 16.700 gemessenen Überholmanövern waren 9402 Fälle unter 1,5 Metern, 3019 unter einem Meter, und 192 Autofahrer überholten sogar nur mit einem Abstand von gerade einmal 50 Zentimetern.
Kupke ist sich sicher, dass sich die meisten Autofahrer gar nicht bewusst seien, wie dicht sie die Radfahrer tatsächlich überholten. „Viele fahren direkt an der Radweg-Linie entlang und streifen mit ihrem Außenspiegel fast meinen Arm. Wenn man diejenigen dann anspricht, sind sie erstaunt, dass das nicht 1,50 Meter waren.“
So kontrolliert die Hamburger Polizei Überholvorgänge
Die Hamburger Polizei überprüft diesen Überhol-Abstand nach eigenen Angaben sowohl bei Routinekontrollen als auch bei gezielten Schwerpunkteinsätzen. Diese werden laut Sprecher Sören Zimbal hauptsächlich von den drei Fahrradstaffeln bewältigt. Die nächste Schwerpunktkontrolle sei für Ende August geplant.
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Allerdings: Die Polizeibeamten nutzen dafür nach wie vor keine technischen Geräte. Der Einsatz der „Open Bike-Sensoren“ wurde 2022 zwar geprüft, die Innenbehörde entschied sich aber dagegen. „Das Gerät kann nicht betriebsbereit erworben werden und muss durch den Anwender selbst hergestellt werden, unter anderem mit einem 3D-Drucker“, erklärt Sprecherin Katrin Brardt. Derzeit sei der Behörde kein Messsystem zur Überwachung von Überholabständen bekannt, das auch die Voraussetzungen für eine Fahrradstaffel erfülle.
Aber auch Schablonen, wie sie die Polizei in Hamm (NRW) benutzt, sind in Hamburg nicht geplant. Diese Schablonen werden bei Kontrollen auf die Fahrbahn gelegt und der entsprechende Abstand aufgesprüht. Laut der Innenbehörde hätten sich die bekannten Überwachungsmaßnahmen bewährt.
Zimbal gibt allen Autofahrern den Tipp, einmal einen Perspektivwechsel zu wagen, um mehr Bewusstsein für die 1,50 Meter zu bekommen. „Meistens hilft es, wenn man beide Seiten kennt und in diesem Fall weiß, wie unangenehm es ist, mit wenig Abstand überholt zu werden“, sagt er.