22 Jahre danach: Was hatten Hamburger Neonazis mit diesem Mord zu tun?
Vor 22 Jahren wurde er mit drei Schüssen regelrecht hingerichtet: der Bahrenfelder Gemüsehändler Süleyman Taşköprü. Nun will die Hamburger Linksfraktion dafür sorgen, dass endlich Licht ins Dunkel kommt. Sie fordert einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zum NSU-Terror in Hamburg. Der schriftliche Antrag, den die MOPO vorab ausgehändigt bekam, listet auf 20 Seiten die zahllosen Fragen auf, die im Zusammenhang mit der Tat bis heute unbeantwortet sind. Vor allem: Welche Rolle spielten Hamburger Neonazis dabei?
- Deutsch (Deutschland)
MOPO+ Abo
für 1,00 €Jetzt sichern!Die ersten 4 Wochen für nur 1 € testen!Unbeschränkter ZugangWeniger Werbung
Danach nur 7,90 € alle 4 Wochen
Wenn Sie E-Paper Kunde sind, betrifft diese Änderung Sie nicht.
Vor 22 Jahren wurde er mit drei Schüssen regelrecht hingerichtet: der Bahrenfelder Gemüsehändler Süleyman Taşköprü. Nun will die Hamburger Linksfraktion dafür sorgen, dass endlich Licht ins Dunkel kommt. Sie fordert einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zum NSU-Terror in Hamburg. Der schriftliche Antrag, den die MOPO vorab ausgehändigt bekam, listet auf 20 Seiten die zahllosen Fragen auf, die im Zusammenhang mit der Tat bis heute unbeantwortet sind. Vor allem: Welche Rolle spielten Hamburger Neonazis dabei?
Es ist der 27. Juni 2001: Süleyman Taşköprü steht hinter der Theke seines Gemüseladens in der Schützenstraße, als plötzlich seine Mörder das Feuer eröffnen. Die erste Kugel durchschlägt die linke Wange des 31-Jährigen. Als Tasköprü schon auf dem Boden liegt, schießt ihm ein zweiter Täter zweimal in den Hinterkopf.
Der Mord an Taşköprü ist der dritte einer Mordserie, die am 9. September 2000 mit dem Tod des türkischen Blumenhändlers Enver Simsek in Nürnberg begann und der bis 2006 bundesweit insgesamt neun Migranten zum Opfer fielen – acht Türken und ein Grieche. Außerdem wurde 2007 die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen.
Polizei war jahrelang überzeugt: Das Mordopfer war ein Drogendealer
Für Hamburgs Polizei ist der Fall Taşköprü alles andere als ein Ruhmesblatt. Jahrelang gingen die Ermittler von der Annahme aus, der Gemüsehändler sei in kriminelle Geschäfte verwickelt und deshalb liquidiert worden. Dass der Vater des Opfers unmittelbar nach dem Mord vor dem Laden zwei Männer gesehen hatte, die blond waren und eindeutig deutsch aussahen, das wurde von der Polizei nicht ernst genommen. Erst als sich die Thüringer Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 2011 das Leben nahmen, kam heraus, dass die Terrororganisation „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) hinter der Mordserie steckt – und die Polizei die ganze Zeit in die falsche Richtung ermittelt hatte.
Das könnte Sie vielleicht auch interessieren: „Geheimakten im Fall Taşköprü dürfen nicht geschreddert werden!“
Die Familie Taşköprü litt sehr unter den Verdächtigungen der Kripo, Süleyman habe Verbindung zur Organisierten Kriminalität gehabt. „Die Hamburger Polizei hat ,in alle Richtungen‘ ermittelt, nur nicht in Richtung rechte Szene“, sagt Aysen Taşköprü, die Schwester des Opfers. „Wir hatten jahrelang immer wieder Besuch von der Kripo und mussten Fragen über Fragen beantworten.“ Die Tasköprüs wurden verdächtigt, durchleuchtet, abgehört, oberserviert, schikaniert. All das hinterließ Wunden, die bis heute nicht verheilt sind.
Die Parlamente sämtlicher Bundesländer, in denen das NSU-Trio mordete, haben im Laufe der Jahre Untersuchungsausschüsse gebildet, um die Hintergründe der Taten aufzuklären – nur Hamburg nicht. Das will die Linksfraktion nun ändern, denn auch 22 Jahre nach dem Mord an Taşköprü gibt es immer noch mehr Fragen als Antworten.
Eine ganz zentrale Frage lautet: Wie ist das Neonazi-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe unter Hunderten türkischen Geschäftsleuten in Hamburg ausgerechnet auf Tasköprü gekommen? Der Verdacht liegt nahe, dass ortskundige Neonazis bei der Auswahl des Opfers halfen – möglicherweise auch bei der Tat selbst. Vielleicht haben die Täter vor und nach dem Mord in Hamburg übernachtet. Wo? Bei wem? Potentielle Helfer gab es zu jener Zeit jedenfalls genug: Seit den 1980er Jahren hat die Stadt eine sehr aktive rechte Szene, die überregional und international vernetzt ist.
Was die Linken ebenfalls aufgearbeitet wissen wollen, sind die Fehler der Ermittlungsbehörden. Wieso waren die Ermittler so felsenfest davon überzeugt, dass Tasköprü einen kriminellen Hintergrund gehabt hat? Waren es rassistische Denk- und Verhaltensmuster, die sie davon abhielten, die Täter im rechten Spektrum zu suchen? Die Anwältin der Familie Taşköprü, Angela Wierig, sagt: „Hätte die Familie deutsche Wurzeln gehabt, wäre anders ermittelt worden. Die Polizei habe gedacht: Ein Schmarotzer weniger, wen interessiert das?“
Interessant wäre es auch zu hören, wie die Polizei es rechtfertigt, dass die Ermittler 2008 allen Ernstes die Hilfe eines iranischen Geisterbeschwörers in Anspruch nahmen. Der hatte behauptet, er könne spirituell Kontakt zum Ermordeten aufnehmen. Der Wahrsager lieferte dann sogar die Beschreibung eines angeblichen Täters: „dunkler Teint, braune Augen, schwarze Haare“. Treffer. So etwa hatten sich die Ermittler den Mörder ja vorgestellt …
Was wusste der Hamburger Verfassungsschutz von der NSU-Mordserie?
Und auch dieser Frage soll ein Untersuchungsausschuss nachgehen: Was wusste der Hamburger Verfassungsschutz von den Taten des NSU-Trios? Wie konnte den Geheimdiensten die Mordserie entgehen – wo doch überall in rechten Parteien und Kameradschaften V-Leute und Spitzel saßen, die auf der Gehaltsliste des Verfassungsschutzes standen?
Deniz Celik von der Linksfraktion sagt, die Einsetzung eines NSU-Untersuchungsausschusses sei lange überfällig. „Es ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen von rechter Gewalt, dass Hamburg als einziges Bundesland, in dem der NSU gemordet hat, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss bis heute verweigert“, so Celik weiter. „In Hamburg hat es ein staatliches Totalversagen gegeben, nicht nur bei den Ermittlungen des Mordes an Süleyman Taşköprü, sondern ein zweites Mal durch die verweigerte Aufklärung. Wir sind es den Betroffenen rechter Gewalt und deren Angehörigen schuldig, ihre berechtigten Fragen zu beantworten und verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.“
Der Antrag der Linken auf Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses wird an diesem Mittwoch bei der Bürgerschaft eingereicht. Am 12. April wird es dazu dann eine Debatte geben. Mit Spannung wird erwartet, wie sich die Grünen bei der Abstimmung verhalten werden. Sie hatten sich in der Vergangenheit mehrfach vehement für einen Untersuchungsausschuss ausgesprochen. Mit Rücksicht auf den Koalitionspartner SPD werden sie aber voraussichtlich mit Nein stimmen.