200 Jahre: Hinter dieser Hamburger Reederei steckt eine unglaubliche Geschichte
Tausende Autos fahren täglich dran vorbei – aber nur den allerwenigsten Passanten an der Willy-Brandt-Straße wird das bronzene Tier je aufgefallen sein, das hoch oben auf dem Dach der Reederei Laeisz nahe der Trostbrücke thront. Nein, kein Adler, kein Löwe. Es ist keins dieser typischen Wappentiere. Es handelt sich um einen … Pudel. Wieso ausgerechnet ein Schoßhündchen zum Maskottchen eines der traditionsreichsten Hamburger Unternehmen wurde? Und warum es an diesem Vierbeiner liegt, dass Hamburgs berühmtestes Museumsschiff den Namen „Peking“ trägt? Das alles erfahren Sie hier.
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Tausende Autos fahren täglich dran vorbei – aber nur den allerwenigsten Passanten an der Willy-Brandt-Straße wird das bronzene Tier je aufgefallen sein, das hoch oben auf dem Dach der Reederei Laeisz nahe der Trostbrücke thront. Nein, kein Adler, kein Löwe. Es ist keins dieser typischen Wappentiere. Es handelt sich um einen … Pudel.
Wieso ausgerechnet ein Schoßhündchen zum Maskottchen eines der traditionsreichsten Hamburger Unternehmen wurde? Und warum es an diesem Vierbeiner liegt, dass Hamburgs berühmtestes Museumsschiff den Namen „Peking“ trägt? Das alles erfahren Sie hier.
Es gibt in der langen Geschichte Hamburgs eine ganze Reihe bedeutender Familien. Amsinck und Sieveking, Spalding und Godeffroy, Jenisch und Sloman – jeder in der Stadt hat diese Namen schon mal gehört. Straßen, Plätze, Häuser und Parks sind nach ihnen benannt.
Mit einem Schwaben, der in Hamburg sein Glück sucht, geht die Geschichte los
Zu diesen ehrenwerten hanseatischen Dynastien zählt auch die Familie Laeisz, und da gibt es in diesem Jahr Grund zum Feiern, denn vor genau zwei Jahrhunderten wurde die gleichnamige Reederei gegründet.
Die erstaunliche Geschichte der Familie beginnt Mitte des 18. Jahrhunderts damit, dass ein Schwabe seine Heimat verlässt, um in Hamburg sein Glück zu suchen: Johann Hartwig Laeisz (1763-1846) eröffnet einen Kolonialwarenladen, führt selbst ein unauffälliges Leben, aber unter den zehn Kindern, die er mit seiner Frau Catharina Maria Greve zeugt, gibt es zwei Söhne, die von sich reden machen.
Carl Martin Laeisz ist Künstler
Der eine ist Carl Martin Laeisz (1803-1864), ein hervorragender Maler und Zeichner. Einige Stadtansichten und Landschaftsbilder, die er geschaffen hat, befinden sich heute im Besitz des Museums für Hamburgische Geschichte.
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Der andere ist Ferdinand Laeisz (1801-1887): Auf ihn geht der große wirtschaftliche Erfolg der Familie zurück. Dabei ist es anfangs nicht abzusehen, dass er mal Reeder werden würde. Er hegt zwar als junger Mann den Wunsch, zur See zu fahren, fügt sich aber dem Willen der Eltern und wird Buchbinder. Nach seiner Lehre geht er als wandernder Geselle auf die Walz und fängt 1821 in einer Berliner Buchbinderei an, die nebenbei Seidenhüte produziert.
Ferdinand Laeisz erlernt auch dieses Handwerk und glaubt, seine Berufung gefunden zu haben: Er kehrt nach Hamburg zurück und macht sich als Hutmacher selbstständig. Am 24. März 1824, also vor 200 Jahren, gründet er die Firma F. Laeisz. Die Geschäfte laufen von Beginn an gut. Es ist die Biedermeierzeit, und zur Mode gehört es damals, stets mit Kopfbedeckung auf die Straße zu gehen. Daher ist die Nachfrage nach seinen Produkten groß.
Ob vielleicht auch die Menschen anderswo auf der Welt seine Hüte mögen? Laeisz testet es aus, schickt 1825 eine Ladung mit Zylindern, die er mit farbigem Seidentaft bespannt hat, per Schiff nach Argentinien. Die Mitglieder der High Society von Buenos Aires sind begeistert. Laeisz kann sich vor Bestellungen kaum retten, und in den darauffolgenden 20 Jahren eröffnet er in jeder größeren Stadt Lateinamerikas eine Dependance.
Dass aus dem Handwerker Laeisz ein Kaufmann und schließlich ein Reeder wird, ist dem Umstand geschuldet, dass ihm seine südamerikanischen Geschäftspartner die Gewinne nicht als Bargeld, sondern in Form von Waren auszahlen: Baumwolle, Kakao, Kaffee, Kautschuk, Tabak und vor allem Zucker schicken sie ihm zurück. Der Handel mit diesen exotischen Produkten erweist sich als so lukrativ, dass Laeisz sich bald auf den Import von Kolonialwaren konzentriert.
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1852 tritt Ferdinands Sohn Carl Heinrich Laeisz (1828-1901) in die Firma ein. Er hat in Bremen eine solide Schifffahrtslehre absolviert, ist sehr fleißig, hat viele neue Ideen und überzeugt seinen alten Herrn davon, ins Reedereigeschäft einzusteigen. Dank seiner Geschäftstüchtigkeit erlebt das Unternehmen in den 1850er Jahren einen Boom – so dass 1857 genügend Geld in der Kasse ist, um ein nagelneues Schiff in Auftrag zu geben: Carl Heinrich Laeisz tauft die Bark auf den Namen „Pudel“. Halb Hamburg schmunzelt. Alle wissen natürlich, wer damit gemeint ist: Bei „Pudel“ handelt sich um den Kosenamen von Carl Heinrich Laeisz’ Frau Sophie Christine (1831-1923). Die hat nämlich eine ausgesprochen krause Haartracht.
Wegen der Frisur von Sophie Christine: der „Pudel“ wird zum Maskottchen der Reederei
Der „Pudel“ – er wird zum Maskottchen der Reederei. Ab da erhält (fast) jedes Schiff, das F. Laeisz in Dienst stellt, einen Namen, der mit „P“ beginnt: „Pacific“, „Peru“, „Panama“, „Prinzess“, „Pommern“, „Passat“, „Padua“ und „Peking“, um nur ein paar zu nennen. Weil sie so robust, schnell und zuverlässig sind, gehen die insgesamt 83 Laeisz-Segler unter dem Sammelbegriff Flying P-Liner in die Geschichte der Seefahrt ein.
Während die meisten anderen Hamburger Reedereien Ende des 19. Jahrhunderts ganz aufs moderne Dampfschiff setzen, hält F. Laeisz am Segelschiff fest – aber nicht etwa aus Gründen der Nostalgie oder weil Carl Ferdinand Laeisz (1853-1900), Carl Heinrichs Sohn, fortschrittsfeindlich eingestellt wäre. Nein, er ist vielmehr ein kühler Rechner. Beim Abwägen aller Vor- und Nachteile kommt er zu dem Ergebnis, dass Segelschiffe beim Frachtverkehr von Massengütern viel profitabler sein können als die Dampfer jener Zeit.
Voraussetzung ist allerdings, dass sie technisch ständig weiterentwickelt werden. Laeisz lässt sich jetzt moderne, auf Geschwindigkeit getrimmte Großsegler bauen. Sie werden auch nicht mehr aus Holz gefertigt, sondern aus Eisen und später Stahl, was ihnen große Widerstandskraft verleiht. Vor allem bei den sogenannten Salpeterfahrten spielen diese Schiffe eine große Rolle.
Salpeter – das ist ein Natriumnitrat, das in der Atacamawüste im Norden Chiles abgebaut wird und zwischen 1880 und 1920 eine ähnliche große Bedeutung für die Weltwirtschaft hat wie im 20. und 21. Jahrhundert das Erdöl: Salpeter ist das „Weiße Gold“ jener Zeit: Es ist für die Herstellung von Düngemitteln genauso unerlässlich wie für die Produktion von Schießpulver.
Auf der Südamerikaroute sind Segler oft schneller
Dass Laeisz 1886 die Salpeterfahrt zum Hauptgeschäft seiner Reederei macht, „ist ein geschickter Schachzug“, schreibt der Hamburger Buchautor Matthias Gretzschel („200 Jahre F. Laeisz“), „denn auf der Südamerikaroute sind seine Segler mitunter sogar schneller, auf jeden Fall aber deutlich kostengünstiger als die konkurrierenden Dampfer“.
Die Reederei Laeisz macht mit Salpeter ein Vermögen. 30, 40 Jahre lang klingelt die Kasse. Wäre nicht der Erste Weltkrieg dazwischengekommen, hätte es so weitergehen können. Bei Kriegsausbruch werden Laeisz’ Schiffe in Chile beschlagnahmt und bei Kriegsende – so wie die gesamte deutsche Flotte – von den Briten als Reparation einkassiert.
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In dieser Situation hat Laeisz-Prokurist Paul Ganssauge eine ziemlich geniale Idee: Wenn die Reederei schon verpflichtet ist, die Flying P-Liner auf eigene Rechnung und mit eigener Mannschaft aus Chile abzuholen und nach Europa zu überführen, wieso dann leer? Wieso nicht beladen mit Salpeter?
Ganssauge gelingt es, in London eine entsprechende Genehmigung für die Firma F. Laeisz und mehrere andere deutsche Reedereien zu erwirken, so dass 1920/21 mehr als 40 deutsche Schiffe rund 155.000 Tonnen Salpeter nach Europa bringen, bevor sie in den Besitz Großbritanniens übergehen.
„Anschließend hat Laeisz zwar keine Schiffe mehr, dafür aber beachtliches Betriebskapital“, schreibt Matthias Gretzschel. Und was macht die Reederei mit diesem Geld? Sie nutzt es, um die requirierten Segler zurückzukaufen. Nach weniger als einem Jahr sind die meisten Flying P-Liner wieder in Hamburg.
Viermastbark „Padua“ ist 1926 der letzte Windjammer, den F. Laeisz in Dienst stellt
Allerdings sind die Tage der Salpeterfahrten gezählt. Inzwischen ist es der chemischen Industrie nämlich gelungen, Salpeter künstlich zu produzieren. Die synthetische Herstellung ist bald so kostengünstig, dass sich der Transport per Schiff nicht mehr lohnt. Die Viermastbark „Padua“ ist deshalb 1926 der letzte Windjammer, den Laeisz in Dienst stellt. Bereits 1923 hat das Unternehmen, das sich nun auf den Import von Bananen konzentriert, ein erstes Dampfschiff angeschafft, die „Poseidon“.
Im Zweiten Weltkrieg büßt F. Laeisz erneut einen Großteil seiner Schiffe ein. Die Firma übersteht aber auch diese dunklen Jahre – und macht das, was sie immer gemacht hat: weiter. 1947 startet sie mit den beiden Fischkuttern „Plisch“ und „Plum“ einen Neuanfang und steigt später erneut in den Bananentransport ein. Heute prägen große Autofähren, Bulker und Gastanker die Flotte. Seit dem Ausbruch des Russland-Ukraine-Krieges wird der Flüssiggas-Transport immer wichtiger.
Das Unternehmen, das sich seit 2004 im Besitz der Reederfamilie Schües befindet, arbeitet intensiv daran, den CO₂-Ausstoß der Flotte zu reduzieren. Eine neue Generation von Schiffen ist mit Dual-Fuel-Antrieben ausgestattet. Nicht mehr lange, und grüner Ammoniak und grünes Methanol, hergestellt aus regenerativ erzeugtem Wasserstoff, werden die Treibstoffe der großen Seeschiffe sein.
Es ist viel im Umbruch. Viel ändert sich. Eins aber bleibt gleich. An der Tradition, ihren Schiffen einen Namen zu geben, der mit „P“ beginnt, hält die Reederei fest: „P“ wie Pudel.
Jubiläumsausstellung im Internationalen Maritimen Museum in der HafenCity
Dem 200-jährigen Jubiläum der Reederei F. Laeisz widmet das Internationale Maritime Museum in der HafenCity eine Sonderausstellung, die bis zum 15. September zu sehen ist. „Wir sind stolz, die Geschichte einer derart traditionsreichen Hamburger Reederei zu präsentieren“, so Museumsvorstand Peter Tamm zur MOPO.
Auf Deck 2 sind in den nächsten Monaten Schätze wie die Schiffsglocke und der Kompass des Seglers „Pangani“ zu sehen, der 1913 auf der Reise von Antwerpen nach Chile gesunken ist. Präsentiert werden Modelle ganz unterschiedlicher Laeisz-Schiffe, darunter eine moderne Autofähre, ein Flüssiggastanker und sogar ein Forschungsschiff. Zudem werden bisher nicht gezeigte Hamburgensien ausgestellt.
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Ein historisch bemerkenswertes Exponat ist ein in Leder eingefasster und mit dem Hamburg-Wappen geschmückter Band zum Andenken an die Eröffnungsfeier der Laeiszhalle am 4. Juni 1908.