141 Klagen! „Prozesslawine“ bei Hamburger Shuttledienst Moia
Der Streit über die Arbeitsbedingungen bei der VW-Tochter Moia in Hamburg spitzt sich weiter zu. Nach der Zankerei über Pinkelpausen und eine Betriebsvereinbarung, die es dann doch nicht gab, kommt jetzt heraus: Der Shuttledienst beschäftigt auch immer öfter die Hamburger Arbeitsgerichte.
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Der Streit über die Arbeitsbedingungen bei der VW-Tochter Moia in Hamburg spitzt sich weiter zu. Nach der Zankerei über Pinkelpausen und eine Betriebsvereinbarung, die es dann doch nicht gab, kommt jetzt heraus: Der Shuttledienst beschäftigt auch immer öfter die Hamburger Arbeitsgerichte.
Das geht aus einer Schriftlichen Kleinen Anfrage der Hamburger Linken hervor, die der MOPO vorliegt. Seit 2019 sind die goldenen Kleinbusse von Moia im Stadtgebiet unterwegs und sammeln bis zu sechs Fahrgäste gleichzeitig auf, die ungefähr den gleichen Weg haben.
Moia: So viele Fälle landeten vor dem Arbeitsgericht
Jetzt zeigt sich: In diesen vergangenen vier Jahren gab es bereits 141 Verfahren vor Hamburger Arbeitsgerichten. In fast allen Fällen ging es entweder um ausgesprochene Kündigungen oder Zahlungsklagen. „Dies ist eine ungewöhnlich hohe Zahl“, kommentiert David Stoop, gewerkschaftspolitischer Sprecher der Hamburger Linken. Er spricht von einer „Prozesslawine“. Das Unternehmen selbst antwortete auf eine aktuelle Anfrage diesbezüglich nicht. Nach MOPO-Informationen soll ein Großteil der Klagen von der Arbeitnehmerseite eingereicht worden sein.
Moia-Fahrer berichtete der MOPO von seiner Kündigung
Erst kürzlich berichtete die MOPO über Moia-Fahrer Devran Sarikaya, der wenige Tage vor Ende der Probezeit die Kündigung erhalten hatte. Er transportierte gegen Mitternacht eine gehörlose Mutter, die ihr Kind aus dem Kindersitz heraus- und auf den Schoß genommen habe. „Da wir die Anweisung haben, nur Fahrgäste, die korrekt angeschnallt sind, zu befördern, habe ich mich bei der Zentrale gemeldet und gefragt, was ich jetzt tun soll“, so Sarikaya. Die Antwort: Er solle die Frau auffordern, das Fahrzeug zu verlassen, wenn das Kind nicht angeschnallt bleiben könne.
Die Kommunikation mit der gehörlosen Frau habe sich aber als schwierig erwiesen. Deshalb sei er vorsichtig bis ans Ziel weitergefahren. Noch in derselben Nacht wurde er von seinen Vorgesetzten dafür kritisiert. Nachdem ihm außerdem vorgeworfen wurde, unerlaubt während der Arbeitszeit angehalten zu haben, erhielt er die Kündigung. „Dabei musste ich einfach nur aufs Klo.“ Das Unternehmen bestätigte indirekt, dass der Vorfall mit der gehörlosen Frau ausschlaggebend war. Es gelte die Anschnallpflicht auch für Babys und Kinder, jede Zuwiderhandlung sei unverantwortlich, hieß es auf Nachfrage.
Immer wieder Streit um Pinkelpausen bei Moia
Auch eine andere Fahrerin hatte der MOPO berichtet, sie brauche „eine Genehmigung, um auf Toilette gehen zu dürfen“. Sie und ihre Kollegen fühlten sich „kontrolliert und fremdbestimmt“. Moia-Sprecher David Gölnitz wies das zurück. „Fahrerinnen und Fahrer können jederzeit eine Sonderpause machen.“ Jede andere Darstellung sei falsch.
Eine von Moia erwähnte Betriebsvereinbarung zu diesen Sonderpausen gibt es in Hamburg allerdings nicht. Die in Hannover geschlossene Vereinbarung wurde in der Hansestadt nie umgesetzt. Gegenüber dem „Spiegel“ räumte das Unternehmen schließlich ein, diese „unpräzise Formulierung“ sei ein „internes Missverständnis“ gewesen. Trotzdem könnten die Fahrer über ihre Pause selbstständig entscheiden. „Ja, theoretisch ist das möglich“, konterte die Fahrerin. „Aber viele sind verunsichert und trauen sich nicht, konsequent nachzufragen, wenn ihre Anfrage abgelehnt wurde oder es zu lange dauert.“
Linken-Politiker macht Hamburger Senat schwere Vorwürfe
Nach MOPO-Informationen scheint die Fluktuation in dem Unternehmen zudem recht hoch zu sein: 3000 Beschäftigte hatte Moia seit 2019, derzeit arbeiten rund 1000 dort. Um die 2000 haben also gekündigt oder ihnen wurde gekündigt. Diese konkreten Zahlen wollte Sprecher Gölnitz in der Vergangenheit nicht kommentieren. Er betonte aber, dass Moia während Corona den Service zweimal einstellen musste, weshalb es wie in anderen Branchen auch zu erhöhter Fluktuation gekommen sei, vor allem bei Mini-Jobbern.
Linken-Politiker Stoop sieht hier eher das Prinzip „Hire and Fire“, das sonst aus amerikanischen Firmen bekannt sei. „Es ist ein Skandal, dass VW solche Zustände bei seinem Tochterunternehmen in Hamburg zulässt und der rot-grüne Senat dies auch noch mit einer Sonderstellung als Modellprojekt adelt“, schimpft er.