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  • Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg
  • Foto: picture alliance/dpa

„Hat Menschenleben gekostet“: Uni-Präsident Lenzen rechnet mit der Corona-Politik ab

Uni-Präsident Dieter Lenzen ist als Mann der klaren Worte bekannt – in der Corona-Krise hat er immer wieder auch öffentlich Kritik am Pandemie-Management von Bund und Ländern geübt. In seiner aktuellen Videobotschaft an Studenten und Lehrende der Uni Hamburg setzt er allerdings noch einen drauf – und rechnet gnadenlos mit der Politik ab. Doch er nennt auch Ausnahmen.

Lenzen beginnt seine Video-Ansprache mit einer Lobeshymne auf die Wissenschaft, spricht von Gradlinigkeit. Die Forschung habe „uns innerhalb kürzester Zeit neue Hoffnung verschafft“. Dann lenkt der Uni-Präsident seinen Fokus auf das Corona-Krisenmanagement der Politik. Und plötzlich geht’s ans Eingemachte.

Uni-Präsident Lenzen geht hart mit der Politik ins Gericht

Zunächst moniert Lenzen die fehlenden Absprachen, bezieht sich dabei auch auf das Umsetzungs-Chaos der Ministerpräsidenten bei den Corona-Maßnahmen. „Es wäre besonders hilfreich gewesen, wenn die Politik nicht mit tausenden, interessengeladenen Stimmen unterwegs gewesen wäre“, stichelt der Wissenschaftler. Stattdessen hätten sich die Verantwortlichen mit Blick auf die Maßnahmen besser abstimmen müssen. 

Lenzen weiter: „Dass dieses nicht so war und noch immer nicht so ist, hat Menschenleben gekostet. Daran lässt sich nichts deuteln und nichts entschuldigen.“

Lenzen fordert neue Rolle für die Wissenschaft

Und Lenzen fordert Konsequenzen: Wissenschaft müsse in der Gesellschaft eine neue Rolle beanspruchen. Sie könne nicht mehr allein „Wissens- und Erkenntnislieferant“ sein. Vielmehr müsse sie dort, wo es nötig sei, in Zukunft „selbst gestaltend“ eingreifen. Politische Neutralität der Wissenschaft? Sei sowieso schon immer „Fiktion“ gewesen.

Und Lenzen betont: „Ohne überheblich wirken zu wollen: Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wissen eben vieles besser als Politiker und Politikerinnen und haben oftmals aufgrund ihrer Erfahrung vielfältigere Lösungswege parat.“ 

Kritik bleibt bei den Konsequenzen vage

Eine Konkretisierung seiner Vorwürfe bleibt Lenzen den Empfängern seiner Videobotschaft schuldig. Welche Maßnahmen hätten wo früher kommen müssen? Wo genau hakte es aus seiner Sicht bei der Abstimmung? Auf MOPO-Nachfrage heißt es, dass es insbesondere bei der Abstimmung zwischen Bund und Ländern und den Ländern untereinander Probleme gegeben habe, Lenzen kritisiere aber auch „die Eigenmächtigkeiten auf regionaler Ebene“. Am Ende würden sich dadurch viele Bürger „angesichts gefühlter Willkür“ verweigern. 

Der Uni-Präsident ermuntert Wissenschaftler zu mehr Einmischung in politische Prozesse: „Wir können es nicht länger, und davon bin ich zutiefst überzeugt, Politikerinnen und Politikern überlassen, zu entscheiden, welcher Expertise sie sich bedienen, weil sie gerade in ihr Programm passen mag oder am ehesten geeignet scheint, den Machterhalt zu sichern“, sagt Lenzen.

Ein Politiker bekommt am Ende doch noch Lob

Auch hier bleibt der Uni-Präsident in seiner Video-Botschaft vage, was die konkrete Umsetzung dieser Forderung angeht. Auf MOPO-Nachfrage lässt er mitteilen: „Mindestens muss Politik substantiell begründen, warum sie bestimmten Expertisen folgt und anderen nicht.“ Was für Wissenschaft gelte, gelte auch für Politik: Rechenschafts- und Begründungspflicht. 

Darüber hinaus fordert Lenzen von Politikern „mehr Kenntnisreichtum“. „Wie liest man Statistiken, welche Äußerungen sind Meinungen, welche empirisch gesättigt? (…) Welchem Menschenbild folgt welcher ethische Rat?“

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Da man nicht all das von Politikern erwarten könne, gehörten demokratisch legitimierte Experten in Entscheidungsgremien. 

Immerhin ein Politiker darf sich am Ende dann aber doch noch über lobende Worte aus der Uni-Chefetage freuen: Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). Der nämlich verbinde „wissenschaftliche Expertise mit politischer Weitsicht“. 

Dies Kombi („bei ihm sogar in einer Person“) sei künftig notwendig, „wenn wir nicht hinnehmen wollen, dass bei der nächsten wie auch immer gearteten Krise Hunderttausende, wenn nicht Millionen ihr Leben verlieren“. Auf MOPO-Nachfrage werden außerdem SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lobend hervorgehoben. Von einem „wissenschaftliche Machtanspruch“ will Lenzen nichts wissen. Es gehe vielmehr um „Verantwortungswahrnehmung“. 

In der Wissenschaftsbehörde verursacht Kritik Irritationen

In der Wissenschaftsbehörde will man die Abrechnung des Uni-Präsidenten nicht kommentieren. Aus Behördenkreisen ist jedoch zu vernehmen, dass man durchaus irritiert sei über die Ansprache. 

Zuletzt hatte Dieter Lenzen in der Corona-Krise Aufsehen erregt, nachdem seine Hochschule eine umstrittene Studie zur Herkunft des Virus veröffentlicht hatte. Darin war der Physiker und Nanowissenschaftler Roland Wiesendanger zu dem Ergebnis gekommen, dass nach seinen Recherchen wahrscheinlich ein Laborunfall in Wuhan die Pandemie entfacht habe.

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Eine Recherche, die in der Wissenschaftswelt regelrecht zerrissen wurde. Und Dieter Lenzen? Äußerte sich tagelang gar nicht, bis er sich am Ende halbherzig für die Aufregung entschuldigte. In Fegebanks Behörde auch damals: große Verwunderung.

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