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  • Foto: Rothenfluh

„Babykaust“: Hamburger Protest gegen Holocaust-Vergleiche eines Abtreibungsgegners

Er zeigt reihenweise Ärztinnen und Ärzte an, die über Schwangerschaftsabbrüche informieren – am Freitag ist er nun selbst der Angeklagte: Klaus Günter Annen, der wohl radikalste Abtreibungsgegner Deutschlands, muss sich vor dem Hamburger Landgericht verantworten. Der Vorwurf: Er vergleicht Abtreibungen mit den Nazi-Verbrechen des Holocaust.

Die Klägerin ist die Gießener Ärztin Kristina Hänel. Sie nimmt Abtreibungen vor und informiert darüber auf ihrer Webseite – und wurde von Annen 2017 deswegen angezeigt und außerdem online mit NS-Vergleichen angeprangert.

„Klaus Günter Annen stellt mich und andere Ärztinnen und Ärzte auf eine Stufe mit den Verbrechern des Nationalsozialismus, die in den Konzentrationslagern Menschen unter schrecklichsten Bedingungen gequält und getötet haben“, schreibt Hänel in einer Pressemitteilung zum Prozess. „Mit seinen Holocaustvergleichen diffamiert Herr Annen nicht nur uns Ärztinnen und Ärzte, sondern auch jede ungewollt Schwangere. Sie bekommt vermittelt, dass das, was sie tut, schlimmer sei als die Verbrechen der Nazis.“

Paragraph 219a stammt ursprünglich aus NS-Zeit

Juristischer Hintergrund von Annens Anzeigen gegen Hänel und viele weitere Ärztinnen und Ärzte ist der Strafgesetz-Paragraph 219a – ironischerweise selbst ein Überbleibsel aus der Nazi-Zeit. Er verbietet es, über Schwangerschaftsabbrüche genauer zu informieren – zumindest, wenn derjenige damit Geld verdienen kann.

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Das heißt: Ärzte dürfen (nach einer Änderung im Jahr 2019) zum Beispiel auf ihrer Praxis-Webseite angeben, dass sie Abtreibungen vornehmen, aber keine Details dazu liefern. Im Gegensatz etwa zu einer Kommune wie der Stadt Hamburg, die auf hamburg.de ein Verzeichnis aller betreffenden Mediziner und weiterführende Informationen bereithält.

Klaus Annen prangert Abtreibungs-Ärzte online an

Auch ein Privatmann wie der ehemalige Industriekaufmann Annen aus dem baden-württembergischen Weinheim darf die Adressen von Abtreibungsärzten bereitstellen. Und tut das in Form eines Online-Prangers auf seinen Webseiten Abtreiber.com und Babykaust.de, die er mit Bildern toter Föten anreichert.

Gegen den Paragraphen 219a: Plakatmotiv des Hamburger Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung.

Gegen den Paragraphen 219a: Plakatmotiv des Hamburger Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung.

Foto:

Rothenfluh

Und mit abstoßenden Sätzen wie diesen: „Der Holocaust der Nazis ist der Inbegriff des Grauens im Dritten Reich. Gibt es eine Steigerungsform der grausamen Verbrechen?“, fragt er rhetorisch auf Babykaust.de, um seine Antwort gleich nachzureichen. „Ja, es gibt sie! Abtreibung ist MORD, es gibt dafür kein anderes Wort!“

Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen zieht Holocaust-Vergleiche

Zu diesen Verharmlosungen des NS-Massenmordes montiert Annen ein Bild des KZ Auschwitz neben das Foto einer Frau auf einem OP-Tisch mit den Bildunterschriften: „Damals KZ`s, heute OP`s.“

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„Ausgerechnet diese Website wird daher – aufgrund des Informationsverbots nach § 219a StGB – von vielen Frauen benutzt, um an Adressen für einen Abbruch heranzukommen“, schreibt Hänel. „Gleichzeitig werden sie aufgrund der Aufmachung der Website mittels Bildern und Statements mit der Unterstellung konfrontiert, dass Abtreibung schlimmer als der Holocaust sei.“

Informationen über Abtreibungen: Ärztin Hänel zieht vors Verfassungsgericht

Damit sich Frauen neutral und kompetent informieren können, zieht Hänel vors Bundesverfassungsgericht. Auf die Anzeige eines weiteren fanatisierten Abtreibungsgegners hin hatte das Amtsgericht Gießen sie nämlich zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt, wogegen die Ärztin mehrfach Berufung eingelegt hat.

Sie hofft, dass bald letztinstanzlich festgestellt wird, dass der Paragraph nicht verfassungsgemäß ist. Das hatte die Richterin im bislang letzten Berufungsverfahren vor dem Landgericht Gießen ebenfalls angezweifelt. Sie sah sich aber aufgrund der geltenden Gesetzeslage außer Stande, anders zu entscheiden.

Hamburger Aktivistin zum Paragraph 219a: „Politik unfähig, Lösung zu finden“

„Die Politik hat sich bislang als unfähig erwiesen, eine Lösung zu finden“, sagt die Hamburger Aktivistin Kersten Artus, Vorsitzende von Pro Familia Hamburg und Vorständin der Initiative Pro Choice Deutschland. „Die damalige Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles hatte 2017 den Gesetzesentwurf der SPD zur Abschaffung von 219a zurückgeholt, bevor es erneut zu einer Wiederauflage der Großen Koalition kam. Dabei verstößt der Paragraph gegen die Berufsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten und schränkt Frauen in ihrer Selbstbestimmung ein.“

Artus hat für Freitag, 9.30 Uhr, eine Kundgebung vor dem Gericht angekündigt. Neben ihr und Hänel wird dort auch Susanne Kondoch-Klockow, Vorständin des Ausschwitz-Komitees, sprechen. Annen selbst wird jedoch nicht anwesend sein – er hat Bedenken wegen der Corona-Pandemie.

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