Göring-Villa auf Sylt

Rund 15 Millionen dürfte das Idyll an der Nordsee kosten – erbauen ließ es Obernazi Göring. Foto: Sotheby\'s

Dieser Ort würde mich an ein unheimliches Fratzenlächeln erinnern

Die Fotos im Katalog des Immobilienmaklers „Sotheby’s“ zeigen ein Haus unter Reet, direkt an der Dünenkante. Unverbaubarer kann ein Blick auf die Nordsee nicht sein. Die Auffahrt ist mit feinem Kies bedeckt, auf dem ein Porsche parkt.

„Ein einzigartiges Juwel“, flötet der Text im Werbeprospekt. Etwas mehr als 200 Meter Wohnfläche im Quadrat, drei Schlafzimmer, drei Bäder auf 7755 Quadratmetern Sylt. Macht einen Kaufpreis jenseits der 15 Millionen Euro, vermutlich, man erfährt ihn nur auf Anfrage. Was andeutet, dass man sich das Anwesen nicht leisten kann, wenn man sich nach einem solchen Detail erkundigen muss.

Der Erbauer nannte das Anwesen „Min Lütten“, plattdeutsch für „meine Kleine“.

Firma Birkenstock kaufte Göring-Haus auf Sylt

Die ganze Sache hat einen lütten Haken: Dieser Erbauer ist Hermann Göring, Hitlers Stellvertreter, Chef der Luftwaffe, drogensüchtiger Protzer und in den Nürnberger Prozessen verurteilter Kriegsverbrecher, der sich dem „Tod durch den Strang“ mit einer Zyankali-Kapsel entzog.

Göring reiste gerne und häufig nach Sylt, wo er im Hotel „Kronprinzen“ in Wenningstedt eincheckte. Seine Frau Emmy, eine Schauspielerin, beauftragte Mitte der 1930er Jahre den Münchner Architekten Otto Heilmann mit dem Bau eines Hauses ganz in der Nähe.

Nach Kriegsende kaufte die Familie Birkenstock – die mit den Sandalen – das Haus für 60.000 D-Mark. 2019 verkaufte sie es für 12 Millionen Euro. Die neuen Besitzer bauten eine Wärmepumpe ein, ließen das Haus teilunterkellern, den Kamin restaurieren und bieten es nun an.

Würde man in ein Haus mit einer solchen Geschichte einziehen wollen? Für manche ist es ein Haufen Steine unter Reet oder ein lohnenswertes Investment auf einer Insel, die schon lange ein Spielplatz für Investoren ist. Für mich käme es nicht infrage. Ich könnte mich nicht wohlfühlen an einem Ort, der mich an das unheimliche Fratzenlächeln von Göring erinnert. „Min Lütten“? Am Mors.


Stefan Kruecken hfr
Stefan Krücken

Der Autor: Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie „Max“, „Stern“ und „GQ“ von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Das muss das Boot abkönnen“ gibt es im MOPO-Shop unter mopo.de/shop. Weitere Bücher gibt es im Ankerherz-Shop – zum Beispiel „Das kleine Buch vom Meer – Helden“ oder „Mayday – Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze“.

Alle aktuellen Folgen dieser Kolumne finden Sie hier.


Ich frage mich, warum die Insel Sylt das Haus nicht kaufte, als es noch nicht so viele Millionen kostete, um es abreißen zu lassen. Wenn man weiß, dass der SS-General Heinz Reinefarth, der den Aufstand im Warschauer Ghetto brutal niederschlagen ließ, sieben Jahre nach Kriegsende zum Bürgermeister von Westerland gewählt wurde, ist der Gedanke wohl naiv.

Die „Kampfgruppe Reinefarth“ ermordete Zehntausende Männer, Frauen, Kinder, Alte, Kranke; in einem Telefonat mit dem Oberkommando beschwerte sich Reinefarth, dass er zu „wenig Munition“ habe, um alle Gefangenen erschießen zu können.

Das könnte Sie auch interessieren: Kapitän Donald Trump? Dann doch lieber Florian Silbereisen

Erst 1963 wurde er nach Recherchen des bekannten Historikers Hanns von Krannhals abgewählt. Ermittlungsverfahren liefen erstaunlicherweise ins Leere. Der „Henker von Warschau“ musste sich für seine Verbrechen nie vor einem Gericht verantworten.

Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp
test