Schiffsbug vor Wohnhaus

Das war knapp: Bei Trondheim hätte dieser Frachter fast ein Haus gerammt. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jan Langhaug

Seeleute und das Problem mit drei „Ü“

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Der Frachter verfehlt das Haus um knapp fünf Meter, und zur Geschichte, die um die Welt geht, gehört der feste Schlaf des Bewohners. Er wird angeblich nicht vom Schiff in seinem Garten, sondern vom Nachbarn geweckt. Was in einem Fjord nahe der norwegischen Hafenstadt Trondheim geschieht, ist nicht nur kurios, sondern vor allem lebensgefährlich.

Beim Einschlag des Bugs ins Haus wäre der Mann in seinem Bett gestorben. Dass eine Umweltkatastrophe ausblieb? Zufall. Der verantwortliche Offizier auf der Brücke, so melden die Ermittler in einem ersten Bericht, schlief fest, als die „NCL Salten“ mit hohem Tempo auf die Küste knallte.


Stefan Kruecken hfr
Stefan Krücken

Der Autor: Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie „Max“, „Stern“ und „GQ“ von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Das muss das Boot abkönnen“ gibt es im MOPO-Shop unter mopo.de/shop. Weitere Bücher gibt es im Ankerherz-Shop – zum Beispiel „Das kleine Buch vom Meer – Helden“ oder „Mayday – Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze“.

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Wenige Wochen ist es her, dass vor der Ostküste Englands der Frachter „Solong“ einen Öltanker mit voller Fahrt rammte. Ein Seemann starb; dass eine Ölpest nach der gewaltigen Explosion ausblieb, grenzt an ein Wunder. Im Zwischenbericht schreibt die Behörde für Schiffsunfalluntersuchungen (MAIB), dass der Kapitän stundenlang alleine auf der Brücke war, während der Frachter durch den Nebel lief.

Sind die Unfälle Folgen eines Fehlers im System?

Nun sind die Berichte vorläufig, und ich mag Spekulationen nicht. Doch in den vergangenen Jahren gab es in der Nordsee und Ostsee ähnliche Vorfälle: nur ein Offizier auf der Brücke. Müde oder abgelenkte Seeleute. Sind das Folgen eines Fehlers im System?

Gewerkschaften wie die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) oder Verdi weisen schon lange auf katastrophale Arbeitsbedingungen von Seeleuten hin und fordern schärfere Kontrollen durch Behörden. Als ihre Inspektoren vor Kurzem auf fast 50 Schiffe in acht Häfen der Nord- und Ostsee gingen – darunter Hamburg, Bremerhaven und Rostock – war das Ergebnis der Befragungen alarmierend.

Zahlreiche Seeleute gaben an, Ruhezeiten manipuliert zu haben, damit die internationalen Vorschriften eingehalten wurden. Also, auf dem Papier. Besonders dramatische Verstöße entdeckten sie auf einem Schiff unter der Flagge von Antigua und Barbuda im Hamburger Hafen: Die Crew arbeitete bis zu 397 Stunden im Monat. Fast doppelt so viel wie an Land erlaubt.

Seeleute arbeiten hart – und lange

Dies deckt sich mit einer neuen Studie der World Maritime University (WMU) zu Arbeitszeiten von Seeleuten. Nur 3,3 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeiten entsprechen den weltweit üblichen 43 Stunden; mehr als 64 Prozent der Seeleute manipulierten ihre Arbeitszeitaufzeichnungen.

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Der Grund ist einfach. Auf vielen Schiffen ist schlicht zu wenig Crew an Bord. Die Reedereien planen mit Mindestbesatzungen, in die kein Personal für Schichtwechsel eingeplant ist. In der Folge droht den Seeleuten das dreifache „Ü“: Sie sind überarbeitet, übermüdet und überfordert. Was nicht nur auf Kosten ihrer Gesundheit geht. Wer auf Wache einschläft, riskiert das Schiff und das Leben aller an Bord.

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