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Im Norden der Faröer, auch Schafinseln genannt, krachen die Wellen mit Getöse auf den Strand.
  • Im Norden der Faröer, auch Schafinseln genannt, krachen die Wellen mit Getöse auf die felsige Küste.
  • Foto: Stefan Kruecken

Sturm und Monsterwellen: Wenn aus ruhiger See ein Inferno wird

Als ich vor 250 Wochen die erste MOPO-Kolumne übers Meer schrieb, war Angela Merkel Bundeskanzlerin, eine Pandemie existierte nur in Geschichtsbüchern oder Hollywoodfilmen und der Abstieg des HSV aus der Bundesliga galt als eine vorübergehende Verirrung. Es war eine andere Welt.

Die erste Geschichte schrieb ich auf der Nordsee, an Bord der Fähre nach Helgoland. Folge 100 entstand ebenfalls auf dem Weg von Cuxhaven auf einen damals einsamen roten Felsen. Es war mitten in der Corona-Zeit, als ich trotz der Quarantäne mit einer Sondergenehmigung anreisen durfte.

Auch die heutige Jubiläumsgeschichte kommt direkt von See. Diesmal von einem Schiff im Nordatlantik. Eben hat die Fähre „Norröna“ den Leuchtturm Sumburgh Head im Seedunst über Shetland passiert. Wir sind auf der Rückfahrt einer Reise, die wir „Land of Maybe“-Tour genannt haben, ein Abenteuer ins „Land des Vielleichts“. Weil das Wetter auf den Färöern so extrem ist, so stürmisch oder neblig, dass „kanska“ – vielleicht – eines der meistverwendeten Wörter ist.

Ankerherz – Geschichten vom Meer in der MOPO

Ganz im Norden der Schafinseln, in einem Dorf namens Gjógv, das über eine schmale Passstraße zu erreichen ist, sah ich gestern noch den Wellen zu, die mit Getöse auf den Strand krachten. Kleine Häuser stehen wie geduckt zwischen Bergen und Klippen, die als graue, gewaltige Mauern in den Himmel ragen. In den Gassen liegen Boote. Gjógv ist ein bezaubernder, aber auch ein verstörender Ort, denn man fragt sich, was Menschen antreibt, in einer solch feindlichen Umgebung zu siedeln. Und wie sie dies ohne die Annehmlichkeiten der Moderne überhaupt aushalten konnten. Bei Sturm und Schneefall ist das Dorf abgeschnitten von der Welt. Und es stürmt und schneit häufig im Norden der Färöer.

Ann, unser Guide, erzählte, wie Fischer in früheren Zeiten hinausfuhren, um das Überleben ihrer Familien zu sichern. Sie wussten nie, was sie draußen erwartete. Aus ruhiger See kann, wenn das Wetter umschlägt, innerhalb weniger Stunden ein Inferno werden, mit Wellen, viel größer als die Häuser in der Hauptstadt Tórshavn.

Nordatlantik: Wellen, größer als die Häuser von Tórshavn

So war es auch auf unserer Reise. Innerhalb weniger Stunden zog ein Sturm über die Inseln und verschwand, so schnell, wie er gekommen war. Die Farben der Wetter-App sprangen von „Grün“ auf die höchste Warnstufe „Violett“ und wieder zurück, in einem Tempo, das ich noch nie gesehen hatte. In jedem Dorf auf den Färöern erinnert ein Mahnmal an jene, die es nicht zurück an Land schafften. Jedes Jahr am 1. November, dem „Minningardagur teirra sjólátnu“, gedenkt man der Männer, die auf See blieben.

Viele von uns haben heute das Privileg, am Meer Urlaub zu machen. Der Strand ist ein Ort der Erholung, an dem der Blick weit ist und der Wind Sorgen vertreibt. Auf einer Seereise funktioniert das besonders gut. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum Kreuzfahrten trotz kritischer Klimabilanzen so beliebt sind wie nie zuvor. Wir sind auf einer Fähre unterwegs, die Menschen nach festem Fahrplan verbindet und Handel möglich macht. Mit jeder Seemeile in Richtung des Endhafens kommen auch manche Probleme wieder näher.

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In meiner Kolumne schreibe ich über Menschen, für die das Meer auch heute kein Ort entspannter Cappuccino-Situationen ist. Manchmal geht es in den Storys um die romantischen Aspekte, um Galionsfiguren, Geisterschiffe, Leuchttürme und Gestalten wie Kapitän Haddock. Ich berichte aber gerne über jene, für die das Meer vor allem Arbeit bedeutet. Lotsen, Seenotretter oder auch unsere Marinesoldaten, die derzeit auf einer gefährlichen Mission zur Sicherung internationaler Frachter vor Huthi-Terroristen unterwegs sind.

Vor einigen Tagen sprach ich mit Dirk Obermann, er ist Seemannsdiakon, der die Missionen in Bremerhaven und im englischen Tilbury leitete und heute die „Psychosoziale Notfallversorgung“ von Hamburg aus koordiniert. Viele Seeleute leiden unter enormem Stress. Nicht nur die Einsamkeit und lange Trennung von ihren Familien macht ihnen zu schaffen, oder Sorgen vor Stürmen und Unfällen.

Geflüchtete in Seenot – eine Konstante in 250 Folgen Ankerherz

Im Roten Meer drohen Angriffe mit Raketen. Vor den Küsten Afrikas häufen sich wieder Überfälle von Piraten. Im Mittelmeer mussten manche hilflos zusehen, wie Geflüchtete ertranken, weil auf großen Schiffen die Mittel fehlen, im Notfall zu helfen. Auch dies ist eine Konstante in 250 Wochen MOPO-Geschichten vom Meer – die teils verzweifelte Lage der Menschen, die 90 Prozent der Waren unseres Alltags bringen. Sie verschlechtert sich immer mehr.

Viele Themen, die auf See spielen, betreffen unser Leben unmittelbar: Globalisierung, Klimakrise, Migration. Dennoch wissen die meisten wenig darüber, ein Phänomen, das sich „Sea Blindness“ nennt. Wir sind blind für die Belange der See, obwohl sie wichtig sind.

Es gibt also noch viel zu erzählen. Ich danke allen MOPO-Lesern für die Aufmerksamkeit.

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