Der traurige Fischer von Favignana
Das mobile Internet ist draußen auf See vor der Westküste Siziliens schneller als fast überall bei uns in Norddeutschland. So erreichte mich die Nachricht auf der Fähre, die von Trapani aus Richtung Insel tuckerte.
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Das mobile Internet ist draußen auf See vor der Westküste Siziliens schneller als fast überall bei uns in Norddeutschland. So erreichte mich die Nachricht auf der Fähre, die von Trapani aus Richtung Insel tuckerte.
Wovor ich vergangene Woche in meiner MOPO-Kolumne warnte, wird vermutlich nicht eintreten. Die Proteste der Fischer und die Solidarisierung der Politik gegen das generelle Verbot von Grundschleppnetzen haben Wirkung gezeigt. Anders ist kaum zu erklären, wie schnell die EU-Kommission zurückruderte: Weder sei ein generelles Verbot geplant, noch sei ein Gesetz in Vorbereitung – die Entscheidung liege bei den Ländern selbst, heißt es nun. Welche Erleichterung für Krabbenfischer und Küstenorte von Neuharlingersiel bis Büsum! Die Kutter bleiben.
Ich freute mich noch darüber, als die Fähre im kleinen Hafen von Favignana festmachte. Bunte Boote in türkisfarbenem Meer. Netze, die zum Trocknen auf der Pier lagen. Alte Männer, die ausdauernd über den Fang der letzten Nacht und die Fußballergebnisse palaverten, so virtuos, wie das nur alte sizilianische Männer können.
Thunfischjagd ernährte einst Generationen auf der Insel
Aber auch das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, wenn man hinter die Fassaden der Postkarte schaut. Einst war Favignana wichtigster Ort von „La Mattanza“, der Thunfischjagd, eine der ältesten Traditionen der Ägadischen Inseln. Jahrhundertelang trieben die Fischer die großen Thunfische durch ein kompliziertes System in die „camera della morte“, die Todeskammer. Dort schlugen sie die bis zu 300 Kilo schweren Tiere mit riesigen Haken und zogen sie an Bord.
Der Autor: Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie „Max“, „Stern“ und „GQ“ von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Das muss das Boot abkönnen“ gibt es im MOPO-Shop unter mopo.de/shop. Weitere Bücher gibt es im Ankerherz-Shop – zum Beispiel „Das kleine Buch vom Meer – Helden“ oder „Mayday – Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze“.
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Ein blutiges Spektakel, das im Zeitgeist bigotter Dauerempörung nicht mehr vermittelbar ist. Doch „La Mattanza“ war nachhaltig. Sie ernährte Generation um Generation, mehr als 900 Jahre lang. Bis in die 1960er Jahre, als Fabrikschiffe mit Treib- und Steilnetzen nicht nur den Thunfisch, sondern alles wegfischten, was im Mittelmeer schwamm. Die Gier tötete das Leben im Meer – und es gab damals keine EU-Kommission, die diese Rücksichtslosigkeit stoppte.
Die Fabriken stehen still– Favignana verliert die Arbeitsplätze
Der Thunfisch kommt nicht mehr nach Favignana. Und die Fabrik, in der man einst den Fisch in Dosen verpackte und die den Menschen auf der Insel Arbeit gab, liegt seit vielen Jahren still.
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Am Hafenbecken steht Salvatore, Mitte 70, ein Fischer mit buschigem weißem Schnurrbart und Augen, die das Meer in vielen Jahrzehnten tief verblaute. Seit seinem achten Lebensjahr fährt er zur See, erzählt er. Vor ihm der Fang der vergangenen Nacht: ein kleiner Haufen Sardinen. Davon wird er kaum den Sprit für sein Boot bezahlen können.