Das Wunder der kickenden Seeleute
Um zu verstehen, was dem Grimsby Town Football Club gelungen ist, reicht der Begriff „Märchen“ kaum aus. Es braucht Fakten, also: Seit 1871 wird der F.A. Cup ausgespielt, ältester Pokalwettbewerb der Welt. Noch nie in der langen Geschichte ist es einem Verein gelungen, fünfmal in Folge eine Mannschaft aus einer höheren Liga zu besiegen. Der Grimsby Town FC, aktuell im Abstiegskampf in der vierten Liga, hat dies geschafft. Auswärts, bei einem Erstligisten. So weit die Zahlen.
Um zu verstehen, was dem Grimsby Town Football Club gelungen ist, reicht der Begriff „Märchen“ kaum aus. Es braucht Fakten, also: Seit 1871 wird der F.A. Cup ausgespielt, ältester Pokalwettbewerb der Welt. Noch nie in der langen Geschichte ist es einem Verein gelungen, fünfmal in Folge eine Mannschaft aus einer höheren Liga zu besiegen. Der Grimsby Town FC, aktuell im Abstiegskampf in der vierten Liga, hat dies geschafft. Auswärts, bei einem Erstligisten. So weit die Zahlen.
Was es emotional meint für eine arme Stadt am Meer, das steht in keiner Statistik. „Es bedeutet alles für uns. Einfach: alles“, sagt mir Luke Green, ein junger Reporter des „Grimsby Telegraph“. Grimsby, Lincolnshire, 86.000 Einwohner an der Ostküste Englands: Früher war die Stadt berühmt für die Fischerei. Heute ist sie bekannt für die hohe Arbeitslosenquote. Wenn Channel 4 eine Dokumentation über urbanen Verfall dreht oder der Komiker Sacha Baron Cohen („Borat“) das Klischee eines dummen Fußball-Hooligans sucht, dann schauen sie nach Grimsby.
Sonst sieht kaum jemand hin. „Wir sind eine vergessene Stadt“, sagt Green, der in Grimsby aufwuchs.
„Harry the Haddock“–Fans brachten aufblasbaren Fisch mit ins Stadion
Bis letzte Woche jedenfalls. „Mariners“ nennt sich der Verein, „Seeleute“. Im Logo des Vereins sind ein Kutter und drei Fische zu sehen, und das Stadion Blundell Park, eines der ältesten im Land, steht direkt am Nordseestrand. Zu Auswärtsspielen nehmen die Fans aufblasbare Fische mit, „Harry the Haddock“ genannt. Ein Redakteur der lokalen Zeitung kam einst auf die Idee, als Reaktion auf die aufblasbaren Bananen von Manchester City. Beim letzten Pokalspiel wollte der Erstligist Southampton den Fans verbieten, „Harry the Haddock“ mitzubringen, doch niemand scherte sich darum. Auf den Fotos der feiernden Menge sieht man eine Menge Kabeljau. Mehr als 4000 Menschen aus Grimsby begleiteten ihr Team. Knapp 7000 passen ins eigene Stadion.

Der Autor: Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie „Max“, „Stern“ und „GQ“ von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Das muss das Boot abkönnen“ gibt es im MOPO-Shop unter mopo.de/shop. Weitere Bücher gibt es im Ankerherz-Shop – zum Beispiel „Das kleine Buch vom Meer – Helden“ oder „Mayday – Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze“.
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Momentan ist die Lage in der armen Stadt am Meer noch schwieriger als sonst, die Folgen von Corona, Russlands Überfall und Brexit. Hohe Inflation und Lebenshaltungskosten setzten den Menschen in Grimsby zu. Nun geben die „Mariner“ der Stadt ihren Stolz zurück, was am Ende des Monats zwar nicht die Miete bezahlt, aber immerhin die Stimmung hebt. „Fußball trägt uns“, sagt mir Lee, der junge Reporter.
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Vielleicht geht das Märchen noch ein wenig weiter? Das Viertelfinale ist bereits ausgelost. Grimsby Town FC muss auswärts auflaufen, wieder bei einem Erstligisten. Brighton hat eine Möwe im Logo. Wenn das kein Omen ist.