49 blinde Passagiere an Bord: Nervenkrimi auf hoher See
Blinde Passagiere gehörten früher zur Seefahrt wie der Rum und die Lieder und die Spelunken im Hafen. „Stowaways“, wie sie im Englischen viel schöner heißen, schlichen sich auf Schiffe, um ihrem alten Leben zu entkommen. Herman Melville, der Schriftsteller („Moby Dick“), war so ein Vagabund der Meere.
Heute haben Energy-Drinks den Rum ersetzt, schlecht bezahlte Industriearbeiter singen keine Lieder und in den ehemaligen Spelunken braten irgendwelche Fernseh-Köche irgendwelche Steaks. Dafür sind die Häfen weit draußen vor den Städten Containerterminals und Hochsicherheitszonen, umwickelt mit NATO-Draht und überwacht von Kameras. Wo dies noch nicht der Fall ist, passen Wachen auf, dass sich niemand an Bord schleichen kann.

Die WochenMOPO – ab Freitag neu und überall, wo es Zeitungen gibt!
Diese Woche u.a. mit diesen Themen:
– Mieten-Irrsinn: 1400 Euro für 18 Quadratmeter
– Aus Rache geoutet: Ein bisexueller Pastor erzählt
– Urlaub im Bezirk Mitte: Fünfter Teil unserer Ferien-Serie
– Wilhelmsburg: Ein Projekt hilft älteren Menschen, Jobs zu finden
– Große Rätselbeilage: Knobelspaß für jeden Tag
– 20 Seiten Sport: St. Paulis Transfer-Endspurt: Welche Baustellen noch offen sind
– 20 Seiten Plan7: Neues Burlesque-Festival in Hamburg
Umso erstaunlicher ist diese Geschichte, die in den Docks von Dakar beginnt. Ein kleines Arbeitsboot legt Richtung Europa ab und ist mehrere Stunden auf See, als die Besatzung 49 blinde Passagiere an Bord entdeckt. Kein Tippfehler: 49! Der Kapitän ändert sofort den Kurs und ruft Arrecife auf Lanzarote als nächstgelegenen Nothafen.
49 blinde Passagiere sind eine Gefahr für jedes Schiff
49 blinde Passagiere sind eine Gefahr für jedes Schiff – und dieses ist nur 35 Meter lang, mit vielleicht acht Mann Besatzung. Ich mag mir nicht vorstellen, wie sich der Kapitän fühlt – zumal er sich fragen muss, wie so viele Menschen unbeobachtet auf sein Schiff schleichen konnten.

Der Autor: Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie „Max“, „Stern“ und „GQ“ von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Das muss das Boot abkönnen“ gibt es im MOPO-Shop unter mopo.de/shop. Weitere Bücher gibt es im Ankerherz-Shop – zum Beispiel „Das kleine Buch vom Meer – Helden“ oder „Mayday – Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze“.
Alle aktuellen Folgen dieser Kolumne finden Sie hier.
Doch die Behörden der Kanaren sagen: No! Erst wenn die Reederei eine Sicherheitsleistung in einer Höhe von einer Million Euro hinterlege und der Eigner die Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Rücktransport in den Senegal übernimmt, darf das Schiff anlegen. So sieht es die spanische Rechtsprechung vor.
Jeder weiß, dass die Lage schnell eskalieren kann
Eine siebenstellige Stumme mag die Reederei aber nicht hinterlegen. Welch eine Situation für die Seeleute an Bord! Der Kapitän kündigt nach kurzer Überlegung an, 860 Seemeilen nach Dakar zurückzufahren. Ein Bluff, es muss ein Bluff sein. Jeder weiß, dass die Lage schnell eskalieren kann.
Mehr als 10.400 Menschen, so Schätzungen, sind bei der gefährlichen Reise über den Atlantik ertrunken. Manche reisten, versteckt, in der Ruderanlage von Großcontainerfrachtern mit. Diese Menschen haben nichts mehr zu verlieren. Wie reagieren sie, wenn klar wird, dass es zurück nach Dakar geht? Kapern sie das Schiff?
Das könnte Sie auch interessieren: „Mann über Bord“ und Fragen der Moral
Nach einer Verhandlungspause stimmen Spaniens Behörden schließlich doch zu, aus „humanitären Gründen“, wie es heißt. Welcher Krimi sich in diesen Stunden abgespielt haben muss und wie alle die Nerven behielten? Es gibt keine Augenzeugenberichte, nur nachrichtliche Meldungen in den Medien der Kanaren. Ein Patrouillenboot eskortiert Schiff mitsamt „Stowaways“ an die Pier. Sie beantragen Asyl.
Anmerkungen oder Fehler gefunden? Schreiben Sie uns gern.