Tofu-Hersteller bei Hamburg: Der Veggie-Boom ist für uns auch eine Bedrohung
Sie gehört zu Hamburgs Pionieren in Sachen Nachhaltigkeit: Andrea Nagel, die die Bürger der Stadt seit den 80er-Jahren mit feinstem, handgeschöpftem Tofu beliefert. Die 60-Jährige freut sich, dass immer mehr Menschen Vegetarier werden. Doch ihre kleine Firma „Tofu-Nagel“ muss sich aus mehreren Gründen vor den großen Konzernen sorgen.
Sie gehört zu Hamburgs Pionieren in Sachen Nachhaltigkeit: Andrea Nagel, die die Bürger der Stadt seit den 80er-Jahren mit feinstem, handgeschöpftem Tofu beliefert. Die 60-Jährige freut sich, dass immer mehr Menschen Vegetarier werden. Doch ihre kleine Firma „Tofu-Nagel“ muss sich aus mehreren Gründen vor den großen Konzernen sorgen.
Die Gemeinde Ellerbek in Schleswig-Holstein. Von einem ehemaligen Bauernhof aus vertreibt die Familie Nagel seit mehr als 20 Jahren Fleischersatz-Produkte wie Tofu, Seitan oder Tempeh. Davor war die 1984 gegründete Firma in einem Hinterhof auf St. Pauli untergebracht. Jeden Tag rührten Andrea Nagel und ihr Mann Christian (†) dort in riesigen Bottichen, um den bis dahin ausschließlich erhältlichen grauen, faden Tofu durch ein hochwertiges Produkt zu ersetzen, das es damals nur in Asien gab.
Richtiger Riecher: Andrea und Christian Nagel begannen schon 1984 mit der Herstellung von Tofu
Fast 40 Jahre sind seitdem vergangen. Während die Nagels in ihren Anfangszeiten oft als schräge Öko-Vögel belächelt wurden, zeigt sich nun, dass sie einfach nur frühzeitig den richtigen Riecher gehabt haben. „Es ist gut, dass das Bewusstsein für eine fleischlose Ernährung immer weiter wächst“, sagt Andrea Nagel. Besonders die junge Generation habe verstanden, dass die Rettung des Planeten nur erreicht werden könne, wenn die Ausbeutung von Natur und Tieren gestoppt wird.
Der Bewusstseinswandel spielte den Nagels lange in die Hände. Nach dem zähen Start ging es jahrzehntelang nur bergauf. Doch der aktuelle Veggie-Boom, der die Kassen der Nagels eigentlich zum Klingeln bringen müsste, wird durch die Energiekrise und die Inflation ungünstig beeinflusst: Viele Menschen kaufen zwar weiter Bio-Produkte, allerdings die mit den einfachen Bio-Siegeln aus dem Supermarkt.
Dramatische Entwicklung: Große Konzerne wachsen, kleine Manufakturen verschwinden
„Wir stellen unser Tofu mit Nigari her“, erklärt Andrea Nagel. Das Gerinnungsmittel aus Japan ist ein natürlicher Meersalzextrakt. Das von den Großkonzernen hergestellte Supermarkt-Tofu wird dagegen mit chemischen Festigern bearbeitet. „Das ist eine ganz andere Qualität“, betont Nagel. „Fabrikware halt.“ Der Unterschied ist zu schmecken und er hat Auswirkungen auf die Gesundheit. Für viele Verbraucher zählt jedoch allein der Preis.
„Wir haben als Hersteller leider keine andere Möglichkeit, als die steigenden Kosten für unsere Zutaten und für die Energie an die Verbraucher weiterzugeben“, so Nagel. Die Schattenseite dieser Entwicklung: Die großen Konzerne wachsen und wachsen, die kleinen Manufakturen kämpfen ums Überleben oder verschwinden. „Auf diese Weise geht auch die Vielfalt verloren“, bedauert Andrea Nagel.
Chance für die Kleinen: Gemeinwohl-Ökonomie Bewegung will die Welt verändern
Rettung für die Kleinen könnte eine neue Bewegung sein, die dem kapitalistischen Wachstumsstreben nach dem Prinzip David gegen Goliath entgegen tritt: die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ). Andrea Nagel, die ihre Firma nach dem Tod ihres Mannes zusammen mit einem ihrer drei Söhne führt, hat seit 2020 das Zertifikat der Reformbewegung. Heißt: „Tofu-Nagel“ erfüllt die Grundwerte Menschenwürde, Solidarität, Nachhaltigkeit und Demokratie. Im Zentrum ihres Wirtschaftens steht nicht der Profit, sondern das Gemeinwohl.
30 Unternehmen in Hamburg sind bereits GWÖ-zertifiziert. Tendenz steigend. Deutschlandweit sind es mehr als 800, darunter der Outdoor-Ausrüster „Vaude“, die Sparda Bank München und immer häufiger auch Stadtverwaltungen, Schulen oder Kitas. „Aus der Vernetzung wächst die Kraft“, erklärt Jutta Hieronymus, Vorstandsmitglied von GWÖ Deutschland. Ziel sei es, das bestehende Wirtschaftsmodell zu überwinden.
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Was noch ein wenig nach Utopie klingt, ist bei genauerem Hinsehen aber gar nicht so unrealistisch. Der Staat könnte die Nachhaltigkeitsperformance von Unternehmen zukünftig zur Voraussetzung für Auftragsvergaben, für günstige Kredite, Investitionshilfen oder Steuererleichterungen machen. Konzerne, die nicht nachhaltig, sozial oder fair wirtschaften, müssten dagegen höhere Steuern zahlen. Dadurch wären die kleinen Betriebe im Vorteil und könnten sich mit ihren fairen und nachhaltigen Produkten am Markt durchsetzen.
Allzu lange darf sich dieser Prozess aber nicht mehr hinziehen. Sonst schaffen es die kleinen Manufakturen wie „Tofu-Nagel“ nicht. „Wir stehen an einem Scheidepunkt“, mahnt Andrea Nagel. „Es ist wichtig, dass wie als Verbraucher genau hinsehen und die Kleinen unterstützen. Gerade jetzt!“