Warum Hamburgs Umweltsenator mit Wecker unter die Dusche geht
Die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Energiekrise ist eine Herausforderung für die Bürger:innen, für die Wirtschaft und für die Politik. Für die Grünen bedeutet der Engpass eine Zerreißprobe, weil die Versorgungssicherheit gewährleistet werden muss und gleichzeitig Klimaziele auf dem Spiel stehen. Die MOPO sprach mit Umweltsenator Jens Kerstan.
MOPO: Herr Kerstan, wie kommt Hamburg durch den Winter?
- Deutsch (Deutschland)
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Die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Energiekrise ist eine Herausforderung für die Bürger:innen, für die Wirtschaft und für die Politik. Für die Grünen bedeutet der Engpass eine Zerreißprobe, weil die Versorgungssicherheit gewährleistet werden muss und gleichzeitig Klimaziele auf dem Spiel stehen. Die MOPO sprach mit Umweltsenator Jens Kerstan.
MOPO: Herr Kerstan, wie kommt Hamburg durch den Winter?
Jens Kerstan: Wir haben uns gut vorbereitet. Die Speicher sind zu fast 90 Prozent voll. Die Bürger:innen und die Industrie haben schon kräftig gespart. Mehr als in jedem anderen Bundesland. Darum bin ich verhalten optimistisch, dass die Hamburger:innen nicht frieren müssen. Aber für die Wirtschaft kann es schwierig werden. Wir wissen nicht, wie kalt der Winter wird. Ich kann nur appellieren, beim Sparen jetzt nicht nachzulassen; da müssen wir alle zusammenstehen.
Anders als in Berlin wird in Hamburg das meiste Gas nicht von Privathaushalten, sondern von der Industrie verbraucht. Wie bringen Sie die Industrie dazu, zu sparen?
Angesichts der hohen Gaspreise sparen die Unternehmen schon von selbst und brauchen keine Appelle aus der Politik. Die Industrie weiß, dass bei ihr als erstes rationiert würde, wenn Gas zu knapp wird. Aber im Moment sieht es so aus, dass es zu keiner Gasmangellage kommen wird, wenn wir konsequent sparen. Die hohen Preise sind allerdings das eigentliche Problem und dadurch droht die Gefahr einer Wirtschaftskrise. Zum Teil wurde die Produktion schon eingeschränkt. Um die hohen Gaskosten zu drücken, braucht es Schützenhilfe vom Bund und von der EU, beispielsweise in Form eines Preisdeckels.
Wie können wir noch mehr Energie sparen?
Wir müssen nicht nur beim Gas, sondern auch beim Strom sparen. Die hohen Gaspreise treiben auch die Strompreise nach oben. Das liegt unter anderem daran, dass wir Frankreich unterstützen müssen, das mir seinen maroden Atomkraftwerken zu kämpfen hat. Deshalb hat der Senat schon Einschränkungen bei der Beleuchtung von Gebäuden, bei Ampelschaltungen oder der Alsterfontäne eingeleitet.
Wird es eine Weihnachtsbeleuchtung in der City geben?
Die Energieeinsparverordnung des Bundesgesetzgebers ist bei festen Werbetafeln eindeutig: Nach 22 Uhr müssen sie abgeschaltet werden. Weihnachtliche Lichterketten sind keine Werbetafeln. Grundsätzlich kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, dass Unternehmen angesichts der hohen Kosten nachts noch das Licht brennen lassen werden.
Befürchten Sie angesichts der Kostenexplosionen soziale Unruhen?
Wir versuchen, dem vorzubeugen, indem wir die Belastungen der Bürger:innen begrenzen. Deshalb wollen die städtischen Energiewerke den Erlass der Gas-Umlage in diesem Jahr für ihre Kund:innen umsetzen. Wir verhandeln auch mit den privaten Versorgern über einen Härtefallfonds, damit Kunden, die ihre Rechnung nicht mehr bezahlen können, nicht das Gas abgestellt wird. Die Stadt will sich mit 15 Millionen an dem Härtefallfonds beteiligen.
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Kommen wir zu den Folgen fürs Klima. Die Heizkraftwerke in Tiefstack und Haferweg werden im Winter wieder Öl verfeuern. Verstoßen Sie da nicht gegen eigene Grundsätze?
Wir sind in einer schwierigen Krisen-Situation, in der wir den Klimawandel bekämpfen müssen, aber von Putin erpresst werden, der über fossile Brennstoffe versucht, unsere Demokratie und unseren freiheitlichen Lebensstil einzuschränken. Wir halten am Klimaschutz fest, aber damit Bürger:innen nicht frieren müssen und unsere Wirtschaft nicht in eine Abwärtsspirale gerät, müssen wir, so bitter es ist, an einzelnen Stellen Rückschritte unternehmen. Das langfristige Ziel – nämlich die Energiewende – gerät aber nicht aus dem Blick und ich bin sicher, dass es auch erreicht wird.
Wie viel mehr CO2 kommt auf uns zu und was tun Sie, um das aufzufangen?
Wie viel mehr CO2 es wird, kann ich noch nicht sagen. Wir rüsten die Spitzenlastkessel um, die nur ins Spiel kommen, wenn die Temperaturen dauerhaft unter fünf Grad sinken. Je nachdem, wie der Winter wird, müssen wir mehr oder weniger Öl verheizen. Wir können so die Versorgungssicherheit garantieren, aber es hat klimapolitisch einen Preis. Den gleichen wir aus, indem wir die Erneuerbaren Energien noch entschiedener ausbauen. Ab 2023 gilt die Solarpflicht beim Neubau. Wir haben ein Paket von fast zwei Milliarden Euro auf den Weg gebracht, um grünen Wasserstoff in Hamburg und Norddeutschland zu produzieren. Und wir werden Windkraftanlagen im Hafen massiv ausbauen.
Das sind ja keine neuen Maßnahmen, sondern war ohnehin geplant.
Beim Wasserstoff und bei der Umrüstung des Kohlekraftwerks Tiefstack gehen wir weit über das hinaus, was wir im Klimaplan vereinbart haben. Wir bleiben trotz der Krise auf Kurs. Es bleibt beim Kohleausstieg bis 2030. Zudem werden wir bis Ende des Jahres weitere Maßnahmen beschließen, um die CO2-Bilanz der Stadt schneller zu verbessern. Das ist jetzt schwieriger geworden. Wir werden aber trotzdem unsere Klimaziele weiter verschärfen. Andere Bundesländer haben dabei noch viel mehr Hausaufgaben auf dem Zettel. Wir machen jetzt kleine Rückschritte, aber wir liegen immer noch weit vor vielen anderen, insbesondere bei der Wärmewende. Wir sehen uns in unserem Kurs bestätigt.
Wann kommt denn endlich die Zwischenbilanz zum Klimaplan?
Ich gehe davon aus, dass sie sehr kurzfristig veröffentlicht wird.
Was ist demnach die größte Baustelle?
Es gibt nicht die eine große Baustelle. Wir haben ein Paket mit rund 400 Maßnahmen. Es ist eine große Herausforderung das umzusetzen und zwar mitten in der Finanz- und Wirtschaftskrise durch die Pandemie, in der die öffentlichen Mittel knapp waren. Wir sind bei einem Großteil der Maßnahmen auf einem guten Weg, aber wir konnten noch nicht alle Maßnahmen aus dem letzten Plan angehen, weil Geld und Personal gefehlt haben. Ich hoffe, dass wir im nächsten Haushalt die Mittel erhöhen können, um da schneller voranzukommen.
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Ab nächstem Jahr gilt die Solarpflicht. Allerdings nur für Neubauten, auch auf öffentlichen Gebäuden sieht es mau aus. Und seit 2016 wurde kein einziges Windrad in Hamburg genehmigt. Und jetzt soll es plötzlich schneller gehen?
Es ist einfacher die Solarpflicht für Neubauten zu starten, weil sie dann als Bestandteil der Planungen aufgenommen wird. Ab 2025 gilt es auch für Bestandssanierungen. Die Bundesregierung überlegt zudem, eine Pflicht mit Bundesgesetzen vorzuziehen. Es stimmt, bei den öffentlichen Gebäuden waren wir nicht gut genug. Hamburg Energie Solar hat jetzt aber den Auftrag, auf allen öffentlichen Gebäuden Solaranlagen zu installieren. Die wirklich unbefriedigende Situation wird sich in zwei bis drei Jahren deutlich geändert haben. Und zur Windkraft: Der Ausbau war in fast ganz Deutschland zum Erliegen gekommen, weil die Große Koalition die Bedingungen so veränderte, dass sich die Neuinstallation nicht mehr gelohnt hat. Mit der Grünen-Beteiligung haben wir jetzt eine Regierung, die das nicht mehr torpediert, sondern vorantreibt. Die Vorgabe, mindestens zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft zur Verfügung zu stellen – in Hamburg sind es 0,5 Prozent – wird einen riesigen Schub geben.
Etwa in Naturschutzgebieten, wie der Bürgermeister es vorgeschlagen hat?
Wir planen keine Windräder in Naturschutzgebieten. Das brauchen wir auch nicht, da wir in Landschaftsschutzgebieten und im Hafengebiet genügend Windräder aufstellen können. Da habe ich keinen Konflikt mit dem Bürgermeister.
Zurück zur Energiekrise. Werden die hohen Strompreise die Mobilitäts- und Wärmewende verschleppen?
Wir brauchen den Strom für Wärmepumpen und Elektroautos. Auch deshalb können wir die massiven Preissteigerungen im Strombereich nicht weiter hinnehmen. Wir wollen den Strommarkt so verändern, dass der Preis nicht mehr vom teuren Gas bestimmt wird. Das ist notwendig, damit es keine negativen Effekte gibt.
Sehen Sie durch die Krise auch Chancen für den Klimaschutz?
Wir haben bisher dafür werben müssen, Energie einzusparen und Dämmungen bzw. energetische Sanierungen vorzunehmen. Wer jetzt mit einer Vervierfachung des Gaspreises und einer Verdreifachung des Strompreises konfrontiert wird, der spart von allein. Wenn es gelingt, den Strommarkt so zu reformieren, dass nicht die teuren fossilen Brennstoffe, sondern die günstigeren erneuerbaren Quellen die Strompreise bestimmen, wäre es von Vorteil für uns alle. Mittel- und langfristig sehe ich also durchaus Chancen.
Sie sind für ein temporäres LNG-Terminal im Hafen. BUND und der Nabu sind dagegen, weil das flüssige Erdgas oft durch Fracking gewonnen wird und es auch die Hafenschlick-Problematik verschärften könnte. Ist Ihnen das egal?
Nein, das ist uns überhaupt nicht egal, aber wir müssen Prioritäten setzen. Diesen Winter werden wir gut überstehen. Aber danach sind die Speicher leer. Wenn es nicht gelingt, mehr Gas ins Netz zu speisen, werden die exorbitanten Preise bestehen bleiben und die Wirtschaft erhebliche Probleme bekommen, denn die anderen Terminals werden erst Ende des nächsten Jahres fertig. Letztlich ersetzten wir einen fossilen Brennstoff mit einem anderen. Damit verschlechtert sich unsere Klimabilanz erstmal nicht.
Stellt die Energiekrise die Grünen als Partei vor eine Zerreißprobe? Der Grabenkampf zwischen Realos und Fundis dürfte sich durch die aktuellen Rückgriffe auf Öl, LNG und die AKW-Diskussion ja nochmal verschärfen.
Das nehme ich überhaupt nicht so wahr. Klar, müssen wir gerade schmerzhafte Schritte unternehmen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Aber die grüne Partei ist verantwortungsbewusst genug und weiß, dass man inmitten eines Krieges, einer Energiekrise und einer drohenden Wirtschaftskrise nicht immer 100 Prozent auf Linie bleiben kann, sondern auch mal einen Schritt zurück machen muss. Die Partei wird schon aufpassen, dass wir keine faulen Kompromisse eingehen. Dafür kenne ich meine Partei zu gut.
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Wie bewerten Sie die AKW-Diskussion?
Ein Teil des Problems am Strommarkt ist ja, dass wir Frankreich aktuell aufgrund der vielen AKW-Ausfälle mit Strom versorgen. Das zeigt: Die Atomkraft ist unzuverlässig und störungsanfällig. Die Strompreise wären nicht so hoch, wenn Frankreich nicht so stark auf Atomenergie gesetzt hätte. Insofern finde ich es absurd, dass es ernsthafte Forderungen gibt, die AKW nicht nur länger laufen zu lassen, sondern abgeschaltete wieder ans Netz zu bringen. Die Atomkraft ist Teil des Problems und nicht die Lösung.
Wie sparen Sie selbst Energie ein?
Ich stelle mir jetzt immer einen Wecker, damit ich nicht zu lange dusche. Als jemand, der morgens nur mühsam in die Gänge kommt, fällt mir das schon schwer. Ich habe bisher auch noch nicht die Heizung angeschaltet und ziehe mir morgens und abends lieber einen Pulli an. Wenn ich einen Raum verlasse, mache ich das Licht aus. Ich versuche zu sparen, wo ich kann und werde auch mein Haus, das bisher zu 25 Prozent mit erneuerbarer Wärme versorgt wird, weiter aufrüsten. Ich bekomme eine bessere Isolierung, eine Wärmepumpe und Photovoltaik aufs Dach. Auch ich hatte Probleme Handwerker zu bekommen, aber die ersten Maßnahmen starten bereits in diesem Jahr, weitere im nächsten. Und ich fahre als einziges Senatsmitglied einen hundertprozentigen Elektro-Dienstwagen.