Konsumforscher: Warum immer mehr Leute Second-Hand-Ware kaufen
Gebraucht ist das neue Geil: Laut Umfragen kauft etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung ihre Waren entweder regelmäßig oder gelegentlich second hand. Tendenz steigend. Der Ökonom und Konsumforscher Prof. Niko Paech hat herausgefunden, dass es den Menschen dabei weniger ums Sparen geht.
Gebraucht ist das neue Geil: Laut Umfragen kauft etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung ihre Waren entweder regelmäßig oder gelegentlich second hand. Tendenz steigend. Der Ökonom und Konsumforscher Prof. Niko Paech hat herausgefunden, dass es den Menschen dabei weniger ums Sparen geht.
Die einen gehen auf den Flohmarkt. Andere in Second-Hand-Läden. Wieder andere besuchen Portale wie Ebay Kleinanzeigen oder Vinted. Ganz oben auf der Hitliste der verkauften Gebrauchtwaren stehen Kleidungsstücke. Rund 22 Prozent der Deutschen geben an, schon mal Second-Hand-Kleidung gekauft zu haben. An zweiter Stelle steht die Produktgruppe „Medienobjekte“, die von CDs, gebrauchten Handys bis hin zu Fernsehern oder Computerspielen reicht.
Umfrage: Die meisten Menschen kaufen Second-Hand-Ware, um die Umwelt zu schützen
Selbst Schuhe werden immer häufiger gebraucht gekauft. Außerdem begehrt: Spielzeug, Möbel, Sportartikel, Taschen oder Haushaltswaren. „Man kann beobachten, dass sich der Second-Hand-Handel etabliert hat“, so der Ökonomie-Professor Niko Paech, der zum Thema Nachhaltigkeit forscht und den Begriff „Postwachstumsökonomie“ geprägt hat. Das Negativ-Klischee von Gebrauchtwaren als „Schrott“ trete immer weiter in den Hintergrund.

Paech hat die Motive der Verbraucher untersucht. Fazit: „Sehr vielen Menschen geht es beim Kauf von Second-Hand-Waren um Umweltschutz“, so Paech. Erst in zweiter Linie gehe es den Verbrauchern um den günstigeren Preis. Ein drittes Motiv beim Gebrauchtwarenkonsum sei die Suche nach Gegenständen, die entweder vergriffen sind oder nicht mehr verkauft werden, also Vintage-Charakter haben. Ein vierter Beweggrund ist die Bequemlichkeit. „Die Suche nach gewünschten Second-Waren würde, wenn keine Online-Medien verfügbar wären, sehr viel Zeit kosten“, so Paech.
Neue Wachstumssparte: Aufbereitete Handys, Tablets oder Laptops aus zweiter Hand
Schließlich gibt es noch ein anderes interessantes Motiv: „Vielen Verbrauchern ist es gerade im technischen Bereich wichtig, dass die von ihnen anvisierten Produkte schon mal getestet wurden“, erklärt Paech. Dazu fände dann ein Austausch statt, weshalb Paech die Second-Hand-Portale auch als neue Plattformen für sozialen Austausch sieht („Da werden Freundschaften geschlossen“).
Genau wegen dieses Vortester-Aspekts würden aktuell auch Händler einen Aufwind erfahren, die beispielsweise gebrauchte Handys, Tablets oder Laptops aufarbeiten. Stichwort: Refurbishment. Die Geräte sind also getestet, aufgearbeitet und außerdem mit einer Garantie versehen – preislich dennoch deutlich günstiger als Neuware. „Um manche Geräte wie z.B. IBM-Thinkpads ist da eine ganz neue Retro-Manie entstanden. Sie sind qualitativ gut und haben Kult-Charakter“, weiß Paech.
Gerade angesichts weltweiter Lieferketten-Probleme, einem Mangel an Mikrochips und anderer Wertstoffe erwartet Paech deshalb für die Zukunft, dass dieser Teilbereich des Second-Hand-Marktes weiter wachsen wird. Möglicherweise auch über die Zweitverwertung hinaus. Zu Third-Hand bzw Fourth-Hand-Entwicklungen gibt es noch keine Studien. Hinweise, dass die Produkte aber noch mehr Runden drehen als nur eine, gibt es längst.
Second-Hand-Boom sorgt für Unabhängigkeit bei globalen Versorgungskrisen
Zwar hat die Wiederverwertung auch sogenannte „Rebound“-Effekte, die dem Nachhaltigkeitsaspekt ein wenig zuwider laufen. Beispielsweise durch den CO2-Ausstoß, der beim Versand der Artikel entsteht. Oder wenn Menschen den Einspareffekt beim Shoppen dafür nutzen, sich dafür einen teureren Urlaub mit Flugreise zu buchen. Allerdings sei damit angesichts der aktuellen Teuerungsraten nicht zu rechnen, weil die Menschen insgesamt weniger Geld zur Verfügung haben. Und der CO2-Ausstoß entsteht bei der Auslieferung von Neuware genauso.
Für Paech hat die Kreislaufwirtschaft noch einen weiteren Vorteil: „Wenn wir uns auf die Waren konzentrieren, die schon in Deutschland im Umlauf sind, reduzieren wir nicht nur den CO2-Fußabdruck, sondern machen uns auch unabhängig von globalen Versorgungskrisen, die zum Beispiel durch Kriege entstehen.“
Konsumforscher: Politik muss Kreislaufwirtschaft fördern – zum Beispiel durch Reparaturgutscheine
Von der Politik erwartet Paech, dass sie Maßnahmen ergreift, um die Kreislaufwirtschaft weiter anzutreiben. „In Schweden hat die Regierung Reparaturleistungen von der Umsatzsteuer befreit. In Frankreich ist die bewusste Einplanung von frühem Verschleiß durch Produzenten inzwischen ein Straftatbestand. Und in Österreich gibt es Reparaturgutscheine, durch die die Regierung Wirtschaftszweige wie das Handwerk fördert.“
Das könnte Sie auch interessieren: Konsumforscher: Warum immer mehr Leute Second-Hand-Ware kaufen
Große Hoffnung setzt Paech auch auf die Öko-Design-Richtlinie, die aktuell in Brüssel vorbereitet wird. Sie verpflichtet Firmen, Ersatzteile vorzuhalten, um die Nutzungsdauer von Geräten zu verlängern. Ganz wichtig ist für den Professor aber auch, dass der Bildungsbereich dieser Entwicklung angepasst wird. „Es wäre nötig, dem Akademisierungswahn entgegenzutreten, insbesondere Schülerinnen und Schülern eine handwerkliche Berufsausbildung nahezulegen.“ Andernfalls würde der Fachkräftemangel durch die Förderung der Reparatur-Bewegung nur noch weiter verstärkt.