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Das Naturschutzgebiet Heuckenlock
  • Die MOPO begleitete Dominik Domin ins Naturschutzgebiet Heuckenlock.
  • Foto: Florian Quandt

Hamburgs verborgene Urwälder

Kleine Pfade durchs grüne Dickicht, umgestürzte Bäume, wilde Orchideen – das klingt nach Urwald. Nach Abenteuer. Nach fernen Ländern. Tatsächlich muss man aber als Hamburger gar nicht weit reisen, um ein Dschungel-Feeling zu bekommen. Neun Prozent der Fläche Hamburgs ist Naturschutzgebiet. So viel wie in keinem anderen Bundesland. Benedikt Domin passt auf, dass diese Oasen nicht zerstört werden.

Eine schmale Brücke führt über den Priel des Heuckenlocks in Wilhelmsburg. Ein Kuckuck ruft. Der Wind raschelt in den hohen Gräsern. Sonst ist nichts zu hören. Nichts außer den Schritten von Benedikt Domin, der mit seinen schweren Sicherheitsschuhen in Richtung des verwunschenen Waldes geht, der am anderen Ufer des Priels beginnt. 

Domin ist Gebietsbetreuer bei der Gesellschaft für ökologische Planung, die 14 der insgesamt 36 Naturschutzgebiete Hamburgs unter ihren Fittichen hat. Dazu gehört auch das Heuckenlock, das nach der Fischerfamilie Heucke benannt ist, die den Priel (plattdütsch „Lock“) einst nutzte, um mit ihrem Boot zur Elbe zu gelangen. Um die restlichen Reservate kümmern sich NABU und BUND.

Auftrag der Verbände: Durchsetzung der Naturschutz-Regeln, Baumpflege, Entfernung von Neophyten, also Pflanzen, die hier nicht zu Hause sind und beispielsweise mit den Schiffen nach Hamburg gelangen wie der japanische Staudenknöterich oder das indische Springkraut. Schließlich sollen einheimische Pflanzen wie der Schierlingswasserfenchel, für den das Heuckenlock weltberühmt ist, nicht verdrängt werden.

Heute hat Benedikt Domin jedoch weder das Unkraut im Visier seines Fernglases, noch den Seeadler, der hier brütet, sondern – Menschen. „Seit Beginn der Corona-Krise haben die Naturschutzgebiete einen enormen Zulauf erlebt“, berichtet der 29-Jährige. Was einerseits eine positive Entwicklung ist – die Rückbesinnung auf die Natur – hat leider aber negative Folgen.

„Die Leute halten sich nicht an die Regeln“, ärgert sich Domin. Heißt: Sie weichen von den Wegen ab, lassen ihre Hunde frei laufen oder ihre Kinder auf die Bäume klettern. „Das stört die Tiere, die hier leben. Sie weichen zurück oder verlassen ihre Brutplätze. Das ist fatal.“ Auch Blühflächen, die für die Bienen wichtig sind, würden einfach zertrampelt. Besonders gefährlich wird es, wenn ein Lagerfeuer oder Grill angezündet wird. Dann droht Waldbrandgefahr. Ein ganzes Biotop kann so zerstört werden.

In der Pandemie haben Naturschutzgebiete Zulauf erhalten. Das ist positiv, bringt aber auch Probleme mit sich. Florian Quandt
Das Naturschutzgebiet Heuckenlock bei Ebbe
In der Pandemie haben Naturschutzgebiete Zulauf erhalten. Das ist positiv, bringt aber auch Probleme mit sich.

Und tatsächlich: Hinter einem Schild, auf dem deutlich „Vogelschutzzone“ steht, sitzt ein Mann am Elbufer. Er ist über den Zaun geklettert, um seine Füße im Wasser zu baden. Domin geht auf ihn zu. „Guten Tag“, sagt er höflich und fragt den Mann, ob er die Naturschutzregeln am Eingang gelesen hat. Hat er nicht. Freundlich und bestimmt klärt ihn Domin über die Regeln auf. Der Mann versteht und räumt seinen Badeplatz.

„Das ist nicht immer so einfach“, erzählt Domin. Nicht jeder reagiert einsichtig auf die in braun-grünen Uniformen gekleideten Gebietsbetreuer, die um den Bauch einen schwarzen Gurt tragen, der auf den ersten Blick wie ein Waffengürtel wirkt. Tatsächlich ist er aber nur mit einer Taschenlampe, zwei Multitools und zusammengefalteten Handschuhen bestückt. „Manche Leute reagieren sehr ungehalten“, berichtet Domin. Sogar Handgreiflichkeiten kommen vor. Dann bleibt den Naturschützern nur, die Polizei zu rufen.

Ein weiteres Ärgernis ist die Vermüllung. Die Abfälle gefährden Fuchs, Reh, Waschbär und Marderhund, die im Heuckenlock leben. Da dieser Tide-Auwald, der zu den letzten in ganz Europa zählt, regelmäßig Ebbe und Flut ausgesetzt ist, gerät der achtlos liegen gelassene Abfall in die Elbe und so auch ins Meer. 

„Es ist wichtig, dass alle mitmachen und sich an die Regeln halten“, betont Domin. „Hamburg ist eine Stadt mit viel Grün. Das soll auch so bleiben!“

Das sind Hamburgs grüne Oasen:

Flottbektal (Klein Flottbek): Dieses Biotop ist die einzige noch vorhandene tidebeeinflusste Talaue in Hamburg. Hier leben Pflanzen und Tiere, die auf der Roten Liste des Artenschutzes stehen.

Schnaakenmoor (Rissen): Hier leben seltene Vögel wie die Heidelerche oder Schmetterlinge wie der Rotranbär.

Wittenbergen (Rissen): Der letzte Naturstrand Hamburgs.

Allermöher Wiesen (Allermöhe): Die Feuchtwiesen sind Heimat für seltene Vogelarten wie die Uferschnepfe oder den Rotschenkel.

Boberger Niederung (Lohbrügge): Hier befindet sich Hamburgs letzte Wanderdüne.

Borghorster Elblandschaft (Altengamme): Das maritime Klima sorgt hier für eine in Norddeutschland einzigartige Artenvielfalt.

Die Reit (Reitbrook): Nirgendwo quaken die Frösche und Kröten lauter als in der Reit.

Kiebitzbrack (Vier- und Marschlande): Wer Glück hat, kann hier einen Teichrohrsänger, Eisvogel oder eine Rohrweihe erspähen.

Kirchwerder Wiesen (Kirchwerder): Mit 860 Hektar Hamburgs größtes Naturschutzgebiet.

Zollenspieker (Vier- und Marschlande): Eine Besonderheit ist das Nebeneinander von atlantischen, mit der Tide stromaufwärts transportierten Arten und kontinentalen, tideunbeeinflussten Stromtalpflanzen.

Auenlandschaft Norderelbe (Oberelbe): Wichtiges Rückzugsgebiet von 40 Fischarten, Kormoran und Pirol.

Heuckenlock (Moorwerder): Hamburgs ältestes Naturschutzgebiet. Heimat des Schierlingswasserfenchels.

Holzhafen (Kaltehofe): Wichtiges Rastgebiet für Zugvögel wie die Löffelente, Krickente und Brandgans.

Mühlenberger Loch (Blankenese): Die Fischdichte ist hier hundert mal so groß wie sonstwo an der Hamburger Unterelbe. 

Rhee (Wilhelmsburg): Hier brütet der Eisvogel.

Westerweiden (Finkenwerder): Saftige Wiesen und Weiden, die seit 800 Jahren für Pferde- und Rinderhaltung genutzt werden.

Eppendorfer Moor (Groß Borstel): Lebensraum für moortypische Tier- und Pflanzenarten.

Rothsteinsmoor (Langenhorn): Laubwald, Heideflächen und eine Sanddüne.

Wittmoor (Lemsahl-Mellingstedt): Hier lässt sich die Jahrtausende lange Geschichte des Moors studieren. Filmkulisse!

Finkenwerder Süderelbe (Finkenwerder): Mehr als 300 Nachtschmetterlingsarten!

Fischbeker Heide (Neugraben): Riesige lila Teppiche ab Mitte August.

Moorgürtel (Neugraben): Hier lebt der Wachtelkönig.

Neuländer Moorwiesen (Neuland): 317 verschiedene Pflanzenarten, darunter die Sumpfdotterblume, das Moor-Labkraut und der Röhrige Wasserfenchel.

Schweenssand (Neuland): Botanische Raritäten wie die Wiebelsschmiele und der Schierlings-Wasserfenchel.

Diekbek (Duvenstedt): Heimat für Otter und Eisvogel.

Duvenstedter Brook (Wohldorf-Ohlstedt): Das zweitgrößte Naturschutzgebiet der Stadt.

Duvenwischen (Volksdorf): Wegen seiner großen Artenvielfalt besonders wertvoll.

Hainesch Iland (Bergstedt): Weiden, Wiesen und Äcker mit Obstgärten und dem bewaldeten, steilhängigen Tal der Saselbek.

Höltigbaum (Rahlstedt): Sanfte Hügel, steppenartige Landschaft, alte Baumbestände.

Hummelsbütteler Moore (Hummelsbüttel): Übrigbleibsel einer einst weitläufigen Moorlandschaft.

Raakmoor (Langenhorn): Mystische Landschaft, besonders im Herbst.

Rodenbeker Quellental (Bergstedt): Hübsche Landschaft mit Hügeln und Tälern, Wasserläufen und Teichen, Wäldern, Wiesen und Weiden.

Stapelfelder Moor (Rahlstedt): Grüne Oase im Nordosten Hamburgs.

Stellmoorer Tunneltal (Rahlstedt): Dieses Naturschutzgebiet ist auch ein bedeutsamer archäologischer Fundplatz.

Volksdorfer Teichwiesen (Volksdorf): Hier blühen im Juni tausende Orchideen.

Wohldorfer Wald (Wohldorf-Ohlstedt): In der Dämmerung hört man den Balzruf der Waldschnepfe.

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