Nach Hamas-Großattacke: Hunderte Tote in Israel und Gazastreifen
Bei massiven und überraschenden Raketenangriffen aus dem Gazastreifen sind in Israel rund 300 Menschen getötet worden. Die im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas erklärte am Samstagmorgen den Beginn einer „Militäroperation“ gegen Israel. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach von einem Krieg. Die israelische Luftwaffe beschoss als Reaktion Dutzende Ziele im Gazastreifen: 256 Palästinenser wurden dabei bisher getötet, darunter seien auch 20 Minderjährige, teilte das Gesundheitsministerium in Gaza am Sonntag mit. Die Zahl der Verletzten ist auf beiden Seiten enorm hoch.
Die islamistische Hamas hat einen großangelegten Überraschungsangriff mit Tausenden Raketen auf Israel gestartet. „Bürger Israels, wir sind im Krieg“, beschrieb Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Samstag, dem jüdischen Feiertag Simchat Tora (Freude der Tora), das Ausmaß der Angriffe. Der Überraschungsangriff startete genau 50 Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg von 1973. Der damalige Angriff feindlicher arabischer Staaten auf Israel am höchsten jüdischen Feiertag gilt als bislang schwerstes nationales Trauma.
Israel: Schwere Kämpfe zwischen Hamas und israelischen Soldaten
Hamas-Militärchef Mohammed Deif sagte in einer Botschaft, die Organisation habe beschlossen, israelischen Verbrechen – wie er es nannte – ein Ende zu setzen. Hamas griff vom Gazastreifen massiv aus der Luft, am Boden und von See aus an. Wegen der Raketenangriffe heulten in Städten Israels immer wieder die Warnsirenen, wie die Armee mitteilte. Auch in Tel Aviv und Jerusalem war Alarm zu hören. Das Militär rief die Einwohner der südlichen und zentralen Landesteile auf, in geschützten Bereichen zu bleiben. Verteidigungsminister Joav Galant erklärte eine besondere Sicherheitslage im Umkreis von bis zu 80 Kilometern vom Gazastreifen.
Nach israelischer Darstellung wurden mindestens 300 Israelis getötet, als die Angreifer in verschiedene Ortschaften im Grenzgebiet eindrangen und sich dort nach Medienberichten auch mit Geiseln in Häusern verschanzten. Mehrere Israelis wurden in den Gazastreifen verschleppt, wie ein Armeesprecher sagte – darunter auch Soldaten. Eine Zahl der Entführten nannte er nicht. Außerdem wurden nach Angaben des israelischen Gesundheitsministeriums 1452 Menschen verletzt.
- Tsafrir Abayov/AP/dpa Eine aus dem Gazastreifen abgefeuerte Rakete schlug in der israelischen Stadt Ashkelon ein.
- Ilia Yefimovich/dpa Autos brennen in der israelischen Stadt Ashkelon.
- Ilia Yefimovich/dpa Als Reaktion auf die massiven Angriffe militanter Palästinenser auf Israel hat das Militär den Kriegszustand erklärt.
- Mohammed Talatene/dpa Palästinenser feiern, nachdem sie die Kontrolle über ein israelisches Militärfahrzeug übernommen haben
- Mohammed Talatene/dpa Ein Palästinenser läuft auf den Grenzzaun zwischen Israel und dem Gazastreifen zu.
- Ilia Yefimovich/dpa Ein Wohnhaus in der israelischen Stadt Ashkelon brennt nach einem Raketenangriff aus dem Gaza-Streifen.
- Tsafrir Abayov/AP/dpa Autos brennen in Ashkelon nach einem Raketenangriff aus dem Gaza-Streifen.
- Hassan Eslaiah/AP /dpa Palästinensische Gebiete, Khan Younis: Palästinenser feiern an einem zerstörten israelischen Panzer am Zaun des Gazastreifens.
Das Land wurde nach Militärangaben auch offiziell in Kriegsbereitschaft versetzt. Tausende Reservisten wurden einberufen. Die israelische Armee nannte ihre Verteidigungsaktion „Iron Swords“ (Eisenschwerter).
Hisbollah übernimmt Verantwortung für Beschuss israelischer Gebiete
Die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah hat die Verantwortung für den Raketenbeschuss von durch Israel besetzte Gebiete übernommen. „Auf dem Weg zur Befreiung dessen, was von unserem besetzten libanesischen Land übrig geblieben ist“, hieß es in einer Erklärung der eng mit dem Iran verbündeten Hisbollah am Sonntag. Die Beobachtermission der Vereinten Nationen im Libanon, Unifil, bestätigte, dass mehrere Raketen aus dem Südosten Libanons auf das von Israel besetzte Gebiet abgefeuert wurden.
In „Solidarität mit dem siegreichen palästinensischen Widerstand und dem Kampf des palästinensischen Volkes“ habe eine Brigade der Hisbollah am Sonntagmorgen drei Flächen der „zionistischen Besatzung“ im Gebiet der Schebaa-Farmen angegriffen, so die Hisbollah. Die sogenannten Schebaa-Farmen gehören nach Auffassung der UN zu den 1967 von Israel besetzten syrischen Gebieten. Syrien und einigen Parteien im Libanon sehen das Gebiet jedoch als libanesisches Territorium an.
Unter anderem sei eine Radaranlage mit einer großen Zahl von Artilleriegranaten und Lenkraketen direkt beschossen worden, teilte die Hisbollah mit. Im Gegenzug griff Artillerie der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) das Gebiet an, teilte IDF-Sprecher Daniel Hagari auf der Plattform X (vormals Twitter) mit. Die israelischen Streitkräfte seien auf alle Szenarien vorbereitet.
Angriffe der Hamas auf Israel international verurteilt
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die Regierungen Italiens, Spaniens, Frankreichs und Großbritanniens sowie die Europäische Union verurteilten die Angriffe aufs Schärfste.
Im Gazastreifen leben mehr als zwei Millionen Menschen nach UN-Angaben unter sehr schlechten Bedingungen. Die von der EU, den USA und Israel als Terrororganisation eingestufte Hamas hatte 2007 gewaltsam die alleinige Macht an sich gerissen. Israel verschärfte daraufhin eine Blockade des Küstengebiets, die von Ägypten mitgetragen wird.
Nach Hamas-Attacke: 256 Palästinenser bei Angriffen Israels getötet
Die israelische Armee teilte wiederum mit, nach dem Großangriff auf Israel Ziele in dem Palästinensergebiet beschossen zu haben. Dutzende Kampfjets seien an der Operation „Eisenschwerter“ beteiligt gewesen, sagte ein Sprecher der israelischen Armee.
Nach Angaben der Armee wurden in der Nacht zu Sonntag zehn Hamas-Ziele getroffen. Sie hätten sich in mehrstöckigen Gebäuden befunden. Unter anderem seien ein Geheimdiensthauptquartier sowie eine militärische Einrichtung angegriffen worden.
Parallel dazu habe die israelische Armee zwei Banken beschossen, die der Hamas zur Finanzierung von Terroraktivitäten gegen israelische Zivilisten dienten. Auch eine Waffenproduktionsstätte der militanten Organisation Islamischer Dschihad in Gaza sowie Waffenlager seien getroffen worden.
Laut des Gesundheitsministeriums im Gazastreifen wurden bei den Luftschlägen mindestens 256 Palästinenser getötet, es soll knapp 1788 Verletzte geben. Eine unabhängige Bestätigung für diese Angaben gibt es bislang nicht.
Israel: Hamas hat „Tore zur Hölle“ geöffnet
Ein israelischer Offizieller drohte der Hamas, sie habe mit dem Angriff „die Tore zur Hölle“ geöffnet. Man werde sie zur Rechenschaft ziehen, sagte der Sprecher der israelischen Cogat-Behörde, die für Einreise- und Arbeitsgenehmigungen für palästinensische Arbeiter aus dem Gazastreifen zuständig ist am Samstag.
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Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant sagte: „Die Hamas hat heute Morgen einen schweren Fehler begangen und einen Krieg gegen den Staat Israel begonnen.“ Israelische Soldaten kämpften „an allen Stellen, an denen eingedrungen wurde“. Er rief die Bürger dazu auf, Anweisungen Folge zu leisten und sagte: „Israel wird diesen Krieg gewinnen.“
Israel: Ägypten versucht, zu vermitteln
Das Außenministerium in Kairo teilte mit, Ägypten bemühe sich intensiv um eine Beruhigung der Lage. In der Vergangenheit hatte Kairo immer wieder zwischen Israel und militanten Palästinenserfraktionen im Gazastreifen vermittelt und dabei auch Waffenruhen erzielt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan rief alle Seiten zur Zurückhaltung auf.
Für den israelischen Botschafter in Berlin, Ron Prosor, ist auch der Iran für den Angriff verantwortlich. „Es ist klar für uns, dass Iran dahintersteckt“, sagte Prosor im Deutschlandfunk. Der Iran gratulierte der Hamas indes und sprach von einem „Wendepunkt“ des bewaffneten Widerstands gegen Israel.
Verstärkter Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen
In Berlin verstärkte die Polizei den Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen erfuhr. Die Gefährdungsbewertungen für solche Einrichtungen werden demnach laufend aktualisiert und Schutzmaßnahmen erhöht, wo dies erforderlich sei. „In Berlin ist der Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen heute bereits verstärkt worden.“
Jüdische Einrichtungen müssten jetzt besonders geschützt werden, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die auch Spitzenkandidatin der hessischen SPD ist, bei einer Wahlkampfveranstaltung in Marburg. „Und auch dafür stehe ich persönlich ein, aber auch die Innenminister aus allen Bundesländern.“
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Die Schweizer Lufthansa-Tochter Swiss stellte ihren Flugverkehr nach Israel ab Samstagabend wegen Sicherheitsbedenken ein. Auch die Lufthansa stellt bis einschließlich alle Flüge nach Tel Aviv ein. „Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in Israel streicht Lufthansa alle Flüge von und nach Tel Aviv bis einschließlich Montag“, teilte das Unternehmen mit.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) forderte eine rasche Entscheidung über Finanzhilfen an Palästinenser. „Der Terror ist erschütternd. Auf ihn sollten wir nicht nur mit Worten reagieren“, sagte der FDP-Chef der „Bild am Sonntag“. Er erhoffe sich daher eine Empfehlung von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), wie der deutsche Staat angesichts dieser Gewalt mit der finanziellen Unterstützung der Palästinenser weiter verfahren sollte. „Etwaige Konsequenzen könnten sofort umgesetzt werden“, sagte Lindner. (dpa/mp)