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  • Unweit des Michels liegt das Hamburger Wikipedia-Büro von Uwe Rohwedder (Mitte), Reinhard Kraasch (Rechts) und ihren vielen Mitstreitern.
  • Foto: Florian Quandt

Die Superhirne aus der Neustadt: Ein Blick hinter die Kulissen von Wikipedia

Neustadt –

Fast jeder nutzt sie, doch viele geben es nur ungern zu: die Dienste des Informationsportals Wikipedia. Oder, um es mit den Worten eines Wikipedianers zu sagen: „Wikipedia ist wie ein Puff. Alle gehen hin, aber keiner gibt es gerne zu.“ Doch nur wenigen ist bekannt, dass der Verein „Wikimedia“ auch ein Büro in Hamburg unterhält. Dort sitzen Schüler, Rentner und Studenten und sammeln Wissen über Hamburg und die Welt. Die MOPO hat ein Treffen der aktiven Schreiber besucht.

Ein verregneter früher Donnerstagabend Anfang Januar unweit des Michels. Im Erdgeschoss eines Wohnhauses an der Wincklerstraße brennt grelles Licht. Ein knappes Dutzend Menschen, hauptsächlich Männer älteren Semesters, sitzt um einige zusammengeschobene Tische. Vor ihnen stehen mehrere Rechner.

Einer der Männer ist Uwe Rohwedder. Rohwedder ist Jahrgang ’71 und trägt graue Jeans, ein kariertes Hemd, braun-graue Haare, einen Zehntagebart. Typ Akademiker.
Während seines Studiums ist Uwe Rohwedder zu Wikipedia gestoßen. Wenn der ehemalige Geschichtsstudent an seiner Doktorarbeit saß, hat er „dann Sachen, die ich nicht für meine Doktorarbeit verwenden konnte, aufgeschrieben“, erzählt er. Über die Zeit entstanden so Hunderte Artikel. Ging es Rohwedder erst nur um fachspezifische Geschichte, kam bald ein anderes Interesse dazu: „sein“ Stadtteil Hamm.

Wikipedia: Kontor in Hamburg – Die gibt es auch in echt!

So wie Rohwedder geht es einigen der Wikipedianer, die an diesem Abend ihren Weg zum offenen Treffen gefunden haben. Knapp ein Dutzend Aktive sind da, darunter drei Frauen. Wobei, genauer gesagt, zwei Frauen und eine Jugendliche.

Die 16 Jahre alte „LEP Hamburg“ – so das Pseudonym der Zehntklässlerin – schreibt seit Juli 2018 für Wikipedia. „Mein Papa ist seit 2003 dabei und schreibt sehr viel. Ich schaffe es etwa einmal die Woche“, sagt sie. Ihre Themen: Politiker, Musik – vor allem Countrysänger haben es ihr angetan.

Viele Autoren schreiben unter Pseudonym

Dass unter Pseudonym geschrieben wird, ist im „Wikipedia: Kontor“, so die richtige Schreibweise, eher Regel als Ausnahme. Reinhard Kraasch schreibt zwar unter seinem richtigen Namen, erklärt aber, wieso viele Autoren ein Pseudonym verwenden. „Gelegentlich gibt es unangenehme Anrufe“, sagt Kraasch. „Bei der Rechtschreibreform zum Beispiel haben sich erboste Gegner der Reform bei mir gemeldet. Ich weiß bis heute nicht, warum ich als deren Gegner auserkoren wurde.“

Uwe Rohwedder

Uwe Rohwedder, Jahrgang 1971, beim offenen Treffen der Gruppe.

Foto:

Florian Quandt

Rohwedder und die anderen Wikipedianer freuen sich über den Besuch der MOPO, ihnen geht es um Aufklärung. Das Wissen darüber, wie Wikipedia funktioniert, sei nicht sehr groß. „Viele sind erstaunt, dass Wikipedia ein Mitmach-Projekt ist. Manche denken sogar, es gäbe eine Redaktion“, sagt Rohwedder. 

Wikipedia in Hamburg: Demokratische Teilhabe statt Redaktion

Gibt es Ärger wegen des Inhalts eines Artikels – und glaubt man den Wikipedianern, kommt das nicht so selten vor –, wollen erboste Anrufer gerne auch mal Rohwedders Chef sprechen. Das Problem: Den gibt es gar nicht. Dass es keinen Chef gibt und alles demokratisch abläuft, hat auch seine Schattenseiten. Rohwedder: „Es gibt niemanden, der das Hausrecht ausüben kann.“ Das bedeutet, dass Autoren, die mit Falschnachrichten oder Ähnlichem stören, nicht ohne Weiteres gesperrt werden können. Und wenn doch, dann kommen sie einfach durch die Hintertür wieder hinein: mit einem neuem Account.

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Und was sind nun die Projekte mit Hamburg-Bezug? Ach, da gebe es einige, sagt Rohwedder. Das Team beschäftige sich mit den Brücken der Hansestadt (Wie viele gibt es überhaupt – diese Frage ist nicht abschließend geklärt), es gebe ein Denkmäler-Projekt. Dazu werden Daten über Hamburger Parks sowie über alle Stolpersteine der Stadt gesammelt.

Die Gruppe beschäftigt sich auch mit nicht Hamburg-spezifischen Themen wie dem Fotografieren von Cocktails, dem Bebildern von Musikinstrumenten.
Für viele der aktiven Schreiber, die am Donnerstag zum Stammtisch gekommen sind, ist Wikipedia eine lebensfüllende Aufgabe. Rohwedder: „Wer sich selbst ein Bild machen will, darf gerne zu unserem offenen Treffen am Donnerstag kommen.“

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Und manchmal gibt es auch Zahlen, die zeigen, dass Wikipedia ein Massenmedium ist. Als Jan Fedder starb, wurde die Wikipedia-Seite des Hamburger Schauspielers 430.000 Mal aufgerufen – an einem einzigen Tag.  

Das schreibt Wikipedia über Wikipedia:

Wikipedia ist ein am 15. Januar 2001 gegründetes gemeinnütziges Projekt zur Erstellung einer Enzyklopädie in zahlreichen Sprachen mithilfe des sogenannten Wikiprinzips. Gemäß Publikumsnachfrage und Verbreitung gehört Wikipedia unterdessen zu den Massenmedien.

Die Online-Enzyklopädie bietet freie, also kostenlose und zur Weiterverbreitung gedachte, unter lexikalischen Einträgen (Lemmata) zu findende Artikel sowie auch Portale nach Themengebieten. Das Ziel ist, gemäß dem Gründer Jimmy Wales, „eine frei lizenzierte und hochwertige Enzyklopädie zu schaffen und damit lexikalisches Wissen zu verbreiten“.

Wikipedia lag im September 2018 auf dem fünften Platz der am häufigsten besuchten Websites. In Deutschland und Österreich rangierte sie auf Platz sieben, in der Schweiz und in den USA auf Platz fünf. Die Website ist dabei weltweit, genauso wie in den deutschsprachigen Staaten, die einzige nichtkommerzielle Website unter den ersten 50. Ihre Finanzierung erfolgt durch Spenden. (…) Betreiberin ist die Wikimedia Foundation (WMF), eine Non-Profit-Organisation (…)

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